Der Konservativismus hat in Deutschland seine Heimat verloren. Das ist mehr als ein parteipolitisches Problem. Denn entgegen dem öffentlichen Bild stellen die Konservativen immer noch eine mehrheitsfähige Gruppe. Doch mit ihrer Heimat haben sie auch die Orientierung verloren – und sie müssen um ihren Ruf kämpfen.

Die Ära Merkel ist noch nicht zu Ende. Auch ist die Frage noch nicht entschieden, in wessen Hände sie einst die Macht legen wird. Doch ein Fazit steht schon lange fest: Merkel hat die CDU weit nach links geführt. Sie hat Steine aus dem konservativen Haus gerissen, ohne die sich dessen Statik kaum noch halten lässt.
In ihren frühen Amtsjahren war es Pragmatismus, der Merkel dazu brachte, konservative zu räumen: Die Wehrpflicht kostete zu viel und war angesichts moderner Kriegsführung nicht mehr zeitgemäß. Also wurde sie ruhen gelassen. Ruhen gelassen. Ein Kompromiss gegenüber den konservativen Parteifreunden. Den gab es schon nicht mehr, als Merkel Hals über Kopf aus der Atomkraft ausstieg.
Das Jahr 2015 war eine Zäsur in der Kanzlerschaft Merkels. Aber auch in ihrem Leben. So unnahbar sie sich auch geben mag – der Hass, der ihr von den Gegnern der ungesteuerten Einwanderung entgegenkam, hat sie bewegt. Und beeinflusst ihr politisches Tun. Seitdem hat Merkels Marsch nach links an Fahrt aufgenommen.
Doch es sind nicht nur persönliche Befindlichkeiten, die Merkels Kurs erklären. Das Kalkül: Wenn die CDU keine erkennbaren Unterschiede zu SPD, Grünen und neuerdings auch Linken mehr hat, ist sie auch in deren Lager wählbar. Und da es rechts von der CDU keine Alternative gibt, bleibt die CDU stärkste Partei – und da es kaum noch erkennbare Unterschiede gibt, kann sich die CDU beliebig viele Koalitionspartner dazu holen, bis es zu einer Mehrheit reicht.

Es gibt eine Alternative rechts von der CDU

Jedoch stört ein Faktor diesen Plan: Es gibt eine Alternative rechts von der CDU. Die junge Partei AfD. Zwar sind deren Flügelkämpfe noch nicht entschieden. Durchaus möglich, dass künftig völkische Politiker wie Björn Höcke den Kurs alleine bestimmen. Es gibt aber auch eine große Gruppe ehemaliger Christdemokraten, die noch hoffen, in der AFD ihre neue konservative Heimat gefunden zu haben.
Das erklärt die Wut, mit der sich auch Christdemokraten in den „Kampf gegen Rechts“ stürzen. Wobei es wenig verwundert, dass die CDU die einzige Partei hart bekämpft, die in der Lage ist, rechts von ihr die Fünfprozenthürde ohne große Anstrengung zu nehmen. Doch heißt es ja nunmal nicht: „Kampf gegen die AFD“, sondern „Kampf gegen Rechts“ – was alles andere als ein Zufall ist.
Werte für die der konservative Flügel der CDU einst stand, werden aktuell öffentlich in Frage gestellt: Recht auf Eigentum, Mut zur Investition oder unternehmerische Verantwortung etwa. In Berlin sind es mittlerweile Bezirke, also staatliche Einrichtungen, die in Karikaturen Hausbesitzer verunglimpfen. Wobei der Stil an den Politprop der KPD in den 20er Jahren erinnert. Seit den Feiern zum 200. Geburtstag ist Karl Marx bei SPD, Grünen und Linken ohnehin wieder hoffähig geworden.
So wenig wie die Nachfolge in der CDU entschieden ist, so wenig entschieden zeigen sich Christdemokraten, wenn es darum geht, Eigentum und Unternehmertum zu verteidigen. Sie schlagen sich nicht auf der Seite des linken Blocks. Aber sie verteidigen auch nicht die Werte, deren Heimat mal unbestritten die CDU war.

