Mainz. Habeck-Hype und Greta-Glamour. Grüne Themen erleben derzeit einen Boom und davon profitiert auch die Partei die Grünen. Von diesem Rückenwind angetrieben könnte Tabea Rößner die erste Mainzer Oberbürgermeisterin werden. Zumal das Pflanzen von Bäumen oder der Ausbau des Radnetzes bereits den Wahlkampf bestimmen. Auch getragen von der grünen Kandidatin Rößner, die im Interview mit Boostyourcity.de zudem einen neuen Vorschlag zu den Mainzer Mietproblemen macht.

Frau Rößner, wir haben in Mainz die erstaunliche Situation, dass wir Grüne in der Verantwortung haben, diese die Verbesserung der Situation der Radfahrer als politische Forderung haben und sich die Lobbyverbände trotzdem über die schlechte Situation für Radfahrer in Mainz beschweren. Wie ist das möglich?

Es gibt verschiedene Faktoren. Ganz sicher liegt es nicht am Willen der Verkehrsdezernentin Katrin Eder. Wenn es alleine nach ihr ginge, hätten wir schon jetzt ein besseres Radwegenetz. Sie hat viel auf den Weg gebracht, ist aber oft ausgebremst worden. Geschuldet ist die jetzige Situation zum Beispiel der finanziellen Ausstattung. So haben wir bisher in Mainz nur eine Radfahrbeauftragte, das reicht einfach nicht. Dann wiederum sind manche Straßen zu eng. Da sagen die einen, die Radfahrer bremsen die Autofahrer aus. Andere sagen, das Fahren dort ist nicht sicher genug. Insgesamt, denke ich, brauchen wir in diesen Straßen eine Entschleunigung des Verkehrs und auch den Mut, den vorhandenen Platz anders zu verteilen. An einigen Stellen gibt es auch breite Straßen, an denen es gut möglich ist, direkt eine Radstraße einzuführen. Die Kaiserstraße wäre eine Möglichkeit, die ich umsetzen würde.

Nun führen die Mainzer Grünen seit zwei Wahlperioden eine Koalition mit der FDP und der SPD. Mit Nino Haase tritt ein Kandidat an, der unabhängig ist, aber von der CDU unterstützt wird. Er macht selbst Wahlkampf mit dem Thema, die Situation für Radfahrer verbessern zu wollen. Haben die Grünen bisher die falschen Koalitionspartner?

Gut ist: Das Thema ist in der breiten Bevölkerung angekommen. Die Diskussionen zeigen, dass wir da auf dem richtigen Weg sind. Dass es aber auch Unterstützung und Erfahrung braucht.  Nino Haase hat gar keine Koalitionspartner. Die Frage ist also, wie nachhaltig das ist, was er fordert.

Aber es gäbe im Stadtrat potenziell eine andere Mehrheit?

Es hat auch Sondierungsgespräche gegeben. Aber die haben offensichtlich zu keinen Ergebnissen geführt. Wenn es in Sachthemen parteiübergreifende Mehrheiten gibt, bin ich dafür.

Nun hat sich bei der Kommunalwahl das Machtgefüge verschoben. Die Grünen sind die stärkste Fraktion im Stadtrat. Inwiefern macht das Ihre Partei selbstbewusster?

Ich denke, wir können mit gutem Recht selbstbewusster werden und mehr machen. Die Wahl war auch eine Bestätigung, dass das viele, was wir gemacht haben, richtig war. Allerdings hat es dabei bisher viele Widerstände gegeben. Ich nehme nur das Thema Parkplätze, um die es sehr viele Diskussionen gegeben hat. Die Debatte hat sich mittlerweile verschoben. Vielen ist klar geworden, dass wir aus Parkplätzen Radwege machen können, wenn wir die Parkhäuser modernisieren.. Mit klaren Mehrheiten können wir unsere Themen nun schneller und besser erreichen.

Wäre es nicht sinnvoll, die Drucksituation zu nutzen, dass es auch einen anderen möglichen Koalitionspartner gäbe?

Wenn es andere Akteure wären, wäre das vielleicht einfacher. Ich war zwar bei den Sondierungsgegeprächen nicht dabei, aber die haben offensichtlich gemacht, dass es keine Basis für eine andere Option gibt. Auch wenn das in anderen Verhandlungen vieles einfacher gemacht hätte.

Das komplette Videointerview:

 

„Neuer Stadtteil bei Hechtsheim wäre fatal“

Die Grünen stellen in Mainz zwei Dezernenten. Wieso tritt dann jemand aus Berlin als Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl an?

