Seit mehr als 50 Jahren bietet das Haus Sankt Martin, eine Einrichtung des Caritasverbandes Mainz e. V., Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit schwerst-mehrfachen Behinderungen ein Zuhause. Hier finden Menschen, die auf umfassende Unterstützung angewiesen sind, nicht nur Pflege und medizinische Versorgung, sondern auch Geborgenheit, Förderung und eine lebendige Gemeinschaft. Die Leitlinie der Einrichtung ist klar formuliert: Jeder Mensch soll – unabhängig von Art und Schwere seiner Beeinträchtigung – so selbstbestimmt wie möglich leben können.
BYC-News besuchte die Einrichtung und sprach mit Sebastian Balschukat, dem pädagogischen Leiter, über die vielfältigen Angebote und besonderen Projekte im Haus Sankt Martin.
Familiäre Wohngruppen mit individueller Begleitung
„Wir sind eine heilpädagogische Fördereinrichtung für Kinder und Jugendliche im Alter von null bis 18 Jahren. Zusätzlich gibt es eine spezielle Ü18-Gruppe für junge Erwachsene bis 27 Jahre“, erläutert Balschukat. Insgesamt stehen 50 vollstationäre Plätze zur Verfügung, verteilt auf fünf Wohngruppen mit jeweils zehn Bewohnern. Die bewusst klein gehaltene Gruppenstruktur ermöglicht eine familiäre Atmosphäre, in der sich die Kinder und Jugendlichen sicher, geborgen und orientiert fühlen können.
Die Zimmer, Gruppenräume und Pflegebäder sind liebevoll gestaltet und die Gruppen tragen Namen wie „Villa Kunterbunt“, „Löwenherz“ oder „Spatzennest“ – Bezeichnungen, die Wärme und Herzlichkeit ausstrahlen. Jede Wohngruppe wird von festen Bezugspersonen betreut, die sowohl die pädagogische als auch die medizinische Versorgung sicherstellen und engen Kontakt zu den Familien pflegen.
Die enge Zusammenarbeit mit Eltern und gesetzlichen Betreuern ist ein Grundpfeiler des Konzepts. Regelmäßige Entwicklungsgespräche sichern eine passgenaue Förderung. Eltern sind jederzeit willkommen – ob zu Aktivitäten oder für Übernachtungen im Haus.
Die Ü18-Gruppe – ein wichtiger Schritt ins Erwachsenenleben
Besonders bedeutsam ist die Wohngruppe für junge Erwachsene über 18 Jahre. Sie bietet den Bewohnern die Möglichkeit, den Übergang ins Erwachsenenleben behutsam zu gestalten. Viele von ihnen besuchen Tagesförderstätten oder arbeiten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Gleichzeitig werden sie gezielt in Alltagskompetenzen geschult – von Haushaltsführung über Freizeitgestaltung bis hin zum Umgang mit Behörden. Ziel ist es, ihnen so viel Selbstständigkeit wie möglich zu ermöglichen.
Therapeutische Angebote unter einem Dach
„Unser Therapiebereich umfasst Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Heilpädagogik und sogar ein eigenes Bewegungsbad mit medizinischem Bademeister. Das heißt: Vieles, was die Kinder brauchen, gibt es direkt vor Ort“, berichtet Balschukat. Therapiepläne werden individuell erstellt und in enger Abstimmung mit Bezugspersonen und Eltern umgesetzt. Für Vorschulkinder steht eine heilpädagogische Frühförderung im Fokus, bei der spielerisches Lernen, soziale Fähigkeiten und Selbstständigkeit gefördert werden.
Die Voraussetzung für einen Wohnplatz im Haus Sankt Martin ist eine geistige Beeinträchtigung, oft verbunden mit motorischen Einschränkungen. Betreut werden Kinder und Jugendliche mit allen Pflegegraden bis Grad 5. Ausgeschlossen sind jedoch intensivpflegebedürftige Kinder mit Beatmung sowie Bewohner mit stark fremdaggressivem Verhalten.
Zwar spielt auch die pflegerische Versorgung eine Rolle, jedoch sind viele Mitarbeiter pädagogische Fachkräfte – Pflege steht hier nicht isoliert, sondern als Teil einer ganzheitlichen Förderung.
Individuelle Bildung und strukturierter Alltag
Bildung ist ein zentraler Bestandteil des Alltags. Kinder, die gesundheitlich dazu in der Lage sind, besuchen Förderschulen wie die Liesel-Metten-Schule in Nieder-Olm oder die Elisabethenschule in Sprendlingen. Andere erhalten maßgeschneiderten Unterricht direkt im Haus – meist in Einzel- oder Kleingruppenförderung.
„Der Tagesablauf ist klar strukturiert: Der Tag beginnt um 6 Uhr mit dem Wecken, gefolgt von Morgenpflege und Vorbereitungen für Schule oder Therapie. Ab 7:45 Uhr holen Busse die Schulkinder ab, während andere vor Ort unterrichtet werden. Nachmittags kehren die ersten Kinder zurück, es folgt eine gemeinsame „Kaffeemahlzeit“ und anschließende Therapieeinheiten. Abends stehen gemeinsames Abendessen und Freizeitaktivitäten wie Basteln, Spielen, Ausflüge oder Filmabende auf dem Programm.
Am Wochenende rückt das Gruppenerleben in den Vordergrund: Ausflüge in den Tierpark, ins Kino oder Theater stehen ebenso auf dem Plan wie das beliebte Eisessen. Für Kinder, denen Ausflüge schwerfallen, kommen immer mal wieder Tiere, wie beispielsweise Pferde und Hunde zum Haus St. Martin. Inzwischen gibt es vor Ort sogar dauerhaft einen Hühnerstall. Die Ü18-Gruppe kümmert sich außerdem eigenständig um ein Hochbeet in unserem Außenbereich“, erklärt Sebastian Balschukat. Viele dieser Freizeitangebot werden dank Spenden möglich.
Medizinische Versorgung und Kurzzeitpflege
Die medizinische Betreuung ist eng in den Alltag integriert. Eine Gemeinschaftspraxis aus Ingelheim führt wöchentliche Visiten durch, Fachärzte kommen regelmäßig ins Haus. Bei Bedarf erfolgt eine Überweisung an Kliniken oder Spezialisten. Auch notwendige Hilfsmittel werden kontinuierlich angepasst.
Ein besonderes Angebot ist die ganzjährige Kurzzeitpflege. Sie entlastet Familien, wenn Eltern krank sind, eine Kur antreten oder einfach eine Pause benötigen. Während dieser Zeit sind die Kinder im Haus Sankt Martin bestens versorgt.
Jubiläum und Blick in die Zukunft
Am 30. August 2025 feiert das Haus Sankt Martin sein 50-jähriges Bestehen. Geplant ist ein großes Fest in der Belzerstraße 7 mit Musik, kulinarischen Angeboten und Hausführungen. Zugleich wird ein neues Projekt vorgestellt: eine Wohngruppe speziell für Kinder und Jugendliche im Autismus-Spektrum. Die Erlöse der Feier fließen direkt in Umbau und Ausstattung dieser neuen Einrichtung.
Weitere Infos zum Fest: Großes Jubiläumsfest im Haus St. Martin in Ingelheim