Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten beraten an diesem Dienstag über einen härteren Lockdown. Über Vorabberichte in den Medien haben die Verantwortlichen die Akzeptanz für verschiedene Maßnahmen getestet: Ausgangssperren, Bus und Bahnen stilllegen, eine Pflicht für FFP2-Masken im Supermarkt oder Grenzkontrollen. Vorab ist nur eins klar: Einen absoluten Lockdown kann es nicht geben.


„Es wird hart bis Ostern.“ So viel lässt die Kanzlerin schon mal vor der Runde mit den Ministerpräsidenten wissen. Wie hart die am Dienstag zu beschließenden Maßnahmen tatsächlich werden, ist indes offen. Zwar wird und wurde vorab über einige Vorschläge berichtet. Doch darauf ist nur bedingt Verlass.

Zum einen handelt es sich um Testballons: Verantwortliche Politiker lassen Vorschläge anonym durchsickern. So können sie sehen, ob ein Großteil der Bürger diese akzeptiert. Tun die das dann nicht, fällt es nicht auf den Ideengeber zurück. Dann gibt es Politiker, die nicht in Verantwortung stehen, dafür aber umso mehr Vorschläge machen. Auf den Startseiten mancher Nachrichtenportale konkurriert die Meldung über den Vorschlag A von Karl Lauterbach, mit den Meldungen über die Vorschläge B und C des Bundestagsabgeordneten ohne Amt.

Grenzen der Maßnahmen

Doch der Lauterbachsche Deal – Aufmerksamkeit gegen Forderungen nach härteren Maßnahmen – könnte an diesem Dienstag an seine Grenzen stoßen. Denn einen absoluten Lockdown kann es nicht geben. Irgendwann ist der gesellschaftliche Preis in Form von zerstörten Existenzen, Hunger, Kälte oder zu Selbstmorden führenden Verzweiflung zu hoch.

Ein absoluter Lockdown würde bedeuten, dass sich für eine gewisse Zeit alle – wirklich alle – in ihrer Wohnung isolieren. Angesichts der Zeit, die das Corona-Virus zum Ausbrechen braucht, wären das zwei Wochen. 14 Tage ohne Strom, fließend Wasser, Müllentsorgung, Lebensmittelversorgung und medizinische Versorgung? Das wird es nicht geben.

Die Tatsache, dass der Staat solche „systemrelevanten“ Leistungen weiter anbieten muss, wirft die Frage auf: Was alles zählt zu den „systemrelevanten“ Leistungen? Ist es nur die Grundversorgung, die meist im kommunaler Hand ist. Oder kommen weitere wirtschaftliche Leistungen hinzu?

Mehr als Gewinnstreben

Im ersten Lockdown haben Verantwortliche wie Finanzminister Olaf Scholz oder Wirtschaftsminister Peter Altmaier den Eindruck erweckt, alle Schäden, die durch die Pandemie entstehen, könnten durch staatliche Ausgaben abgefedert werden. Garniert haben sie das mit einer Babysprache a la „Wumms“ und „Bazooka“. In einer Bevölkerung, die sich ohnehin von wirtschaftlichen Zusammenhängen entfremdet hat, erweckte das den Eindruck, bei wirtschaftlichen Interessen ginge es ohnehin nur um die egoistischen Interessen der ohnehin Reichen.

Das tut es nicht. Es geht um wesentlich mehr. Und zwar um das, was Wirbeltiere wie der Mensch benötigen, um zu überleben: Nahrung. Schon jetzt sorgt die Einreiseverordnung für Probleme. Spediteure sprechen davon, dass die Versorgung gefährdet werden könnte durch härtere Maßnahmen.

Staatliche Eingriffe folgen auf staatliche Eingriffe

Grundsätzlich gilt: Staatliche Eingriffe ziehen staatliche Eingriffe nach sich. Denn untersagt der Staat einer Privatperson sich zu helfen, muss er das für diese Person tun. Oder es entstehen Härten. Im Frühjahr wurden Finanzämter, Stromanbieter oder kommunale Wohngesellschaften noch angehalten, während des Lockdowns auf Zwangsmaßnahmen zu verzichten.

