Bundeskanzlerin
Bundeskanzlerin

Die Osterruhe hat die Kanzlerin zurückgenommen; immer mehr Städte melden sich als „Modellregionen“, um mit den Öffnungen schneller weitergehen zu können – die öffentliche Wahrnehmung steht auf „Ende des Lockdowns“. Doch dessen Gegner und Kritiker sollten sich nicht zu frühen – der Rollback wird kommen. Er ergibt sich aus dem Logik des System Merkels.


Angela Merkel hat sich hochgearbeitet: Von Kohls „Mädchen“, über den CDU-Vorsitz bis zur Kanzlerin, die drei mal im Amt bestätigt wurde. Wer ihr alle Kompetenzen abspricht, wie manche ihrer Gegner das gerne tun, greift automatisch ins Leere. Angela Merkel hat Stärken.

Im machtpolitischen Bereich ist die deutsche Kanzlerin die beste Akteurin, die es in der demokratischen Welt in den letzten 30 Jahren gegeben hat: Stimmungen aufgreifen, Mehrheiten schaffen, treue Gefolgsleute hinter sich scharen oder in nächtlichen Sitzungen Verhandlungspartner über den Tisch ziehen – in all diesen Disziplinen gibt es keinen, der Angela Merkel etwas vormacht.

Nur: Irgendwann stellt sich auch die Frage, mit was frau sich da am Verhandlungstisch durchgesetzt hat. Manchmal ist das Durchgesetzte so schlecht, dass frau es 30 Stunden später zurücknehmen und sich dafür entschuldigen muss. Was zu Merkels großer Schwäche führt: Im inhaltlichen Bereich ist die Kanzlerin bestenfalls Bezirksklasse.

Machterhalt statt Lösungen

Weltklasse ist Angela Merkel darin, Zeit zu gewinnen. Doch wenn es darum geht, etwas aus dieser Zeit zu machen, scheitert sie regelmäßig. Das gilt sogar für ihre großen Erfolge wie etwa die Bankenrettung, als sie einen Zusammenbruch verhinderte, indem sie die Sicherheit der Spareinlagen staatlich garantierte. Danach hat sie allerdings nichts Wirksames unternommen, das die Spekulationsblasen eingeschränkt hätte.

Erst recht gilt es für ihre Baustellen. Etwa die Einwanderungspolitik: Wo ist die europäische Lösung? Die ist längst zur urbanen Legende geworden. Wo ist das Einwanderungsgesetz, das regelt, wer zu uns kommen darf und wer nicht? Selten genug wird Merkel danach gefragt. Viele Journalist:innen sehen sich in dieser Frage nicht als eine Instanz der Aufsicht, sondern als medialer Arm der Merkelschen Linie. Das verschafft ihr Zeit. Mittlerweile sechs Jahre. Doch sie nutzt diese eben nicht für Lösungen – sondern zum Machterhalt.

Genau so verläuft die Pandemiepolitik in Deutschland seit 14 Monaten: Zeit gewinnen, Stimmungen schaffen, treue Gefolgschaften hinter sich scharen – das genügt vielleicht, wenn es um Frauenquoten geht, CSU-Landräte einzuschwören. Aber ein weltweit agierender und mutierender Virus lässt sich so eben nicht besiegen.

Merkel ist in allen Zielen gescheitert

Merkel ist in allen Zielen der Pandemiepolitik gescheitert: Obwohl Experten genau davor gewarnt haben, hat der Virus vor allem in Alters- und Pflegeheimen gnadenlos zugeschlagen. In einem seit fünf Monaten dauernden Lockdown steigen die Infektionszahlen ebenso gnadenlos. Und nicht einmal die europäische Einigkeit funktioniert: Mittlerweile sucht jeder Mitgliedsstaat nach eigenen Wegen, mit dem Impfchaos umzugehen, verhandelt dabei mit Russland oder China – und keiner bittet mehr Merkels Schülerin Ursula von der Leyen dabei um Hilfe.

Als Merkel die „Osterruhe“ zurücknahm, achteten alle auf ihre Entschuldigung. Dabei ging unter, dass die Kanzlerin zum ersten mal selbst eingeräumt hat, dass es beim Lockdown auch Kosten gibt, die mit dem Nutzen abzuwägen sind. Und angekündigt, dass manche Kosten zu hoch sein werden. Die Lockdowns werden also Grenzen haben. Welche das sind, ist Merkel nicht gefragt worden. Doch eine Schließung der Supermärkte oder ein Stilllegen der Auto-Industrie oder anderer Schlüsselbranchen sind in der zurückliegenden Woche faktisch in weite Ferne gerückt.

