Notarzt Dr. Thilo Hartmann 0
Notarzt Dr. Thilo Hartmann 0

BYC-News Notarzt Serie Teil 3 | Die Corona-Pandemie begleitet uns nun schon seit rund 14 Monaten. Doch nicht nur für die Bürger hat sich einiges verändert, auch die Arbeit als Notarzt ist in Zeiten von Corona eine andere. BYC-News sprach mit dem Notarzt aus Rüsselsheim, Dr. Thilo Hartmann, darüber. Er ist Notarzt im Landkreis Groß Gerau und Geschäftsführer der Notarztgemeinschaft Rhein-Main GmbH.

Viele Corona-Patienten im erbärmlichen Zustand

Natürlich wird der Notarzt auch immer mal wieder zu Corona-Patienten gerufen, die einen schweren Verlauf haben. „Sehr viele dieser Patienten, die ich zuhause abgeholt und in die Klinik begleitet habe, waren in einem erbärmlichen zustand. Da war ich schon froh, wenn ich die lebend von der Wohnung bis in den Rettungswagen gebracht hatte. Es kam auch recht häufig vor, dass ich den Patienten dann noch auf dem Weg in die Klinik in ein künstliches Koma versetzen musste. Einige davon sind auch gestorben“, erklärt Dr. Hartmann. „Also wenn man mich fragt, muss ich ganz klar sagen ja, es gibt Corona. Und wenn man einen schweren Verlauf hat, stehen die Chancen nicht schlecht, daran auch zu sterben oder aber bleibende Folgen zu erleiden. Es sollte also wirklich niemand auf die leichte Schulter nehmen und unterschätzen“, ergänzt er.

Sauerstoffwerte an die er vor Corona nicht glaubte

Deshalb sei es besonders im ersten Lockdown ein Trugschluss gewesen zu denken, dass wir das mit ausreichend Beatmungsbetten überstehen. Denn wenn ein Patient schon beatmet werden muss, sei es meist schon zu spät. Als Dr. Hartmann Anfang 2020 seinen ersten Corona-Patienten hatte, glaubte er selbst zunächst nicht was er da sah. „Wenn ich beispielsweise einen Patienten mit einem schweren Astmaanfall behandele, dann kann es auch mal sein, dass dieser ins künstliche Koma versetzen muss. Sobald dann aber die künstlich Beatmung etabliert ist, und die Therapie greift, ist innerhalb von rund fünf Minuten die Sauerstoffsättigung im Blut ist wieder im grünen Bereich. Normal ist ein Wert von über 90%. Bei einem Wert unter 50 sind die Patienten meist schon bewusstlos und dem Tode nahe. Das ist bei Corona-Patienten anders. Bei meinem ersten Corona-Patienten hatte ich einen Wert von nur 28% was ich erstmal gar nicht glauben wollte aber der Wert stimmte. Vor einem Jahr hätte ich auch keinem Rettungssanitäter geglaubt, der mit einen solchen Wert bei einem Patienten genannt hätte. Diesen Patienten habe ich auch direkt bei ihm vor der Haustür ins künstliche Koma versetzt und beatmet. Aber die Werte wurden und wurden nicht besser. Erst rund eine halbe Stunde später, kurz vor der Klinik, hatte er einen Wert der nicht mehr so beunruhigend war. Wenn man sich dann ein Röntgenbild der Luge anschaut, versteht man auch, warum die Patienten sich so schwer tun, Sauerstoff ins Blut zu bekommen. Oft wird nur noch ein ganz minimaler Teil der Lunge mit Sauerstoff versorgt“, berichtet Dr. Hartmann.

Probleme einen Patienten unterzubringen

Nicht selten sei es auch so, dass es wirklich Probleme gäbe, intensivpflichtige Patienten unterzubringen, denn die Stationen seien doch häufig voll. Wenn er dann einen Patienten mit Herzinfarkt bringt, helfe ihm ein Corona-Bett natürlich auch nicht weiter. Genauso wenig könne er einen Corona-Patienten zu Intensivpatienten bringen, die wegen etwas anderem im Krankenhaus sind. „Die Stationen sind natürlich getrennt. Wenn also nur 5 Corona-Betten frei sind, bringt das meinem Schlaganfall-Patienten nichts. Wir sind da teilweise schon mit schwerkranken Patienten bis Bad Soden oder Firnheim bei Mannheim gefahren, weil es sonst keine freien Betten gab“, berichtet der Notarzt.

Entlastung auf den Stationen

Doch Corona bringe auch Entlastung auf den Stationen selbst, beispielsweise durch das Besuchsverbot. Das sei natürlich für die Patienten dramatisch, schaffe aber auch Entlastung beim Klinikpersonal. Er höre immer wieder von den Stationsleitungen oder Krankenschwestern, dass sie sich mittlerweile mehr auf die Medizin konzentrieren können, ohne ständig die Wünsche von Angehörigen erfüllen zu müssen, die Permanent im Weg rum laufen und beispielsweise nach Blumenvasen oder einer Tasse Tee fragen.