Nun bin ich ja nicht aus Berlin. Ich bin Mainzer Abgeordnete. Ich lebe hier, bin hier vernetzt, war lange hier ehrenamtlich tätig und das kommunale Geschehen ist mir nicht fremd. Ich war unter anderem in den Aufsichtsräten der KMW oder der Stadtwerke. Die Situation war die, dass wir bei den Grünen lange zusammengesessen und diskutiert haben: Wer kann es am besten machen, wer hat die meisten Kapazitäten und Lust darauf. Günter Beck hat ja schon zweimal kandidiert, Katrin Eder hat durch die Geburt der Zwillinge eine andere Situation. Ich habe in Berlin immer Mainzer Interessen vertreten und bin eine Abgeordnete aus dem Wahlkreis.

Können Sie ein Beispiel für das Vertreten von Mainzer Interessen in Berlin nennen?

Zum Beispiel das Thema Fluglärm. Ich habe in Berlin einen interfraktionellen Arbeitskreis gegründet, der sich für das Thema einsetzt. Das Gleiche habe ich in Bezug auf Bahnlärm gemacht. Oder bei dem Thema Städtebauförderung, als die zusammengestrichen werden sollte, habe ich dagegen gekämpft.

Bei Nino Haase und Michael Ebling stand früh fest, dass sie kandidieren wollen. Warum hat es bei den Grünen so lange gebraucht, bis sie sich entschieden hatten?

Es hat nicht lange gebraucht. Es war eine bewusste Entscheidung, es erst nach der Kommunalwahl zu verkünden. In einem Kommunalwahlkampf treten Parteien mit Programmen an. Eine Personenwahl hätte diese beeinflusst. Aus dem gleichen Grund hat auch die SPD ihren Kandidaten erst später nominiert. Der Kommunalwahlkampf sollte nicht von einer Personaldiskussion überschattet werden.

Der Kommunalwahlkampf war erstaunlich inhaltsfrei. Der OB-Wahlkampf ist nun inhaltsstark. Es gibt zum Beispiel eine Debatte über das Thema Wohnen. Der Amtsinhaber hat den Bau eines neuen Stadtteils zwischen Hechtsheim und Ebersheim angekündigt. Sie waren dagegen. Wieso?

Ich vertrete nicht die These, dass der Kommunalwahlkampf inhaltsleer war. Wir hatten durchaus inhaltliche Veranstaltungen. Aber in der Tat ist es spannend, wenn der Amtsinhaber nun einen neuen Stadtteil fordert, obwohl er den Vorschlag bisher abgelehnt hat. Ich finde das schwierig, weil es ein Schnellschuss war. Gerade für eine Stadt wie Mainz, in der wir den Klimawandel, die Aufwärmung deutlich spüren, wäre es fatal, wenn wir einen Stadtteil in ein Frischluftentstehungsgebiet bauen. Es ist ja nicht nur eine Schneise. Dort entsteht die frische Luft für die Stadt.

Vorschlag: „Wohnen für Hilfe“

Nun ist die Stadt um 20 000 Einwohner gewachsen und braucht Platz zum Wohnen. Wo soll der herkommen?

Der Druck auf den Wohnungsmarkt ist da. Aber es gibt andere Gebiete, die noch nicht genutzt sind. Zum Beispiel die GFZ- und die Kurmainzkaserne. Kasernen haben in einer Innenstadt nichts zu suchen. Dann gäbe es Potenzial für Aufstockungen, etwa wo es Discounter mit nur einem Stockwerk gibt. Aber die Erfahrung zeigt: Bauen allein wird den Mietpreis nicht senken. Wir müssen auch andere Maßnahmen finden, etwa eine bessere Mietpreisbremse. Und wir müssen dringend mit dem Umland stärker zusammenarbeiten, den öffentlichen Nahverkehr stärken.

Was Sie beschreiben gibt es ja schon: die Nachverdichtung. Aber ist die nicht an ihre Grenzen gestoßen?

Es gibt noch Kapazitäten, in denen Bebauung möglich und teilweise auch schon angeschoben ist. Aber natürlich hat Mainz angesichts seiner Anwohnerzahl eine sehr geringe Fläche. Und wir wollen auch nicht alles zubauen, weil eine Stadt noch Raum braucht, um Lebensqualität zu erhalten. Daher müssen wir manches neu denken.

Zum Beispiel?

