Symbolbild16
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Johannes Gensfleisch zu Gutenberg ist natürlich kein Unbekannter in Mainz, und wer ihm auf dem Straßenschild am “Gutenbergplatz” begegnet, dem ist, als träfe er einen alten Bekannten. Doch wer war eigentlich Dora Scherf und wer Fritz Kohl? Nach wem genau ist die Mainzer Ludwigsstraße benannt, und was hat es mit dem Frauenlob auf sich, der dem Frauenlobplatz in der Mainzer Neustadt seinen Namen gab?


An wen erinnern die Straßennamen eigentlich?

Das wollten die Mainzer genau wissen, und so gab der Stadtrat vor vielen Jahren schon ein Namens-Kompendium in Auftrag. Das gibt Antwort darauf, wem die Mainzer auf ihren Straßenschildern ein kleines Denkmal setzen – und wem nicht. Die aktuellste Fassung ist von 2016 und listet 620 Persönlichkeiten auf, darunter etwa 60 Frauen. Und dann ist da ja noch die Frage: Warum gibt es in Mainz eigentlich rote und blaue Straßenschilder?

Die Erklärung ist ebenso einfach wie typisch Meenzerisch: Es ist Vater Rhein, der die Farben vergibt. Blaue Straßenschilder markieren nämlich Straßen, die parallel zum Rhein verlaufen, rote Straßenschilder Wege, die im rechten Winkel auf den Rhein zulaufen. Der Legende nach sollen so Mainzer Schoppestecher auf dem Nachhauseweg davon abgehalten werden, versehentlich in den Rhein zu stürzen… Tatsächlich war es der Mainzer Bürgermeister Nikolaus Nack, der im Jahr 1853 den Stadtbaumeister Laske damit beauftragte, die Mainzer Straßen und Hausnummern besser zu ordnen und zu kennzeichnen – nach einem Plan des Mainzer Arztes Josef Anschel.

Anschel hatte bereits 1849 den Antrag im Mainzer Stadtrat gestellt, die Durchnummerierung der Mainzer Häuser besser zu ordnen, Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte da nämlich reichlich Wirrwarr. Es war Anschel, der nach dem Vorbild von Paris und Frankfurt vorschlug, die Straßen vom Rhein aus mit der Hausnummer 1 zu starten und gerade Hausnummern auf der rechten, die ungeraden Hausnummern auf der linken Straßenseite anzusiedeln. Und Anschel schlug das System mit den blauen und roten Schildern vor – jetzt wisst Ihr immer genau, ob Ihr gerade parallel oder senkrecht zum Rhein lauft.

Nach Bürgermeister Nack wiederum ist die Nackstraße in der Mainzer Neustadt benannt – hättet Ihr’s gewusst? Etwa 1620 Straßen und Plätze gibt es in Mainz, mehr als ein Drittel sind nach Personen benannt. Als der Mainzer Stadtrat vor mehr als zehn Jahren beschloss, nachforschen zu lassen, wer die eigentlich alle sind, wühlten sich Praktikanten des Stadtarchivs durch Lexika und alte Akten, durchforsteten Zeitungsartikel und Bücher, forderten Meldeauskünfte an und kontaktierten sogar Angehörige. 624 Persönlichkeiten wurden schließlich in einer Broschüre zusammengetragen, die man sich auf www.mainz.de herunterladen kann.


Die Ergebnisse bergen so manche Überraschung

Da gibt es natürlich zum einen die große Palette von Erzbischöfen und Kurfürsten der Domstadt Mainz, vom Dominitiator Willigis bis zu Georg Friedrich von Greiffenklau, der einst den Grundstein für das Mainzer Schloss legte. Auch Pfarrer, Domkapitulare und Dombaumeister tummeln sich auf den Schildern, dazu kommt die Riege großer deutscher Wissenschaftler von Albert Einstein über den Astronom Johannes Kepler bis hin zu Georg Forster.

Andere Straßenschilder wieder ehren Dichter, Maler oder Komponisten – wie etwa Paul Hindemith. Doch wer weiß schon, dass Hindemith 1962 für die 2000-Jahr-Feier der Stadt Mainz einen “Mainzer Umzug für Sopran, Tenor, Bariton, gemischten Chor und Orchester” schuf? Der Gründer der Arbeiterbewegung, August Bebel, hatte hier einst seinen Reichstagswahlkreis, und die KPD-Abgeordnete Franziska Kessel wurde im Gefängnis im Dalberger Hof von den Nazis zu Tode gefoltert – ein düsteres Kapitel. An den Gründer der Mainzer Freiwilligen Feuerwehr, Karl Weiser, wird indes ebenso erinnert wie an den Marienborner Freiheitskämpfer Ferdinand Secker.

