Mainz
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Nachrichten Mainz | Laut Umweltbundesamt (November 2019) sind in Deutschland allein in den letzten 26 Jahren Verkehrs- und Siedlungsflächen um rund ein Viertel gewachsen. Dieses Wachstum entspricht mehr als einen Quadratkilometer verbaute Fläche pro Tag.


Teerpappe an Teerpappe

Schaut man sich gerade in Mainz die versiegelten Siedlungsflächen von oben an, so reiht sich dort oftmals Teerpappe an Teerpappe. Das kritisiert die Partei Piraten & Volt, denn die trostlosen Flächen schaden der Umwelt und dem Menschen in vielen Aspekten:

  • Sie schaden in besonderem Maße dem Mikroklima der Stadt. Sie heizen die Umgebung auf und trocknen die Umgebungsluft.
  • Sie schaden der bereits stark bedrohten Artenvielfalt, da sie das Gegenteil von einem Lebensraum bieten.
  • Sie schaden dem Wassermanagement. Da keine Versickerung stattfinden kann, sinkt der Grundwasserspiegel. Bei Starkregen sorgen diese Flächen für eine Überforderung des Abwassersystems.
  • Sie schaden der Luftqualität, weil der anfallende Feinstaub in der Stadt nicht durch Pflanzen abgebaut werden kann.
  • Sie schaden dem Menschen in seinem ästhetischen Empfinden. Der Blick auf einen Hinterhof aus Teerpappenwüste senkt unser Wohlbefinden.

Begrünung der Häuser hat viele Vorteile

Die Biologin Dr. Sacha Heerschop, die sich in der Piraten & Volt Fraktion im Bau-, Verkehr- und Klimabereich engagiert, erklärt: “Eine ambitionierte Begrünung der Häuser wirkt einer Aufheizung der Stadt entgegen, fördert die Biodiversität, entlastet die Abwassersysteme bei Starkregen, bindet Feinstaub und CO2, verbessert die Lebensqualität, mindert Lärm, dämmt und spart Energie.”



Stadtratsmitglied Maurice Conrad dazu

“Im September 2019 wurde der Klimanotstand in Mainz ausgerufen. Bisher ist leider trotz einiger Vorstöße im Stadtrat – hier ist ganz besonders der Antrag zum Ausbau autofreier Zonen hervorzuheben – noch nicht wirklich viel passiert. Dem Klimanotstand könnte man in ganz besonderem Maße Rechnung tragen, wenn man das Potential der zahlreichen zu begrünenden Dachflächen endlich konsequent nutzen würde. Vor allem in Hinblick auf die Notwendigkeit von Klimaanpassungen, siehe Klimprax-Studie, muss hier ambitioniert gehandelt werden.”

Zur bisherigen Situation:

Mainz hat lediglich in der Alt- und Neustadt seit den 90er Jahren eine Dachbegrünungssatzung. Diese sehr überschaubare Satzung wird dem Klimanotstand nicht annähernd gerecht und bedarf einer ambitionierten Überarbeitung. Beispielsweise wird in der bisherigen Satzung lediglich eine extensive Dachbegrünung eingefordert. Dies bedeutet, dass die Dächer nicht aktiv bewässert werden. Daher überleben auf diesen Dächern nur sehr monokulturelle Sedumbepflanzungen und oftmals nicht heimische Sedumarten (wie das invasive Phedimus spurius). Diese sehr resistenten Pflanzen stellen in Trockenphasen die Verdunstung komplett ein.

“Dennoch ist extensive Begrünung selbstverständlich besser als die Teerpappenwüsten,” räumt der baupolitische Sprecher der Stadtratsfraktion Piraten & Volt, Dr. Florian Köhler-Langes, ein. Er ergänzt: “Letztendlich löst die extensive Begrünung jedoch nicht annähernd die Probleme, die versiegelte Teerpappen-Flächen mit sich bringen. Daher wundere ich mich beispielsweise, dass nun auf der einen Seite das zentrale Bauprojekt an der Ludwigstraße als “Grüner Lunge” beworben wird und auf den CAD-Zeichnungen des Bauentwurfs zahlreiche Büsche und Bäume auf den riesigen Dächern zu sehen sind, und auf der anderen Seite der Investor auf der gleichen Internetseite sagt: “Sämtliche neuen Flachdächer werden extensiv begrünt…“. Wie passt extensive Begrünung und grüne Lunge mit Büschen und Bäumen zusammen? Für mich ist das nicht klar.”

