Der Verein Land schafft Verbindung Rheinland-Pfalz e. V. warnt vor massiven Wettbewerbsverzerrungen und einer absurden Entwicklung im europäischen Pflanzenschutzrecht: Der als völlig unbedenklich geltende Grundstoff Natriumbicarbonat – besser bekannt als Backpulver – darf im Weinbau in Deutschland und Österreich nicht mehr als Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, obwohl er weiterhin frei als Lebensmittel verkauft, verzehrt und in vielen anderen Kulturen problemlos angewendet werden darf.

Hintergrund

Die Firma BIOFA GmbH erhielt eine Zulassung für das Produkt NatriSan, die sich ausschließlich auf den Anwendungsbereich Wein- und Tafeltrauben bezieht. Infolge dieser nationalen Zulassung wurde die bisher geltende Grundstoffgenehmigung für Natriumbicarbonat durch eine Entscheidung auf EU-Ebene im März 2024 eingeschränkt – und zwar ausschließlich für Vitis vinifera in Deutschland und Österreich.

Von Backpulver zum Hochpreis-Pflanzenschutzmittel

Der Effekt: Winzer dürfen das bisher verwendete, kostengünstige Natriumbicarbonat nun nicht mehr verwenden, obwohl es sich um denselben chemischen Wirkstoff handelt, der frei im Handel als Backtriebmittel für Lebensmittel erhältlich ist. Statt rund 0,64 €/kg für das Lebensmittelprodukt müssen sie jetzt 4,17 €/kg für das zugelassene Pflanzenschutzmittel NatriSan bezahlen – ein mehr als sechsfacher Preisanstieg.

Ein betroffener Winzer aus der Pfalz bringt die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Punkt: „In unserem mittelgroßen, integriert arbeitenden 30-Hektar-Weingut machen diese Mehrkosten rund 3.000 Euro im Jahr aus. Zum Vergleich: Die viel diskutierten Einsparungen durch den Agrardiesel machen bei uns nur etwa 2.000 Euro aus.“
Und weiter:
„Das sind Mehrkosten, die hier entstehen, ohne dass wir dafür irgendeinen Zusatznutzen erhalten – weder ökologisch noch wirtschaftlich.“

Ein weiterer Winzer aus Rheinhessen ergänzt: „Völliges Unverständnis habe ich gegenüber der Firma BIOFA. Diese hatte eigentlich einen sehr guten Ruf und bietet gute Produkte an. Die einzige Möglichkeit, die mir jetzt bleibt, mein Unverständnis gegenüber BIOFA auszudrücken, ist, auf andere Hersteller von Pflanzenschutzmitteln auszuweichen.“

Einschränkungen und Alternativen

Besonders brisant: Durch die neue Zulassung ist der Einsatz von NatriSan zusätzlich auch noch zeitlich beschränkt – nur bis zum Weichwerden der Trauben ist es erlaubt. Danach müssten Winzer auf das deutlich teurere, ebenfalls von BIOFA vermarktete Kaliumhydrogencarbonat umsteigen, obwohl sich die Wirkung beider Stoffe kaum unterscheidet.

Ernte in Gefahr – Rückwirkende Illegalisierung?

Noch problematischer ist die Situation für Betriebe, die sich frühzeitig mit dem günstigen Lebensmittelprodukt eingedeckt hatten. Diese Winzer stehen nun vor der absurden Situation, dass sie beim Einsatz von handelsüblichem Backpulver im Weinbau plötzlich als Verwender eines nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittels gelten – mit der realen Gefahr von Ernteverlusten, Sperrungen oder Bußgeldern. Ein Verhalten, das vorher völlig rechtssicher und verbreitet war, ist über Nacht zum Regelverstoß geworden.

Ein Rückschritt für nachhaltigen Pflanzenschutz

Dabei gilt Natriumbicarbonat als besonders wichtiges Mittel im ökologischen Pflanzenschutz und wird seit Jahren erfolgreich auch im integrierten Anbau verwendet. Seine breite Akzeptanz beruht auf der hohen Wirksamkeit gegen Pilzkrankheiten, der Umweltverträglichkeit und der vollständigen Unbedenklichkeit für Mensch, Tier und Natur. Durch die nun entstandene Preisverzerrung wird es für viele integrierte Betriebe wirtschaftlich uninteressant – mit der Folge, dass wieder verstärkt auf chemisch-synthetische Mittel zurückgegriffen werden könnte.

Appell an die Politik

Der LsV RLP e.V. fordert dringend politische Korrekturen:
„Wir appellieren an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sich auf nationaler und europäischer Ebene für eine Wiederzulassung von Natriumbicarbonat als Grundstoff im Weinbau einzusetzen“, so der Verband. „Alles andere schadet der heimischen Landwirtschaft und führt zu unnötigen Marktverzerrungen ohne jeden Nutzen für Umwelt, Sicherheit oder Verbraucherschutz.“