Sie alle spiegeln ein Stück Mainzer Geschichte – angefangen bei den Römern mit ihrem Feldherrn Drusus oder dem Weingott Bacchus, dem im Weinort Hechtsheim eine Straße gewidmet ist. Straßennamen sind auch Spiegel des Zeitgeistes, davon zeugen etwa die Kaiserstraße, der Kaiser-Wilhelm-Ring – benannt nach dem deutschen Kaiser Wilhelm II. – oder eben die Ludwigsstraße, die den einstigen hessischen Großherzog ehrt. Immer wieder für Streit sorgt indes eine andere Straßenbenennung nach einem einstmals beliebten und verehrten Politiker: In den 1920er Jahren wurde auch in Mainz eine Straße nach Paul von Hindenburg benannt, jenem Reichspräsidenten, der 1933 Hitler zum Reichskanzler berief.

In ständig wiederkehrenden Abständen taucht deshalb die Diskussion auf, die Mainzer Hindenburgstraße umzubenennen – zuletzt sehr massiv, als die neue Mainzer Synagoge gebaut wurde. Man könne doch kein jüdisches Gotteshaus an eine Straße stellen, die ausgerechnet jenen Mann ehrt, der Hitler zur Macht verhalf. Alle Umbenennungspläne scheiterten bislang jedoch schlicht an der Menge der Anwohner: Ihnen würde zugemutet, sämtliche Ausweise, offiziellen Dokumente, Visitenkarten, Briefköpfe und so weiter zu ändern. Für die neue Mainzer Synagoge wurde übrigens am Ende einfach aus einem Teil der Hindenburgstraße ein neuer Platz geschaffen – jetzt steht edie Synagoge am Synagogenplatz.


Kritik kommt auch immer mal wieder von anderer Seite

1994 stellte das Mainzer Frauenbüro in einer Bilanz der Straßennamen ernüchtert fest, dass damals nur 2,4 Prozent der Mainzer Straßen nach Frauen benannt waren. Im August 2005 waren es gerade 3,3 Prozent, also 50 Straßen, während über 400 nach berühmten lokalhistorischen Männern benannt sind. 2014 hatte es keine besonders großen Fortschritte gegeben: Da waren vier Prozent der Straßennamen nach Frauenpersönlichkeiten benannt, das entsprach rund 60 Straßen. Das Recht, Straßen zu benennen, liegt übrigens bei den Ortsbeiräten, für sie entwickelte das Frauenbüro der Stadt Mainz deshalb einen Leitfaden “Vergessene Frauen” als Anregung für neue Straßennamen.

Immerhin: In Weisenau erinnert eine Straße an die Hebamme Dora Scherf – sie entband allein 3000 Menschen. Auch nach der Reformerin der deutschen Krankenpflege, Agnes Karll, ist eine Straße in Mainz benannt, sie lebte von 1868 bis 1927 und gründete die Berufsorganisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands. Der Alicenplatz wiederum ist benannt nach der einstigen Großherzogin von Hessen, der Gemahlin von Großherzog Ludwig IV. von Hessen und Tochter Königin Victorias, die von 1843 bis 1878 lebte. Aber auch die Schriftstellerin Ina Seidel wird mit einer Straße in Mainz geehrt, die Bildhauerin Käthe Kollwitz oder die österreichisch-schwedische Physikerin Lise Meitner, die zur Radio- und Kernchemie forschte. Und natürlich wird an Kathinka Zitz erinnert, jene Schriftstellerin, Dichterin, Übersetzerin und Demokratin aus dem Vormärz, die 1849 als 1. Präsidentin den Frauenverein “Humania” mitgründete.

Erinnerung an viele Geschäftsleute

Ansonsten erinnern viele Straßennamen an Mainzer Geschäftsleute wie den Werftinhaber Christof Ruthof, den Gründer der Chemiefabrik Degussa, Ernst Hermann Dietze – oder eben Fritz Kohl: Dem gehörte einst die Bierbrauerei “Zur Sonne” in eben jener Straße, die heute nach ihm benannt ist. Auch dem Autobauer Adam Opel ist natürlich eine Straße gewidmet, die Parcusstraße wiederum ist nach dem einstigen Direktor der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft, August Parcus, benannt. Er baute das Eisenbahnnetz massiv aus, unter anderem durch den Ausbau der Strecke Bingen-Mainz und Mainz-Frankfurt.

Doch es gibt auch die unbekannten “kleinen” Berühmtheiten wie Nikolaus Lenges, ein Schwimmlehrer, dem als vielfachem Lebensretter eine Straße in Mombach gewidmet ist. Und dann ist da Ludwig Schwamb, jener im rheinhessischen Undenheim geborene Sozialdemokrat und Widerstandskämpfer im Dritten Reich, der wegen seiner Beteiligung am Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Und auch der Frauenlobplatz gedenkt einer Mainzer Geschichte: Der Minnesänger Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob, starb 1318 in Mainz – und wurde der Legende nach von trauernden Frauen im Dom zu Grabe getragen.