Ein Beispiel: Jemand ist aufgrund finanzieller Engpässe im Frühjahr davon bedroht, den Strom abgestellt zu bekommen oder die Wohnung zu verlieren. Normal gäbe es Wege, sich selbst zu helfen: (Mehr) Arbeit suchen, Besitz verkaufen, Geld verdienen, Freunde aufsuchen… Kommen aber Ausgangssperren und ein Stillstand von Bussen und Bahnen, dann wäre der Betroffene aus dem Beispiel dazu verurteilt, in einer dunklen, kalten Wohnung eingesperrt zu sein. Ein Schicksal, das der Staat in normalen Zeiten nicht einmal Mördern und Vergewaltigern zumutet.

Käme die Pflicht von FFP2-Masken im Supermarkt, brächte das die Menschen in Not, die sich Wechselmasken zum Stückpreis von 3 Euro nicht leisten können. Oder was ist mit Obdachlosen während einer Ausgangssperre? Teilt der Staat ihnen Wohnraum zu oder verfolgt er sie dann noch mit Bußgeldern?

Erwartungshaltung: Staat muss helfen

Macht der Staat wegen der Pandemie strenge Vorschriften, muss er seinen Bürgern helfen, diese einhalten zu können. Rechtlich ist das zwar nicht so. Aber als Erwartungshaltung gibt es diese Position. Doch auch die reiche Bundesrepublik stößt finanziell bereits jetzt härter an ihre Grenzen, als es ihre Politiker im Wahljahr öffentlich vertreten wollen. Das führt zu Frust.

Eine noch größere Frustquelle speist sich allerdings aus dem Widerspruch, wie viel Entschlossenheit staatliche Vertreter von Bürgern verlangen – die sollen bereit seien, zur Not ihrer Existenzgrundlage beim Sterben zuzusehen. Und wie halbherzig der Staat an den Stellen die Pandemie bekämpft, an der er selbst verantwortlich wäre:

  • Beim Einkauf der Impfdosen galten Preisvorbehalte osteuropäischer Staaten und nationale Wirtschaftsinteressen Frankreichs mehr als der schnelle Einkauf der Impfdosen.
  • Impfungen verzögern sich, weil Impfzentren nicht auf Meldedaten zugreifen dürfen. Bei Steuern oder Rundfunkgebühren kein Problem.
  • Über die Feiertage haben sich Gesundheitsämter und Robert Koch Institut offenbar ein Päuschen gegönnt bei der Weitergabe der Infektionsdaten, sodass keine zuverlässigen Daten zur Verfügung standen, als der Lockdown zum letzten mal verlängert und verschärft wurde. Das Spiel wiederholt sich an jedem Wochenende.
  • Während Nigeria auf ein deutsches Software-Paket zur Übertragung der Gesundheitsdaten setzt, ist es in Deutschland immer noch das Fax-Gerät.
  • Die Daten, die bei Infektionen erhoben werden, sind so dünn, dass keine Auswertung und Schlüsse auf Infektionsherde möglich sind, beklagen die Experten.
  • Obwohl es in der Pandemie als oberstes Ziel gilt, das Gesundheitssystem nicht zu überlasten, werden weiterhin Krankenhäuser geschlossen.

Folgen müssen abgewogen werden

Im Amerikanischen gibt es das Sprichwort: Wenn der Köder teurer ist als der Fisch, hör auf zu angeln. Spätestens ab Dienstag wird der Lockdown einen Punkt erreichen, an dem sich die Frage stellt, ob die Folgen der Maßnahmen nicht schlimmer sind, als das Szenario, das mit den Maßnahmen bekämpft wird? Diese Debatte wird die kommenden Wochen bestimmen.

Wenn die Verantwortlichen in der Politik Entschlossenheit im Kampf gegen Corona wünschen, genügt es nicht, einige abgenutzte Buzz-Wörter ins Mikrofon zu nuscheln: „Solidarität, hart für alle, gemeinsam…“ Wollen sie Entschlossenheit, sollten sie damit anfangen, ihre eigenen Aufgaben entschlossen anzugehen.