HIV-Forschung: Große Fortschritte bei Behandlung, Prävention und Lebensqualität | Foto: Shutterstock

Dank moderner medizinischer Versorgung führt eine HIV-Infektion in Ländern mit guter Gesundheitsinfrastruktur immer seltener zur Immunschwächekrankheit AIDS („Acquired Immunodeficiency Syndrome“). Wird die Infektion rechtzeitig behandelt, können Betroffene ein nahezu normales Leben führen und haben eine ähnliche Lebenserwartung wie nicht infizierte Menschen. Zudem besteht bei effektiver Therapie keine Gefahr der Weitergabe des Virus. „Die Auswahl an antiviralen Medikamenten wächst stetig, die Nebenwirkungen nehmen ab, und die Anwendung wird einfacher“, erläutert Dr. Pablo Serrano, Leiter für Innovation und Forschung beim Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V. (BPI). Darüber hinaus arbeitet die Forschung intensiv an einer HIV-Impfung sowie an Heilungsmethoden, etwa durch Gentherapien – erfreuliche Nachrichten anlässlich des Welt-AIDS-Tages 2024.

HIV in Deutschland: Stabilisierung durch Therapie

In Deutschland leben etwa 95.000 Menschen mit HIV, ohne dass sie an AIDS erkranken, da sie mit hochwirksamen Medikamenten behandelt werden. HIV, das „Human Immunodeficiency Virus“, greift gezielt die T-Helfer-Zellen des Immunsystems an, die eine zentrale Rolle in der körpereigenen Abwehr spielen. Unbehandelt schwächt das Virus das Immunsystem in verschiedenen Stadien bis hin zu AIDS, dem Endstadium der Erkrankung. Hier kann der Körper Infektionen und Tumorbildungen nicht mehr abwehren. Seit Beginn der Epidemie im Jahr 1983 sind weltweit über 42 Millionen Menschen an AIDS gestorben, davon 33.900 in Deutschland. Dank umfassender Forschung und pharmazeutischer Innovation wurden in Deutschland bereits zwei zentrale Ziele der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erreicht: 95 Prozent der diagnostizierten HIV-Infizierten erhalten eine antiretrovirale Therapie, die das Virus daran hindert, sich im Körper zu vermehren. Bei 95 Prozent der behandelten Personen sinkt die Viruslast im Blut unter die Nachweisgrenze. „Das führt dazu, dass die T-Helfer-Zellen sich regenerieren und das Immunsystem wieder normal arbeiten kann“, erklärt Serrano. In dieser Phase ist die Übertragung des Virus nahezu ausgeschlossen. Zudem können Betroffene auf natürlichem Wege Kinder bekommen, ohne das Virus während Zeugung, Schwangerschaft oder Geburt weiterzugeben.

Fortschritte bei Wirkstoffen und Therapien

HIV stellt aufgrund seiner hohen Wandlungsfähigkeit eine besondere Herausforderung dar. Um Resistenzen zu vermeiden, erhalten Infizierte meist eine Kombination aus zwei bis vier Wirkstoffen. Diese greifen an unterschiedlichen Stellen des Vermehrungsprozesses des Virus an. „Daher ist es essenziell, stetig neue Wirkstoffe zu entwickeln“, betont Serrano. Mittlerweile gibt es acht Wirkstoffklassen, darunter die neuartigen Attachment-Inhibitoren, die das Andocken des Virus an menschliche Zellen verhindern, und die 2022 zugelassenen Kapsid-Inhibitoren. Letztere stören die schützende Proteinhülle des Virus, wodurch dessen Vermehrung gehemmt wird.

Vereinfachte Therapieansätze

Die Einnahme antiretroviraler Medikamente wird immer nutzerfreundlicher. Während früher bis zu zwölf Tabletten täglich nötig waren, reicht heute meist eine oder zwei Kombinationspillen. Seit 2021 steht zudem die erste langwirksame Depottherapie zur Verfügung: Ein Medikament wird nur einmal pro Monat oder alle zwei Monate injiziert. Eine weitere Innovation ist der Kapsid-Inhibitor Lenacapavir, der nach einer Einleitungsphase lediglich zweimal jährlich gespritzt werden muss. Dieses Medikament ist jedoch noch nicht kommerziell erhältlich.

PrEP: Prävention mit neuen Optionen

Auch in der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gibt es Fortschritte. Neben Tabletten sind mittlerweile auch Depotspritzen verfügbar, die alle zwei Monate verabreicht werden. So wurde 2023 eine Depotspritze mit dem Integrasehemmer Cabotegravir von der EMA zur Zulassung empfohlen. Dieser Wirkstoff verhindert, dass das Erbgut des Virus in die menschliche Zelle eingebaut wird. Der Kapsid-Inhibitor Lenacapavir hat sich ebenfalls als vielversprechend für die PrEP erwiesen. Die Kosten für diese Prophylaxe werden in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Neue Ansätze: Antikörper, Impfstoffe, Gentherapien

Einen weiteren Hoffnungsschimmer bieten breit neutralisierende Antikörper, die gegen viele HIV-Varianten wirksam sind. Auch die Entwicklung eines HIV-Impfstoffs bleibt ein Ziel der Forschung. Dabei wird verstärkt auf mRNA-Technologien gesetzt, die durch die Corona-Impfstoffe bekannt geworden sind. „Allerdings mutiert HIV deutlich schneller als SARS-CoV-2, was die Impfstoffentwicklung besonders anspruchsvoll macht“, erklärt Serrano. Zudem wird an Heilungsansätzen gearbeitet, etwa durch den Einsatz von Gentherapien, die gezielt den Rezeptor blockieren, über den HIV in die menschlichen Zellen eindringt.

Prävention und Früherkennung als Schlüssel

Trotz aller Fortschritte bleibt die Heilung einer HIV-Infektion vorerst ein Zukunftsziel. Allerdings stehen bereits zahlreiche effektive Maßnahmen zur Verfügung, um Infektionen zu verhindern oder zu behandeln: geschützter Geschlechtsverkehr, PrEP, antiretrovirale Therapie und regelmäßige HIV-Tests. „Für eine erfolgreiche Behandlung ist es entscheidend, eine Infektion frühzeitig zu erkennen. Menschen mit erhöhtem Risiko sollten sich daher regelmäßig testen lassen“, empfiehlt Serrano. Nur so kann auch das dritte WHO-Ziel erreicht werden: 95 Prozent der Infizierten sollen über ihren HIV-Status Bescheid wissen.