Wir haben ganz viele Wohnungen, die nur von einer Person bewohnt sind. So gibt es ganz viele ältere Menschen, vor allem Frauen, die alleine in einer Vierzimmerwohnung leben, obwohl sie die gar nicht mehr ganz beleben können – etwa weil die Heizkosten zu hoch sind. Daher müssen wir Programme anschieben wie „Wohnen für Hilfe“.

Wie funktionieren die?

Junge Menschen zahlen eine günstige Miete, bringen aber Gegenleistungen ein, wie einkaufen zu gehen. Ich habe das selber gelebt. Als wir unser Haus kauften, lebte dort eine ältere Dame, die dachte, sie müsse nun ausziehen. Ich dachte: Wieso, es ist doch genug Platz da? So hat sie mit uns gelebt, wir haben uns gegenseitig geholfen und die Kinder hatten eine Vize-Oma. Nachdem sie gestorben ist, haben wir die Situation geändert: Jetzt lebe ich in den kleineren Räumen, dafür ist eine junge Familie eingezogen.

Mehr Bäume? „Das ist nicht so einfach“

Der Oberbürgermeister oder die Oberbürgermeisterin ist kein rein politisches Amt, sondern auch eine Verwaltungsaufgabe. Die Stadt ist ein großer Arbeitgeber. Inwiefern sind Sie erfahren im Führen einer solchen Verwaltung?

Ich habe Erfahrung in vielen Bereichen gesammelt, auch in Führungspositionen. Zum Beispiel habe ich für einen großen Mainzer Sender – der im Übrigen behördenähnlich organisiert ist – eine Führungsaufgabe ausgefüllt. Ich selbst habe über 20 Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik gesammelt in allen Aufgaben: Als Selbstständige, in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis und in Führungspositionen. Und schließlich bin ich seit 10 Jahren Abgeordnete und kenne die Bundestagsverwaltung sehr gut.

Mainz hat in jüngster Zeit einige Plätze gestaltet, zum Beispiel den Münsterplatz oder die Südmole, die so grau sind, dass sich die Menschen die Frage stellen: Was hat die Stadt eigentlich gegen Bäume?

Die Stadt hat nichts gegen Bäume. Letztlich ist es die Frage, wer sich durchsetzt. Nehmen wir den Münsterplatz, den hat Katrin Eder nicht verantwortet, sondern die sozialdemokratische Baudezernentin. Für die Große Langgasse war indes Katrin Eder zuständig – und die Große Langgasse sieht auch ganz anders aus.

Also gäbe es mit Ihnen als Oberbürgermeisterin mehr Bäume?

Ja. Aber das ist nicht so einfach. Ich kann nicht einfach Baumpatenschaften ausrufen und Bäume einpflanzen. Im Moment sind zum Beispiel die Böden zu trocken. Dann braucht eine Baumscheibe auch ihre Vorbereitung. Das kostet Geld. Und zwar einiges mehr als der Baum selbst. Es müssen viel mehr Dinge beachtet werden als das Versprechen, einfach mal so 1000 Bäume zu pflanzen, vortäuscht.

Das heißt, das Grünamt braucht mehr Personal?

Ja. Wobei auch das nicht so einfach ist. Es ist schon schwierig genug, für die bestehenden Aufgaben Fremdfirmen zu finden.

Kann man nicht die Männer mit den Laubbläsern dafür umschulen?

Ich frage mich auch, ob es immer der Laubbläser sein muss. Aber sie erfüllen ja eine Aufgabe, die sonst auch getan werden müsste.

„Eigentlichen Stellschrauben werden in Berlin gedreht“

Der Laubbläser sollte uns zum Thema Lärm führen. Nun gibt es in Mainz schon einige Jahre eine Initiative gegen Fluglärm. Wenn man ehrlich ist: Viel erreicht hat sie nicht. Im Gegenteil. In der Zwischenzeit ist in Frankfurt das dritte Terminal gebaut worden. Wären Sie da als Oberbürgermeisterin nicht auch ohnmächtig?

Für die Frage muss man in die Geschichte gucken. Die entscheidenden Weichen sind vor über zehn oder 20 Jahren gestellt worden. Wenn es erstmal ein Planfeststellungsverfahren gegeben hat, kann man die Pläne nicht mehr so einfach beschneiden.

Am Ende war es aber ein grüner Verkehrsminister, der in Hessen den neuen Terminal einweihen musste.