Recht und Ordnung war konservative Königsdisziplin

Das gilt auch für die Frage der Rechtssicherheit. Recht und Ordnung war unter den konservativen Disziplinen einst die Königsdisziplin. Nun ist dieses ins Wanken gekommen. Das begann mit Helmut Kohl, der sein Ehrenwort über das Gesetz stellte. Es gewann aber an Fahrt mit dem Jahr 2015. Nicht nur, dass sich Merkel über das Dublin-Abkommen hinwegsetzte. Sie weigerte sich mit der Beharrlichkeit eines Kindes, das sein Gemüse nicht essen will, zu Dublin zurückzukehren.
Gefährder, die sich unerkannt durchs Land bewegen. Menschen, die ihre Pässe wegwerfen, und daraus einen Vorteil gewinnen. Das ist für Konservative ein gelebter Alptraum. Doch so lange sie noch in der CDU sind, verbietet es sich für sie, sich zu wehren. Die Sorge um die eigenen Werte ist geringer als die Angst, in der rechten Ecke zu stehen – zusammen mit der AFD. Und das geschieht in einer linksgrün geprägten Medienlandschaft schnell.
Eine konservative Medienpolitik findet ebenfalls nicht mehr statt. Kai Gniffke wurde im zweiten Wahlgang zum Intendanten des SWR gewählt. Im ersten fehlten ihm Stimmen aus Baden-Württemberg. Es waren der CDU nahestehende Gremienmitglieder, die für Gniffke warben. Der Mann, der aus der Tagesschau ein Aktionsbündnis im „Kampf gegen Rechts“ gemacht hat. Und der somit zu den führenden Köpfen gehört, wenn es darum geht, die Auseinandersetzung mit völkischen Tendenzen in der AFD zu nutzen, um konservative Werte an sich zu diskreditieren.

Konservative Köpfe fehlen

Der CDU fehlen die Köpfe, die Konservativismus heute repräsentieren. Friedrich Merz musste als Hoffnungsträger förmlich ausgebuddelt werden. Der CDU mangelt es an Mut, den Konservativismus zu verteidigen. Und es fehlt der Partei eine Idee, wie ein Konservativismus aussehen soll, der sich klar von der AFD unterscheidet.
Der FDP geht es ähnlich. Ihr Parteichef Christian Lindner besetzt zwar immer wieder mal konservative Themen. Dabei kokettiert er aber gleichzeitig mit linksgrünem Gedankengut – etwa in der Klimafrage. Vom Image her gilt er eher als Vertreter der Startups in der FDP, denn als gestandener Konservativer. Und die CSU? Die hat Markus Söder.
Die CDU wird von der Artithmetik an der Macht gehalten. Vor allem aber von der Angst eines älter werdenden Landes vor Veränderungen. Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit unzufrieden mit Merkel ist und sich dennoch wünscht, dass sie Kanzlerin bleibt. Doch Arithmetik und Angst sind kein Fundament für eine Partei. Der CDU nach Merkel droht ein Weg, der ähnlich verläuft wie der, den die SPD nach Schröder gegangen ist.
Und so ist die Heimatlosigkeit der Konservativen eine Gefahr für die Stabilität der deutschen Demokratie. Zum einen weil es Menschen in die Reihen der Partei treiben, in der auch völkische Hardliner wie Höcke mitreden.
Zum anderen aber wegen der konservativen Werte an sich. Recht und Ordnung. Eigentum. Eigenverantwortung. Und dabei gleichzeitig ein maßvoller Sozialstaat. Darauf beruhte der Erfolg der Bonner Republik. Einem Land, das 27 von 40 Jahren von CDU-Kanzlern regiert wurde – von konservativen CDU-Kanzlern.