Hier kommt das andere Ende der Leine zu Wort: Der Don. Die Welt geht unter. Zumindest meine. Gerade haben wir einen Spaziergang von drei Minuten gemacht. Zweieinhalb Minuten zu lang. Nach meinem Geschmack. Nicht mal mehr Gassi macht Spaß. Ich hasse Silvester.

Der Samstag hat gut angefangen. Eigentlich. Der Dicke hat sich früh morgens aus dem Bett geschält und mir einen üppig gefüllten Napf hingestellt. Ohne zu mosern, ist er noch im Dunkeln mit mir rausgegangen. Da hätte ich eigentlich schon misstrauisch werden müssen.

Um 8 Uhr haben am Samstag die Geschäfte geöffnet. Um 8.02 Uhr ging der erste Böller in die Luft. Da muss es jemandem ein Bedürfnis gewesen sein, ein Bumm zu hören. Kein Lichteffekt, keine Überraschung – Feuer an Schnur, Ding in die Luft werfen, Bumm. Feuer an Schnur, Ding in die Luft werfen, Bumm. Feuer an Schnur… Bei manchen scheint ein Bumm alles zu sein, was zwischen linkes und rechtes Ohr passt.

Hilft aber nichts. Man muss mit den Leuten leben, die da sind. Es gibt keine anderen. Hätte ich nicht dieses Motto immer beherzigt, hätte ich es kaum sieben Jahre lang mit dem Dicken durchgehalten.

Also leben wir mit dem Krach. Und ich sage es nun wirklich nicht gerne: Aber der Dicke gibt sich Mühe. Ja, er hat sogar ein paar gute Ideen. Die älteste: Wir stehen früh auf. Sehr früh. Wobei das auch schief gehen kann. Am Sonntagmorgen hatten wir den Wecker für halb Sechs gestellt – und genau da knallte es draußen. Zum Glück läuft derzeit ganz viel Football, sodass wir da schon draußen waren.

Der Wald ist meine Rettung

Außerdem sind wir oft aus der Stadt draußen gewesen. Im Wald. Sodass wir am Wochenende zwei mal Spaziergänge über zwei Stunden am Stück hinbekommen haben. Allerdings haben wir dabei Krach bekommen: Als es knallte, wollte ich zurück. Darauf hat der Dicke nur Blödsinn geredet.

Wir sind auf einem Rundweg, Don. Zurück ist weiter als nach vorne, bla. Wir sind gleich am Auto. Natürlich. Dabei weiß jeder, dass man in Gefahrenmomenten einfach nur zurücklaufen muss. Das hat sich bewährt. Alles andere ist kranke Menschenlogik. Gut, wir waren dann zwar bald am Auto, aber ich schreibe diese Kolumne nicht, um dem Dicken recht zu geben.

In der Wohnung hat er mir eine Schutzhöhle gebaut. Die hat nur einen Haken. Leiser als dort wird es nicht. Aber es ist immer noch laut. Auch in solchen Fällen hat sich ein Trick bewährt: Wenn’s überall laut ist, musst du oft den Platz wechseln. Leider ist der Dicke kein Hund und versteht diese bestechende Logik nicht.

Er kann aber wirklich nett sein. Als wir den Silvesterabend mal zuhause verbracht haben, habe ich keine Abwechslung gefunden und vergeblich alle Plätze in der Wohnung als Schutzraum versucht. Dann sind wir ins Bad gegangen. Dort lag ein Buch. Der Dicke hat mir daraus vorgelesen.

Böll statt Böller

Heinrich Böll, politische Schriften der 60er Jahre. Viel verstanden habe ich nicht. Nur dass der Mann offensichtlich nicht viel von diesem Strauß gehalten hat. Aber es hat geholfen. Das Vorlesen hat mich abgelenkt. Die Stimme mich beruhigt. Damit immer ein wenig Abwechslung da ist, lässt der Dicke auch die Nacht über Musik laufen.

Es raten ihm auch immer welche, mir Beruhigungsmittel zu geben. Das macht er nicht. Jetzt da ich älter werde – Frechheit, die Behauptung, an und für sich – schon gar nicht. Ich finde es ok. Meine Mama hat mir schließlich immer gesagt: „Welpe Nummer vier, Finger weg von Drogen – bleib bei den Leckerlis.“

Zum Glück sind wir Silvester nicht zuhause, sondern bei Freunden. Es hilft mir, dass da viele um den Tisch sitzen, sich unterhalten und ruhig bleiben. Das lenkt mich ein wenig ab.

Und an Silvester bringt der Dicke das größte Opfer für mich. Er trinkt nichts. Zu Fuß sind es 25 Minuten bis zu den Freunden. Als ich noch jünger war, habe ich das auch an Silvester geschafft. Doch mittlerweile macht mich das fertig. Deswegen parken wir mit dem Auto in der Nähe, sodass wir es nicht so weit haben, bis wir die rettende Tür erreichen. Denn alles was über eine halbe Minute geht, ist mir beim Geböllere eigentlich viel zu lang.

Der Dicke und ich, ich im Vordergrund. Selfie: Der Don

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