Merkel wird nicht kampflos gehen

Angela Merkel ist eine Machtpolitikerin. Sie wird das Feld nicht kampflos verlassen. Auch wenn sie jetzt erst einmal eine mediale Auszeit genommen hat – nach Niederlagen ist das eher ein taktisches Manöver als eine Kapitulation. Zuerst schickte Merkel andere vor, die für sie für die Idee nächtlicher Ausgangssperren und anderer Verschärfungen des Lockdowns werben. Wer indes jetzt schon das Ende des Lockdowns feiert, der freut sich zu früh. Heute Abend spricht sie selber bei Anne Will. Überraschungen braucht da allerdings niemand zu erwarten.

Der Lockdown wird weiter das wichtigste Instrument in der Merkelschen Pandemiepolitik bleiben. Nur bleibt ihr da nicht mehr viel Spielraum, wenn sie gleichzeitig einige Lockdown-Maßnahmen ausschließt, wie am Mittwoch angekündigt.

Setzt Merkel aber weiter auf die Verschärfung des Teil-Lockdowns, produziert das Widersprüche: Menschen müssen tagsüber zur Arbeit, dürfen aber abends nicht mehr vor die Tür. Manchen Gewerben wird das Arbeiten verboten, während anderen nicht mal eine Testpflicht zugemutet wird. Menschen müssen unter den Zumutungen eines zeitlich nicht befristeten Lockdowns leiden und gleichzeitig explodieren die Infektionszahlen. Wir erleiden das alles, um das Gesundheitssystem zu schonen – unterdessen werden seit einem Jahr reihenweise Krankenhäuser geschlossen.



Widersprüche sind schwerer zu ertragen

Nach einem halben Jahr Pandemie werden diese Widersprüche immer schwerer zu ertragen sein. Auch wenn Umfragen anderes suggerieren: Der Unmut ist greifbar. Und er hat längst den Bereich randständiger Querulanten verlassen – und reicht bis in die gesellschaftlichen Eliten hinein.

Merkels Schwäche in der Konzeption von Inhalten greift umso härter: Unterricht kann nicht stattfinden, weil es nach über einem Jahr Entlüftungsfilter in Schulen immer noch nicht flächendeckend gibt. Gesundheitsämter bleiben mit der Kontaktverfolgung überfordert, weil wir Digitalisierung immer noch nicht leben, sondern wie Merkel für schwieriges „Neuland“ halten.

In Mainz könnte zum Beispiel eine Warn-App eingeführt werden. Die tausenden Zettel, die über den Sommer in Gaststätten handschriftlich ausgefüllt wurden, wären eine anachronistische Anekdote. Doch das ist nicht möglich. Weil die Software fehlt. Immer noch.

Der schillerndste Versager

Die Wirtschaftshilfen ruhen. Während echte Unternehmen Tonnen an Unterlagen eingereicht haben, ohne bisher einen Cent gesehen zu haben, haben Betrüger Millionen erhalten mit falschen, offenbar nicht überprüften Angaben. In Merkels Parade willfähriger Versager ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier der am schrillsten leuchtende.

Deren Versagensbilanz ist zu groß, um sie vollständig wiedergeben zu können. Deswegen nur ein paar Highlights: Digitalisierung und Bürokratie sind in Deutschland in einem so schlechten Zustand, dass sie eher ein Problem als eine Lösung sind. Straßen und Brücken zerbröckeln. Die Boomer gehen reihenweise in Rente, was die Sozialkassen belasten wird. Und viele Plätze in der Produktion bleiben leer, weil aus den Reihen de Einwanderer nicht die Zahl an Fachkräften kommt, die sich die Wirtschaft gewünscht hätte. Und darüber thront ein Verkehrsminister, der Unsummen für Berater eines Projektes ausgegeben hat, das dann gar nicht gekommen ist und der jetzt – blanker Hohn – für die Beschaffung der Schnelltests zuständig ist.

Rücksicht auf Auto-Industrie

Von ihrem Team kann Angela Merkel Willfährigkeit erwarten. Aber keine Pandemie-Konzepte, für die sie sich nicht früher oder später entschuldigen muss. Lockdown allein ist kein Mittel, die Pandemie zu überwinden. Ein Teil-Lockdown erst recht nicht. Er verschafft nur Zeit. Doch sich diese Zeit zu erkaufen, ist nur dann sinnvoll, wenn aus der Zeit auch etwas gemacht wird. Das ist von dieser Kanzlerin nicht zu erwarten. Eine zielgerichtete Pandemiepolitik folglich auch nicht.

Stattdessen wartet Symbolpolitik auf uns. Die Anfänge sind schon längst zu erkennen. Möglichst drastische Maßnahmen mit fragwürdiger Auswirkung auf die Verbreitung des Virus. Die Ausgangssperre zum Beispiel. Doch Angela Merkel wird solche Symbolpolitik brauchen, sonst müsste sie das Versagen ihrer Politik eingestehen. Und wenn sie auch Rücksicht auf die Auto-Industrie nimmt – der einfache Bürger braucht darauf nicht zu hoffen.