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Thomas Will, der Landrat des Kreises Groß-Gerau, legte immer einen besonderen Fokus auf das Bildungswesen. BYC-News sprach mit ihm darüber, wie die Pandemie sich auf die Schüler auswirkt und wie man dem entgegenwirken könnte.


„Ich glaube nicht, dass wir durch die Pandemie ein kognitives Problem haben“

Viele befürchten, dass die Schüler den Lernstoff, den sie während der Pandemie verpasst haben, nicht wieder aufholen können. An diesem Punkt, sei Thomas Will aber zwiegespalten, erklärt er: „Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es in diesem Land immer wieder schwierige Situationen gab. Ich erinnere nur an die Nachkriegsgeneration oder aber auch an die Generation vor dem Krieg, die dann in den Jahren 1944 bis 1946 ihren Schulabschluss, teilweise ein Notabitur, gemacht hat. Ich würde diese Menschen aber auf keinen Fall als verlorene Generation bezeichnen sondern ganz im Gegenteil. Sie haben trotz der Probleme, die es gab, dieses Land mit aufgebaut. Ob in der Wirtschaft, in der Politik oder anderswo.“

In den mittleren 60er Jahren sei in Hessen auch das Schulsystem umgestellt. Früher sei man an Ostern eingeschult, dann im Herbst. Es habe damals zwei Kurzschuljahre gegeben, erklärt Will, wodurch jeder Schüler ein halbes Jahr verloren habe. „Hat man davon irgendetwas gemerkt? Nein. Also ich glaube nicht, dass wir durch die Corona-Pandemie ein kognitives Problem haben, denn das haben wir sowieso aufgrund dieses immensen Schulstoffes, von dem man der Meinung ist, dass er behandelt werden sollte.“

Probleme beim Thema soziale Kontakte

Ich glaube eher, dass wir ein Problem bekommen was die Sozialstrukturen betrifft. Kinder waren zuhause und waren sich selbst überlassen. Nicht alle leben in einer 700 Quadratmeter Grundstück mit Garten und allem was dazu gehört. Viele leben in 60 Quadratmeter Geschosswohnungsbau. Ich glaube diese Entwicklungsverzögerung aufzuholen ist das Entscheidende woran wir gemessen werden. Auf jeden Fall werden wir am Ende nicht daran gemessen, ob die Schüler jetzt eine binomische Formel oder 17 Vokabeln mehr können oder nicht. Worum es mir geht ist deshalb viel eher das Thema verlorenes Jahr durch nicht vorhandene Sozialkontakte. Denn das trifft das Kita-Kind genauso wie das Schulkind, den Abiturienten und den Studenten. Denn für junge Menschen ist ein Jahr eine ganz andere Zeiteinheit als für ältere Menschen, die schon 50 oder 60 Jahre hinter sich haben“, erklärt der Landrat.

Eine Möglichkeit, das aufzufangen seien die Angebot, die in den Schulen gemacht werden rund um den Ganztag. Zum anderen könne man auch mit den Angeboten, die in Vereinen gemacht werden, entgegenwirken. Damit könnten die Kinder und Jugendlichen wieder lernen, miteinander umzugehen. „So bekommen wir auch die Grundaggressivität, die in unserer Gesellschaft vorhanden ist wieder raus. Vor allem ist es aber wichtig zu schauen, wo Kinder vielleicht durch das Raster fallen. Der Kita- oder Schulbesuch hatte ja auch immer den Vorteil, dass man die Kinder persönlich gesehen hat. Man hat gesehen, ob sie morgens vernünftig angezogen in die Schule kam, ob sie ein Frühstück dabei hatte und ob da zuhause alles stimmt. Das hat was mit sozialem Hinschauen zu tun, was jetzt ein Jahr lange nicht möglich war. Und das merken wir erst jetzt, wenn wir in die Wohnungen rein schauen, die das Jugendamt gemeldet bekommt“, so Will.

Digitalisierung an den Schulen

„Was die Digitalisierung und die Hardware angeht, sind wir im Landkreis sehr gut ausgestattet. Wo wir nicht gut sind ist das Thema Bandbreiten, WLAN und Ähnliches. Da haben die Anbieter in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben gar nicht gemacht. Wenn dann wollte man nur das schnelle Geld machen, man hat also da Ausgebaut, wo man viele Nutzer hat. Dadurch sind aber viele Kommunen abgehängt worden und das ist immer noch der Fall. Und wo wir als Landkreis auch schlecht sind ist das Thema Wissensvermittlung. Denn wenn die Schüler ihren Lehrern in vielem voraus sind, dann stimmt an dieser Stelle irgendetwas im System nicht“, berichtet Thomas Will.

Zudem müsse man auch überlegen, inwiefern Hybrid-Unterricht stattfinden könne. Dann könnten beispielsweise 10 Schüler von zuhause und 10 Schüler in der Klasse unterrichtet werden. „Bislang darf das aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht stattfinden, wegen den Lehrern. Denn die könnten ja irgendwo aufgenommen und ins Netz gestellt werden. In Norwegen oder in Australien ist das überhaupt keine Frage, bei uns aber schon. Und sowas sind dann Gründe, weshalb das bei uns nicht umsetzbar ist“

Der Landrat betont aber auch: „Für mich ist aber auch ganz klar, dass digitaler Unterricht nicht die Regel werden darf. Denn wir Menschen sind einfach analoge Wesen und brauchen uns alle gegenseitig. So schön solche Kachel-Sitzungen am Bildschirm auch sind, um mal schnell etwas zu klären, so wichtig ist auch der persönliche Kontakt. Das darf bei all der Digitalisierung nicht verloren gehen“

BYC-News sprach mit Thomas Will auch darüber, was ihn zur Politik brachte. Thomas Will: Landratskandidat für den Kreis Groß-Gerau