Fraktionsmitglied Tilman Schweitzer dazu

“Aktuell gibt es ganz in der Nähe an der TH Bingen ein Forschungsteam, das innovative und effiziente Dachbegrünung erforscht, die deutlich ambitionierter ist als die extensive Begrünung. Wir hatten das große Glück am 9. Juni dieses Forschungsteam in einem interaktiven Onlineevent ausgiebig zu interviewen.”

Die dort untersuchte semi-intensive Dachbegrünung ist relativ günstig, ressourcenschonend und löst zu einem wesentlichen Anteil die Probleme versiegelter Flächen, indem sie die Biodiversität stärkt, ein nachhaltigeres Wassermanagement ermöglicht, Feinstaub senkt, das lokale Mikroklima verbessert und Treibhausgase reduziert. Eine der Kooperationspartnerinnen bei diesem Forschungsprojekt ist erfreulicherweise die Stadt Mainz.



Maßnahmenparket mit vier Säulen

Tim Scharmann, Fraktionsvorsitzender von Piraten & Volt erläutert die nächsten Schritte: “Wir würden nun gerne mit unserem Stadtratsantrag in der nächsten Stadtratssitzung ein Maßnahmenpaket anstoßen, welches im wesentlichen auf vier Säulen beruht.”

Auch wenn sich die Stadt Mainz seit einigen Monaten mit der Überarbeitung der Dachbegrünungssatzung beschäftigt, würden wir hier gern einige sehr wichtige Aspekte einbringen:

  • Gerade Dachflächen von öffentlichen Gebäuden sollten in Zukunft Vorbildfunktion haben und somit ambitioniert, also semi-intensiv, begrünt werden.
  • Neue Gebäude, die sehr große Dachflächen mit mehr als 200 Quadratmeter aufweisen, sollten mindestens semi-intensiv begrünt werden.
  • Die Dachbegrünungssatzung sollte endlich für das ganze Stadtgebiet gültig sein. Der baupolitische Sprecher, Dr. Florian Köhler-Langes, bemängelt: “In den letzten Bauausschussitzungen mussten wir sehr große Flachdächer unbegrünt durchwinken, weil sie außerhalb des derzeitigen Geltungsbereichs der derzeitigen Dachbegrünungssatzung liegen. Zum Beispiel in der vorletzten Ausschussitzung einmal ein über 1000 Quadratmeter Flachdach bei einer Klinikerweiterung und einmal fast 500 Quadratmeter bei einem Schnellrestaurant.”
  • Ambitionierte Forderungen zur Fassadenbegrünung sollten in die neue Dachbegrünungssatzung bzw. Gebäude-Begrünungssatzung aufgenommen werden.

Die zweite Säule besteht aus der systematischen Überprüfung sämtlicher Umweltauflagen. “Es kann nicht sein, dass beispielsweise Dachbegrünungen aufwendig angelegt werden und dann nicht mehr gepflegt werden. Hierzu bedarf es wenigstens stichprobenartig einer Überprüfung, auch nach gewissen Zeitabständen,” stellt Dr. Sacha Heerschop klar. „Als Anreiz für eine nachhaltige Investition kann dabei über eine Verknüpfung mit den Kanalgebühren nachgedacht werden.“

Die dritte Säule fußt auf einer Überprüfung der Fördermöglichkeiten für private Haushalte, wenn sie eine Gebäudebegrünung bauen. In dutzenden Kommunen in Deutschland besteht bereits diese Möglichkeit.

Die vierte und letzte Säule beschäftigt sich mit der Sensibilisierung der Bevölkerung, indem jährlich ein Wettbewerb zur “Nachhaltigsten Gebäudebegrünung” stattfindet. Primäres Ziel des Wettbewerbs ist es in regelmäßigen Abständen den öffentlichen Fokus auf diese Thematik zu lenken und für die Vorteile einer ambitionierten Gebäudebegrünung zu werben.

Kommunen müssen grundlegend umdenken

“Wir würden uns sehr freuen, wenn die anderen Stadtratsfraktionen uns in diesem Anliegen unterstützen würden, und wir gemeinsam dem Klimanotstand endlich etwas Leben einhauchen.” wünscht sich der Fraktionsvorsitzende Tim Scharmann. Dr. Florian Köhler-Langes fasst zusammen: “Leblose Wüsten aus Teerpappe können wir uns in Zeiten des Klimawandels und des dramatischen Rückgangs an Artenvielfalt nicht mehr leisten. Gerade Kommunen müssen hier grundlegend umdenken und endlich konsequent handeln.”