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Wolfgang Niedecken trifft Heinrich Böll. Zu dieser Sendung lädt der WDR ein. Es ist 1984. Der Sänger der Kölner Gruppe BAP ist in den Schlagzeilen. Seine Band sollte in der DDR auftreten. Doch weil die Rocker nicht darauf verzichten wollten, ein Lied zu spielen, in der sie Kritik an der SED üben, platzt am Ende der Auftritt. Nun sitzt Niedecken Böll gegenüber. Der Träger des Nobelpreis für Literatur ist damals schon eine lebende Legende – eine leider nur noch wenige Monate lang lebende Legende.

Nun hat das ZDF Niedecken eingeladen. Er trifft auf Henning May, Sänger der Kölner Band „AnnenMayKantereit“. Als Niedecken den DDR-Gig hat platzen lassen und dann auf Böll getroffen ist, war May nicht einmal geboren. So ist das im Leben des Sängers. Vieles ist „Verdamp lang her“, wie der bekannteste Song der Band heißt.

Niedecken sagte später über das Gespräch mit Böll, dass es ungleich gewichtet gewesen sei. Zu groß sei sein Respekt für den Vorkämpfer für Freiheitsrechte gewesen. Zu interessant, was der über die Kölner Vergangenheit oder über die Schrecken des Krieges zu erzählen hatte. Zu unbedeutend habe er, Niedecken, sich im Vergleich dazu gefühlt.

Respekt-Barriere überwunden

Heute sitzt er May gegenüber, der ihm gleich zu Beginn eine „Leuchtturm-Qualität“ zuschreibt. May sagt, Niedecken sei ein Vorbild für Nachfolgende gewesen. Auch oder gerade weil der das nie habe sein wollen.

Doch anders als seinerzeit Niedecken traut sich May was. Er hinterfragt zum Beispiel dessen Song „Widderlich“. Zu pauschal würden darin Politiker abqualifiziert, zu einseitig fördere das Verdrossenheit, findet May.

Niedecken reagiert nicht altväterlich. Er öffnet sich dem Interviewpartner und erzählt, wie es seinerzeit zu dem Song gekommen ist. Wie er Anfang der 90er Jahre unter dem Eindruck der rassistischen Übergriffe in Rostock oder Hoyerswerda gestanden habe. Und wieso es aus seiner Sicht manchmal nötig sei, Inhalte zu überzeichnen, um sie deutlich zu machen.

Wohnzimmer-Atmosphäre

Spannend wird es unter anderem, wenn beide über das Verhältnis zu ihren Vätern reden. Niedeckens „Verdamp lang her“ handelt von dieser problematischen Beziehung. Auch wenn sich für viele Fans mittlerweile eine ganz andere Bedeutung über die Zeilen gelegt hat.

Das ZDF hat „Die Geschichten müssen raus!“ ganz bewusst an das legendäre Gespräch mit Böll angelehnt. Dabei ist dem Sender ein überzeugendes Format geglückt. Fehler, die damals gemacht wurden, haben die Mainzer dieses mal vermieden. Die Sitzhaltung Bölls und Niedeckens erinnerte seinerzeit an den Besuch eines Vaters bei seinem Sohn, der im Knast hockt.

May und Niedecken sitzen in Wohnzimmer-Atmosphäre und lassen ihre Gedanken so entspannt laufen, wie das halt möglich ist, wenn mehrere Kameras vor einem stehen.


Das ZDF zeigt „Wolfgang Niedecken und Henning May: Die Gedanken müssen raus!“ am Freitag, 26. März, ab 10 Uhr. Das Interview ist Teil eines Themenschwerpunktes zum bevorstehenden 70. Geburtstag des Sängers.