Anlässlich der Beschlussfassung des Bundeskabinetts am 18.11.2020 zur Umsetzung der UTP-Richtlinie begrüßt der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, dass die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie über unlautere Handelspraktiken auch unter Nutzung nationaler Gestaltungsspielräume endlich voranschreitet.


„Das Gesetzgebungsverfahren muss nun zügig abgeschlossen werden. Wettbewerbsschädliche Konzentrationen im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) und teilweise in den vorgelagerten Stufen führen zu Wertschöpfungsverlusten in der Landwirtschaft und bewirken die Gefahr missbräuchlicher Ausnutzung konzentrierter Nachfragemacht. Der Gesetzentwurf des BMEL stärkt die Position der Landwirte in der Lieferkette. Unlautere Handelspraktiken müssen endlich ein Ende haben“, so Rukwied.

Eine langjährige Forderung des Deutschen Bauernverbandes besteht daher in einer klareren Abgrenzung zwischen hartem Verhandeln und Missbrauch von Marktmacht in der Lebensmittellieferkette. Die EU hat dafür mit der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken eine wichtige Grundlage geschaffen, die von den Mitgliedstaaten auch weitergehend ausgestaltet werden kann. Aus Sicht des DBV müssen insbesondere die so genannten „relativ unzulässigen“ Praktiken (d.h. die dann unzulässig sein sollen, wenn sie nicht ausdrücklich vorab vereinbart sind) grundsätzlich untersagt werden.

Einseitige Risiken und Kosten

Solche Vorab-Vereinbarungen sind in der Regel nicht das Ergebnis von Verhandlungen auf Augenhöhe, sondern schieben häufig einseitig Risiken und Kosten dem schwächeren Lieferanten zu. Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss hat man dieser berufsständischen Forderung Rechnung getragen und ist über eine reine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie hinausgegangen. Generell verboten werden soll auf diesem Weg beispielsweise das Zurückschicken von nicht verkauften und nicht mehr verwendbaren Erzeugnissen ohne Bezahlung und ohne Übernahme der Beseitigungskosten oder die Abwälzung von Lagerkosten des Käufers auf den Lieferanten.

Dennoch bleibt die Regelung aus Sicht des DBV unvollständig, weil sie den Schutzbereich auf Lieferanten mit einer maximalen Umsatzgröße von 350 Mio. Euro begrenzt. Die Vertragspartner in der Lieferkette sollten daher über diesen begrenzten Anwendungsbereich hinaus und grundsätzlich unlautere Handelspraktiken in ihren vertraglichen Lieferbeziehungen ausschließen. Der Schutz vor unlauteren Handelspraktiken muss unabhängig von der Größe der jeweiligen Akteure für alle gelten.

Sanktionen müssen wirksam und abschreckend sein

„Wir setzen darauf, dass die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als angedachte nationale Durchsetzungsbehörde ihre Befugnisse auf der Grundlage der EU-Richtlinie konsequent zur Anwendung bringt. Wir erwarten, dass nach Feststellung von Verstößen diese und die getroffenen Entscheidungen veröffentlicht werden. Wichtig ist, dass die von der Durchsetzungsbehörde festzulegenden Sanktionen wirksam und abschreckend sind. Die im Gesetzentwurf bis zu einer Maximalhöhe von 500.000 Euro vorgesehenen Geldbußen sind aus unserer Sicht zu niedrig und werden den EU-Kriterien noch nicht gerecht“, so Bauernpräsident Rukwied.

Offener Brief

Die Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes und seiner Landesverbände reagieren in einem offenen Brief auf die veröffentlichte Empörung großer Lebensmitteleinzelhandelskonzerne im Zusammenhang mit der Verabschiedung der UTP-Richtlinie im Kabinett. Den Landwirten fehlt jedes Verständnis für das Vorgehen des Lebensmitteleinzelhandels.

An die Vorstandsvorsitzenden von
Aldi
Edeka
Lidl
Rewe

Umgang mit unlauteren Handelspraktiken

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Kontroverse um die Änderung des Agrarmarktstrukturgesetzes und Ihre nun auch öffentlich gewordene jüngste Positionierung gegenüber der Bundeskanzlerin nehmen wir zum Anlass, uns mit diesem offenen Brief an Sie zu wenden. Sie zeigen sich irritiert und erschrocken, beklagen unter anderem Diffamierung und Diskreditierung und fühlen sich in „ehrabschneidender“ Weise behandelt.

Wir möchten diesen Empfindlichkeiten die Erfahrungen unserer Bauernfamilien gegenüberstellen, die seit langem unter massivem wirtschaftlichen Druck stehen, der die Arbeitsfähigkeit, Existenz und Nachhaltigkeit vieler Betriebe zerstört hat und die Verbliebenen weiter gefährdet.

Dieser Druck geht maßgeblich aus vom Preiswettbewerb in der Ernährungsindustrie, den der Lebensmittelhandel mit seinen Strukturen und seinem Einkaufsverhalten erzeugt und anheizt.

Jüngstes Beispiel sind die neuerlichen Preissenkungen der zurückliegenden Woche bei Schweinefleisch, die drastisch über das hinausgehen, was auch in Zeiten von Corona und ASP von Seiten des Marktes angemessen und geboten gewesen wäre.

Die Reihe der Beispiele ist lang und wird flankiert von langen Forderungskatalogen des Handels, bei denen die Vergütung höherer Standards und Kosten schlicht nicht vorgesehen ist. Die Folgen dieser langjährigen Fehlentwicklung nicht nur für die Strukturen in der Landwirtschaft sind bekannt und sichtbar: eine ausgeprägte Niedrigpreiskultur, mangelnde Wertschätzung für Lebensmittel und das Aus für viele Betriebe.

Vor diesem Hintergrund fehlt den deutschen Landwirten jegliches Verständnis für die genannten Befindlichkeiten. Die europäische Richtlinie über unlautere Handelspraktiken ist ein erster, zaghafter und aus unserer Sicht unvollständiger Ansatz, die missbräuchliche Nutzung von Nachfragemacht in der Lebensmittelkette einzudämmen. Es ist nicht nachvollziehbar und auch dem kritischen Beobachter nicht vermittelbar, diese Regelung als eine ernsthafte Bedrohung für den deutschen Lebensmittelhandel hinzustellen. Viele der zur Diskussion stehenden Praktiken sind auch nach landläufigem Verständnis tatsächlich unlauter- wollen Sie ernsthaft solche Verhaltensweisen rechtfertigen und Ihre Einkaufspolitik darauf stützen?

Ihre Unternehmen nehmen häufig in Werbung und Marketing für sich in Anspruch, nachhaltig, verantwortungsvoll und mit Rücksicht auf die Wünsche von Bürgern und Verbrauchern zu agieren. Dieser Anspruch bleibt jedoch nur so lange glaubwürdig, wie er nicht in der täglichen Einkaufspraxis konterkariert wird. Wir fordern Sie auf, Ihren selbstgesetzten Anspruch umzusetzen und in einem ersten Schritt grundsätzlich und über den Anwendungsbereich der UTP-Richtlinie hinaus auf die in Rede stehenden unlauteren Handelspraktiken zu verzichten.

Mit freundlichen Grüßen