Blutkrebserkrankungen wie Leukämien entstehen durch genetische Veränderungen in blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks. Ein Forschungsteam der Universitätsmedizin Mainz hat nun wegweisende Erkenntnisse veröffentlicht, die zeigen, wie chronische Entzündungen das Knochenmark bereits in sehr frühen Krankheitsstadien verändern und die Entwicklung von Blutkrebs begünstigen können. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications vorgestellt und könnten langfristig den Weg für neue präventive Therapien ebnen.
Wie Entzündungen die Blutbildung beeinflussen
Das menschliche Knochenmark produziert jede Sekunde Millionen neuer Blut- und Immunzellen. Diese Erneuerung wird durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel verschiedener Zelltypen ermöglicht – darunter hämatopoetische Stammzellen (HSC), stützende Stromazellen und immunregulatorische Moleküle. Das sogenannte Knochenmark-Mikromilieu spielt dabei eine zentrale Rolle. Es reguliert den Austausch von Signalen zwischen den Zellen und beeinflusst sowohl gesundes als auch krankheitsrelevantes Zellwachstum.
Bisher war jedoch nur wenig darüber bekannt, wie dieses Mikromilieu zur Entstehung von Blutkrebserkrankungen beiträgt. Genau hier setzt die neue Studie an.
Forschung zeigt frühe Veränderungen im Knochenmark
Unter Leitung von Dr. Borhane Guezguez von der Universitätsmedizin Mainz und Dr. Judith Zaugg vom European Molecular Biology Laboratory (EMBL) Heidelberg untersuchte das Forschungsteam die Knochenmarkumgebung von Menschen mit altersbedingten Blutstammzellmutationen. Besonders im Fokus: die klonale Hämatopoese unbestimmten Potenzials (CHIP), eine genetische Veränderung, die bei 10 bis 20 Prozent der über 60-Jährigen und bei fast 30 Prozent der über 80-Jährigen auftritt. Obwohl CHIP meist symptomlos bleibt, erhöht sie das Risiko für Blutkrebs um das Zehnfache und steigert gleichzeitig das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Ähnliches gilt für Myelodysplastische Syndrome (MDS) – Erkrankungen, bei denen die Blutbildung gestört ist und die sich bei bis zu 30 Prozent der Betroffenen zu einer akuten myeloischen Leukämie (AML) entwickeln können.
Die Forschenden fanden heraus, dass in der Mikroumgebung des Knochenmarks von CHIP- und MDS-Patienten eine spezielle Gruppe entzündlicher mesenchymaler Stromazellen dominiert. Diese verdrängen gesunde Stromazellen und setzen große Mengen entzündlicher Signalmoleküle frei. Diese Moleküle locken Interferon-responsive T-Zellen an, die die Entzündungsprozesse weiter verstärken. Das Ergebnis: Die normale Blutbildung wird massiv gestört.
Dr. Guezguez betont die Bedeutung der Erkenntnisse: „Unsere Untersuchungen zeigen, dass die Mikroumgebung des Knochenmarks die frühesten Entwicklungsstadien von Blutkrebs aktiv beeinflusst.“ Er erklärt weiter: „Dank der Fortschritte bei der Genanalyse können wir Vorstufen von Blutkrebserkrankungen bereits Jahre vor dem Auftreten von Symptomen erkennen. Unsere neuen Erkenntnisse zu den Wechselwirkungen zwischen Stroma- und Immunzellen könnten daher die Grundlage für vorbeugende Therapien bei CHIP oder MDS bilden, die auf die Mikroumgebung des Knochenmarks ausgerichtet sind und das Fortschreiten der Krankheit verhindern, bevor eine Leukämie entsteht.“
Zudem könnten die neu identifizierten molekularen Signaturen entzündlicher Stromazellen und Interferon-responsiver T-Zellen künftig als Biomarker dienen, um Risikogruppen frühzeitig zu erkennen.
Bedeutung für das Verständnis des Alterns
Die Ergebnisse leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des sogenannten Inflammaging – einer chronischen, niedriggradigen Entzündung, die vielen altersbedingten Krankheiten zugrunde liegt. Dazu gehören neben Krebs auch Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen.
Internationale Zusammenarbeit
Die Studie wurde gemeinsam mit dem EMBL Heidelberg, dem Universitätsklinikum Dresden, dem Karolinska-Institut in Schweden, der Sorbonne Université sowie Partnerinstitutionen des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung durchgeführt. Gefördert wurde die Arbeit unter anderem vom European Research Council und der José Carreras Leukämie-Stiftung.
Mit ihren Erkenntnissen liefert die Mainzer Forschungsgruppe einen entscheidenden Baustein für zukünftige Therapiestrategien, die Blutkrebserkrankungen möglicherweise bereits im Ansatz stoppen könnten.
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