Die Bundeskanzlerin hat bei Anne Will die Ideen vorgestellt, mit denen sie die Pandemie weiter bekämpfen will. Obwohl das Thema hochkomplex ist, drehte sich die Sendung nach zehn Minuten nur noch im Kreis. Für mehr reicht es nicht, was Angela Merkel zu sagen hat.


Auf eine Stunde ist Anne Will angelegt. Doch von den 60 geplanten Minuten waren 50 zu viel. Denn nach den ersten zehn Minuten hat die Kanzlerin alles gesagt, was zur anstehenden Pandemiepolitik der Bundesregierung zu sagen ist: Keine weiteren Lockerungen. Stattdessen kommen weitere nächtliche Ausgangssperren, die Maskenpflicht wird erweitert und private Kontakte weiter beschränkt.

Und die Industrie? Vielleicht eine Pflicht zum Home Office, vielleicht eine Testpflicht in Unternehmen. Aber das wolle sie sich erst noch anschauen, sagt Angela Merkel. Ein Lockdown der Industrie kommt wohl eher nicht. Vermutlich. Denn Anne Will hakt zwar nach. Aber nur ein wenig. Letztlich viel zu wenig.

Schwächen des Formats offengelegt

Dieses „Viel zu wenig“ beim Lockdown der Industrie ist noch der härteste Auftritt der Moderatorin. Will hat sich zwei Strategien zurecht gelegt: Die Kanzlerin loben und sie fragen, warum sie keinen härteren Lockdown will. Das reicht für zehn Minuten. Danach ist die Luft raus.

Die Sondersendung mit der Kanzlerin zeigt auf, wie schwach das Format im Normalfall ist: Eine Hofdame empfängt Höflinge. Die tauschen sich nach festgelegten Ritualen aus. Dabei tut sich keiner weh, aber dabei kommt halt auch nichts raus. Im Normalfall ist Anne Will Fernsehen für Menschen, die im Kopf mit der Stelle zufrieden sind, an der sie schon stehen.

Feierabend-Lockdown

Nun sitzt da die Kanzlerin. Nachdem sie in dieser Woche eine Rolle rückwärts gemacht hat, fragen sich Millionen, wie es weitergeht. Von der Hofdame ist da kein Erkenntnisgewinn zu erwarten. Und auch Merkel hat nicht viel Pulver im Lauf.

Das lässt die Kanzlerin dann ihr Programm routiniert abspulen: Tagsüber arbeiten und gemeinsam Bus fahren, abends daheim bleiben – ein Feierabend-Lockdown. Ansonsten den gesellschaftlichen Frieden nicht stören wollen und auch nicht die Schlafmützen im Bundeskabinett oder in der EU aufwecken. Impfversagen? Gibt es nicht. Man könne die EU nicht mit kleinen Ländern wie Israel vergleichen.

Unbequeme Grafik ausgeblendet

Während Merkel sagt, nur kleine Länder könnten effektiv und schnell impfen, ist im Hintergrund eine Grafik zu sehen. Die zeigt die USA – kein ganz kleines Land – im Impfen weit vor Deutschland. Doch der Widerspruch wird aufgelöst, die Regie blendet die Grafik einfach aus. Anne Will könnte kritisch nachfragen, aber das gehört nicht zu ihrem Format.

So bleibt der Kanzlerin nur der Leitsatz: „Ich kann’s jetzt nur nochmal wiederholen.“ Tägliches Zusammen-zur-Arbeit-Gehen und nächtliche Ausgangssprache. Ob das kein Widerspruch sei? Wird der Widerspruch noch aufgelöst? Vielleicht nächste Woche, wenn Karl Lauterbach wieder da ist. Aber mutmaßlich auch dann nicht.