Die eigentlichen Stellschrauben werden in Berlin gedreht: Das Flugverkehrsgesetz muss geändert werden, auch das Fluglärmgesetz. Deswegen haben wir in Berlin einen überfraktionellen parlamentarischen Arbeitskreis gegründet, um eine Lobby für Lärmschutz zu gründen. Es ist der umweltschädlichste Verkehr, den wir haben. Wichtig ist es, die Luftbewegungen zu verringern. Nun finde ich den Begriff, Flugscham falsch, aber es ist gut, wenn weniger Menschen fliegen. Das Problem dabei ist: Die Bahn ist noch lange nicht gut genug ausgebaut. Sie hat Jahrzehnte vom Bestand gelebt. Deswegen gibt es dort jetzt viele Engpässe. Wir müssen in die Bahn finanzieren, damit die Menschen nicht weiter ein oder zwei Stunden einsparen, wenn sie fliegen.

Mit Verlaub: Die Flugscham-Debatte ist doch ein journalistisches Phänomen, das mit der Realität nichts zu tun hat: Sowohl Frankfurt als auch die ganze Branche melden steigende Fluggastzahlen – also nichts mit Flugscham?

Wichtig ist, dass wir die Gleichwertigkeit der Verkehrsträger hinbekommen. Abbau der Subventionen beim Flugverkehr, so werden die Kosten für den Flugverkehr deutlich erhöht werden.

Wir hatten von der Ohnmacht der Fluglärminitiative gesprochen. Inwiefern setzen Sie auf Bürgerbeteiligung, um Menschen dieses Gefühl zu nehmen?

Bürgerbeteiligung muss richtig ausgestaltet sein. Es ist schlecht, wenn die Menschen das Gefühl haben, wir werden zwar angehört, aber danach macht die Politik doch, was sie will. Dieser Prozess muss moderiert werden. Am schlimmsten ist es für die Menschen, wenn sie nicht ernst genommen werden. Das ist aber auch eine Frage des langen Atems. Politik ist nichts Kurzlebiges. Die Prozesse sind lang. Wie seinerzeit beim Kohlekraftwerk. Das wäre nicht ohne das Engagement der Bürgerinitiative verhindert worden – aber auch nicht, ohne die Härtnäckigkeit in den politischen Gremien.

Hoffen auf Erfolg für Klagen gegen A643-Ausbau

Nun haben Bürger ja einen Weg gefunden, Einfluss auf die Politik zu nehmen: den Rechtsweg. Inwiefern rechnen Sie damit, dass der Ausbau der A643 über diesen verhindert wird?

Man muss schauen, wie die Entscheidung zustandekam. Es gab eine klare Entscheidung in Mainz und in Rheinland-Pfalz für einen Ausbau „4 plus 2“. Darüber hat sich das Bundesverkehrsministerium einfach hinweggesetzt. Deshalb ist es völlig legitim, wenn Bürger nun klagen. Ich hoffe auch, dass Stadt und Land da eine klare Stellungnahme abgeben. Und ich hoffe, dass die Klagen Erfolg haben werden.

Dann erübrigt sich auch die Frage nach einer vierten Rheinbrücke?

Wir wissen: Wo Straßen gebaut werden, zieht das zusätzlichen Verkehr nach sich. Wir stehen angesichts der Klimakrise vor großen Problemen. Da ist eine neue Brücke nur für PKW sicher nicht der richtige Weg. Aber ich lasse gerne mit mir diskutieren, wenn es um eine Brücke für Fußgänger, Radfahrer und öffentlichen Nahverkehr geht.

Wo?

Also ersteinmal haben wir eine Brücke, die ertüchtigt werden muss, damit sie von Radfahrern genutzt werden kann: die Kaiserbrücke. In Sachen neuer Brücke gibt es das Problem, das wir für diese keinen Ansatzpunkt haben, der schon angeschlossen wäre. Da müssen wir erst einmal in Ruhe schauen, falls es notwendig ist, wo dieser Ansatzpunkt sein könnte.

Was wird das Thema sein, das Ihrer Meinung nach den Wahlkampf bestimmen wird?

Der Klimawandel auf zwei Ebenen: Zum einen der metereologische Klimawandel. Fridays for Future, Klimastreiks – das wird es weiter geben und wird als Thema bestimmend sein. Etwa in der Frage, wie sich die Stadt nachhaltig entwickeln kann. Zum anderen gibt es den gesellschaftlichen Klimawandel. Stichwort Hass und Hetze. Da stellt sich die Frage, wie können wir eine Entspannung der Gesprächskultur sorgen. Da brauchen wir jemanden, der sich dafür einsetzt, verbal abzurüsten – und das bin ich.

Alle bisherigen Interviews der Kandidaten:

Nino Haase (Parteilos)