Von gesunkenen Einsatzzahlen spürt man nichts mehr

Im ersten Lockdown sanken die Einsatzzahlen des Notarztes um rund 40 Prozent. „Ich habe mich natürlich auch mit anderen Notärzten darüber unterhalten und es gibt da unterschiedliche Erklärungen für. Zum einen sind die Leute natürlich mehr zu Hause geblieben, sodass es beispielsweise weniger Unfälle gab. Auch die Einsätze auf Partys gab es natürlich nicht mehr wie zuvor. Zum anderen schienen die Menschen doch bedenken zu haben ins Krankenhaus zu fahren und sich dort mit Covid-19 zu infizieren“, vermutet Dr. Hartmann. Das habe natürlich auch zur Folge gehabt, dass einige vermutlich gar nicht oder zu spät angerufen haben, was nach Einschätzungen des Notarztes wohl das ein oder andere Leben gekostet hat. In der Zwischenzeit sei der Rückgang der Einsätze nicht mehr spürbar und die Anzahl sei wieder auf dem gleichen Stand wie vor Corona.

Manche Personen an Einsatzstellen seien recht uneinsichtig, was das Thema Masketragen angeht und würden sich zunächst weigern oder versuchen zu diskutieren. Was das angeht lässt der Notarzt aber von vorne herein keine Diskussionen zu. „Wenn ich solche Fälle habe, sage ich den Personen ganz klar, dass ich nur bleibe, wenn sie eine Maske tragen. Das ist auch kein Vorschlag, sondern ein Befehl. Meist fruchtet diese Aussage auch“, sagt der Notarzt.

Immer wieder hört man auch in den Medien, dass die häusliche Gewalt und die Suizide oder Suizidversuche in Zeiten von Corona zugenommen haben. Dr. Hartmann hat hingegen nicht festgestellt, dass sich seine Einsätze in diese Richtung verändert haben, dass er öfter als noch vor Corona zu solchen Patienten gerufen wurde.

Corona in sozialen Brennpunkten

Unbestritten sind die Inzidenzwerte in sozialen Brennpunkten höher. Und auch Notarzt Dr. Hartmann kann das bestätigen: „Ich habe seit Corona bislang 20 Patienten mit einem schweren Covid-19-Verlauf gehabt, die ich in die Klinik brachte. 19 davon mit Migrationshintergrund. Insgesamt 13 der 20 Patienten starben an der Krankheit. Oft war es so, dass ich gerufen wurde, weil es beispielsweise dem Familienvater schlecht ging. Als ich dann die Wohnung betrat begrüßten mich mehr als 15 Familienangehörige oder auch Freunde, die sich alle in der Wohnung befanden. Oder ich wurde in der Nacht alarmiert weil eine Person während des Fastenbrechens kollabiert war. Als ich in die Wohnung kam, standen 16 Teller auf dem Tisch. Das hat jetzt absolut nichts mit Rassismus zu tun und ich möchte das auch nicht negativ werten aber es ist einfach die Realität, die ich tagtäglich als Notarzt miterlebe“

Er habe in seinem Beruf und bei der Arbeit im GPR-Klinikum in Rüsselsheim schon häufig die Erfahrung gemacht, dass manche Menschen mit Migrationshintergrund der Auffassung seien, Deutsches Recht gelte für sie nicht. Dass dies nicht bei allen Personen der Fall sei, verstehe sich von selbst, betont der Notarzt. So etwas könne man natürlich nicht verallgemeinern. Aber in manchen Fällen sei es leider so. Während der Corona-Pandemie sorge das natürlich dafür, dass die Inzidenz in Rüsselsheim um ein vielfaches höher sind als beispielsweise in Biebesheim, Gernsheim oder Nauheim, wo es viel weniger Menschen mit Migrationshintergrund gibt. Natürlich gebe es aber auch noch andere Faktoren, die dabei eine Rolle spielen.

Ein weiteres Problem bei der Arbeit stellen die fehlenden Deutschkenntnisse dar, erklärt der Notarzt: „Viele vor allem ältere Menschen leben seit Jahrzehnten in Deutschland und sind kaum dazu in der Lage, sich auf deutsch zu verständigen. Ich möchte den Patienten helfen aber das ist natürlich schwierig, wenn man mir nicht erklären kann welche Beschwerden man hat. Meist sind es dann die Kinder oder Enkel, die übersetzen. Aber jeder der schon mal Stille Post gespielt hat weiß, was da manchmal bei raus kommt. Das ist extrem schwierig, sowohl beim Einsatz vor Ort als auch bei der Behandlung im Krankenhaus. Im Krankenhaus macht es das nochmal schwieriger, weil zu Corona-Zeiten auch keine Familienangehörigen mit rein dürfen, die gegebenenfalls übersetzen könnten. Und es wird zwar nicht öffentlich thematisiert aber ich bin mir sehr sicher, dass schon viele Menschen gestorben sind, weil sie dem Rettungsdienst oder Notarzt aufgrund fehlender Deutschkenntnisse nicht erklären konnten, welche Beschwerden sie haben“, sagt der Notarzt mit Bedauern.

Weitere Teile der BYC-News Notarzt Serie

BYC-News hat in dem Interview mit Thilo Hartmann noch über weitere Themen gesprochen, welche die Arbeit eines Notarztes betreffen.

Teil 1: Notarzt Spezial: „Ich kann schnell viel für einen Patienten tun“
Teil 2: Notarzt Spezial: Einsätze die man als Retter nicht vergisst
Teil 3: Notarzt Spezial: „Viele meiner Corona-Patienten waren in einem erbärmlichen Zustand“
Teil 4: Notarzt Spezial: Welche Ausrüstung befindet sich im Notarztfahrzeug?