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Was haben Fußballprofis mit Politikern und Journalisten gemein? Sie werden pauschal gerne abgewatscht. Zu dieser Reihe darf sich längst der Kurznachrichtendienst Twitter gesellen. In ihm sehen manche die Wurzel aller Übel.

26,5 Millionen Treffer bietet Google zu den Suchbegriffen „Twitter Hass“ an. In politischen Analysen wird gerne der Schluss gezogen, der Kurznachrichtendienst habe das gesellschaftliche Klima zerstört – ebenso wie die Debattenkultur. Vor allem dann, wenn es bei dem Analysierenden gerade selbst nicht so gut läuft. Denn die Frage, wie viel Schuld Twitter daran trägt, drängt die andere Frage zurück: Was mache ich denn falsch?

Unter anderem auf Twitter. Nun ist Entzug immer eine Alternative. Wenn wir Twitter nicht beachten, dann gibt es das auch nicht. Wer das so handhaben will, hat in einer freien, pluralistischen Gesellschaft jedes Recht dazu.

Doch Politik ist Kommunikation. Nicht erst im Medienzeitalter. Die antiken Griechen nannten den Ort des Geschehens „Parlament“, also frei übersetzt: Platz, an dem man redet. Und da muss sich jeder entscheiden, ob er auf ein Medium verzichten will, an dem doch einige Millionen Menschen partizipieren.

Hass gibt’s auch im Fernsehen

Robert Habeck hat das getan. Twitter triggere ihn, meinte er vor gut einem Jahr. Seitdem verzichtet er auf den Dienst. Das schützt ihn aber nicht davor, demokratisch gewählte Staatsoberhäupter als Feinde zu bezeichnen, gegen die alles Kämpfen gelte. Auch das Fernsehen transportiert solchen Hass – zumindest wenn er von einem Vorsitzenden der Grünen kommt.

Es ist noch keine zwei vollständigen Generationen her, da haben Menschen Fahrer und Sicherheitsleute in einem Kugelhagel ums Leben gebracht, weil sie deren Auftraggeber für einen Nazi hielten. Andere haben Menschen in die Luft gesprengt, die ein Volksfest besuchten. Das sollte der reinen Rasse dienen. Oder so, eine Erklärung gab es nicht. Und wiederum andere haben Menschen getötet, weil sie Katholiken und die anderen Protestanten waren – oder umgekehrt. Die Welt vor Twitter war auch nicht nur gut und rational.

Das rechtfertigt nicht die Beleidigungen, die Renate Künast über sich lesen musste. Dass sie über Twitter geäußert wurden, spricht nicht für das Medium. Aber dafür haben wir Gerichte. Wenn dann dort die Richter sagen, es sei angemessen, wenn die ehemalige grüne Spitzenpolitikerin mit Fäkalien verglichen wird, dann ist das ein Problem. Aber doch eines der Richter.

Und der Parlamente, die gegebenenfalls nachjustieren müssen, was angemessen ist und was nicht. Das dürfen sie übrigens. Im Deutschen gibt es für sie das Wort Gesetzgeber.

Jeder wählt sein eigenes Programm

Ja. Twitter kann depressiv machen. Aber nur, wenn man es zulässt. Der Dienst zeigt einem nur die Beiträge an, die man abonniert. Selbst Werbetweets können gleich nach dem ersten Mal für künftige Gelegenheiten blockiert werden. Wer nicht von Rechten belästigt werden will, von Linken, von Islamisten, fundamentalistischen Christen, Dschungelcamp-Fans, Bayern-Anhängern oder Football-Liebhabern, der kann die Beiträge abbestellen – oder falls nötig, die Anzeige von Retweets durchs Blockieren verhindern.

Ein längst untergegangenes soziales Netzwerk hat seinerzeit die Zahl derer begrenzt, die ein Nutzer blockieren kann. Eine solche Zahl kommuniziert Twitter nicht. Dieser Redaktion ist keine Regelung bekannt, nach der das Unternehmen Kunden sperrt, weil diese zu oft andere blockiert haben.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) zeigt jeden an, der sie im Netz beleidigt. Das ist richtig. Sofern die Äußerungen tatsächlich strafbar sind. Denn wenn sich rumspricht, dass Beleidigungen auch auf Twitter Beleidigungen sind, werden manche ihr Verhalten überdenken – oder halt entsprechend bestraft werden.

Andere, die weniger angefeindet werden, können sich mit Blockieren helfen. „Don’t feed the Troll“, lautet eine der ältesten Internet-Regeln. In einer Kneipe macht es keinen Sinn, mit aggressiven Menschen zu diskutieren. Warum sollte das auf Twitter anders sein? Besser ist es, sie stehen zu lassen.

Den Troll stehen lassen

Franz Münterfering hat Wahlkämpfern mal den Tipp mitgegeben, die Querulanten an den Ständen ziehen zu lassen: Du arbeitest dich Stunden ab und danach sind sie so wenig offen oder einsichtig wie zuvor. Wer so handelt, verbraucht nur sich selbst. Auch der Kampf ums letzte Wort ist vergeblich, wenn das in seiner Substanz nicht mehr über „Doch!!!“ hinausreicht.

Twitter verbindet. Wenn man es richtig macht. Tausende Fans von Tatort, Fußball oder dem Dschungel genießen ihr Hobby gemeinsam, tauschen sich aus, machen es so zu einem Gemeinschafts-Erlebnis. Mal witzig. Mal kritisch. Mal enthusiastisch. Wer auch immer welches Attribut davon nicht mag, kann Beiträge dieser Art wegdrücken. Alles gut.

Anders als Facebook hat Twitter geringe Kontaktschranken. Grundsätzlich kann jeder jedem antworten und auch jeden adden. Auch Prominente. Ob die antworten, entscheiden die. Aber nicht nur. Wer in eine Kneipe kommt und die Gäste mit der Mitteilung begrüßt, hier alle doof zu finden, der wird sein Bier alleine trinken. Oder draußen.

Warum sollte das auf Twitter anders sein: Wer chatten will, muss nett sein. Das heißt nicht unbedingt unkritisch. Wer jemand beleidigt und pauschal aburteilt, wird kaum Antwort erhalten. Warum auch? Er wollte Dampf ablassen. Mission accomplished. Wer ruhig und konstruktiv auf Schwächen einer Argumentation eingeht, kann für den anderen zum Gewinn werden. Wenn der grundsätzlich keine Kritik annimmt, ist das ein Problem. Aber keines von Twitter.