Alexander Schweitzer
Alexander Schweitzer

Der nächste Bundeskanzler muss nicht von CDU oder CSU gestellt werden. Diese Erkenntnis werde den politischen Wettbewerb der nächsten Monate bestimmen, sagt Alexander Schweitzer im BYC-Interview. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag erklärt, welche Rolle dabei das Vorbild Rheinland-Pfalz spielt.


Zwischenzeitlich zehn Prozentpunkte zurück

Konnten Sie den Wahlsieg in Corona-Zeiten überhaupt feiern, Herr Schweitzer?

Wie der Wahlkampf war auch die Feier am Wahlabend mit denen davor nicht zu vergleichen. Ein wenig haben wir in der Fraktion zusammen gesessen – aber mit striktem Hygienekonzept, Masken, Abstand und immer nur in ganz kleinen Gruppen. Alle anwesenden Personen im Abgeordnetenhaus sind zudem vorab getestet worden. Mit anderen Feiern vergleichbar war es daher wirklich nicht. Dafür war das Wahlergebnis vergleichbar – und das hat dann doch sehr getröstet.

Sie lagen noch zu Beginn des Jahres fünf Prozentpunkte hinter der CDU. Wie war diese neuerliche Wende möglich?

Eigentlich hatten wir schon seit 2018 die Nase in den Umfragen nicht mehr vorne. 2019 und 2020 waren wir dann durchgehend hinter der CDU – zwischenzeitlich sogar mit über zehn Prozentpunkten.

Wurden Sie da nervös?

Die Erfahrung hat uns eine gewisse Sicherheit gegeben: Wenn wir bei unserem inhaltlichen Kurs bleiben, dann wird auch unser Angebot besser wahrgenommen und von den Menschen im Land als stärker empfunden. Dann werden wir auch an der CDU vorbeiziehen.

Starke Persönlichkeit Dreyer

Wie sah dieses Angebot aus?

Es ist eine Kombination aus ordentlich Regieren, aus einer geschlossenen Teamleistung und aus guten Ideen für die Zukunft. Und: Je näher wir an die Landtagswahl rückten, desto mehr ist es den Menschen klar geworden, dass es eine Landtagswahl ist, bei der es nicht zuerst um die Frage geht: Wer wird Kanzlerkandidat der CDU?

Nun wurde Rheinland-Pfalz wie vor fünf Jahren auch von einem Überthema beherrscht, das nichts mit der Landespolitik zu tun hatte. Vor fünf Jahren war es die Flüchtlingspolitik, jetzt Corona. Hat das den Wahlkampf überschattet?

Interessant ist: Aus der Vogelperspektive neigen manche dazu zu denken, dass 2016 die Bürgerinnen und Bürger den ganzen Tag nur über Flüchtlingspolitik nachdachten oder jetzt eben über die Corona-Pandemie. Zwar denken viele Menschen intensiv an Corona, weil es sie persönlich stark beschäftigt und bewegt – etwa aus Angst um die Gesundheit oder die eigene Existenz. Doch alle anderen gesellschaftlichen Themen verlieren in der Krise nicht ihre generelle Bedeutung: der Klimawandel, die Gestaltung des Unterrichts oder die Gesundheitsversorgung. Da sind die Menschen komplexer, als manche Demoskopen denken.

Also hat Corona in der Entscheidungsfindung doch nicht diese Rolle gespielt?

Nein. Wir hatten gute inhaltliche Angebote. Aber hätten wir ein schlechtes Corona-Krisenmanagement gehabt, dann wäre es nicht ausreichend gewesen – sagen wir mal – ein gutes kulturpolitisches Angebot vorweisen zu können. Es gab nur eine Offenheit für unsere Angebote, weil wir ein gutes Krisenmanagement hatten. Und dann gibt es noch einen anderen Aspekt.

Welchen?

Menschen wählen Menschen. Wenn ich jemanden an der Spitze nicht ausreichend kompetent und sympathisch finde, dann lasse ich mich auch nicht von Argumenten in Schriftform überzeugen. Und auf der menschlichen Seite hatten wir mit Malu Dreyer eine starke Persönlichkeit.

Baldauf hatte keine dankbare Situation

Zum Krisenmanagement hat Dreyer im Kandidaten-Duell geschickt gute Kennzahlen eingesetzt. Hat es das schwer gemacht für ihren Herausforderer Christian Baldauf, sie in dem Thema attackieren zu können, das im Duell dominant war?

Christian Baldauf hatte die ganze Zeit über keine dankbare Situation. Er hatte nur wenig Spielraum, die Corona-Politik zu kritisieren. Dafür hätte er vom Kurs der Kanzlerin abweichen müssen. So hatte er nur eine Chance, sich über das Krisenmanagement der Landesregierung zu profilieren. Und die Chance haben wir ihm einfach nicht gelassen.

Sie haben angesprochen, dass auch andere Themen Menschen beschäftigen. Welche waren das in Rheinland-Pfalz?

Nicht so sehr ein Thema. Sondern viele: Bildung, Wirtschaft oder gesundheitliche Versorgung vorneweg. Bei all diesen Themen haben uns in den Analysen die Bürgerinnen und Bürger hohe Kompetenzwerte zugesprochen. Denn am Ende ging es in diesem Wahlkampf um zwei entscheidende Begriffe: Führung und Vertrauen. Genau diese Begriffe sind ganz klar mit der Person Malu Dreyer verknüpft worden.

Ob es zur Ampel kommt, frage ich Sie nicht. Das ist doch mittlerweile unspannend.

Es ist die erste Ampel in einem Flächenland, die das Ende der Wahlperiode erreicht hat und in einer Wahl bestätigt worden ist. Aber ich gebe zu: Es gibt einen klaren Auftrag für die Ampel und deswegen ist die Frage, ob sie kommt, wohl vergleichsweise weniger spannend.

SPD-Siege sind Arbeitssiege

Die SPD war in den letzten Jahren bei Wahlen in Rheinland-Pfalz sehr erfolgreich. Besteht da die Gefahr, überheblich zu werden?

Ich glaube, dass wir das immer sehr stark im Blick haben. Ich behaupte: Wären wir nachlässig geworden oder sogar überheblich, dann hätten wir schon vor geraumer Zeit keinen Wählerauftrag mehr erhalten. Es hilft außerdem, dass wir bei einigen kommunalen Wahlen immer wieder Szenen erlebt haben, die deutlich machen, dass Rheinland-Pfalz eben nicht ein rein sozialdemokratisches Land ist. Es ist ein freundlich konservatives Land, das sich verändert, aber das doch konservativ ist. Deswegen waren und sind SPD-Siege immer auch Arbeitssiege. Wir müssen uns anstrengen. Es kommt nicht einfach auf uns zu. Das hält uns fit.

Was wird das Leitbild für die kommende Wahlperiode?

Es ist noch sehr früh, das zu beantworten. Wir gehen ganz frisch in die Sondierungen. Aber als Ausgang gibt es die Idee, die wir als ein Leitbild im Regierungsprogramm stehen haben: Innovation aber gerecht. Das könnte eine Überschrift für die kommenden Jahre sein.

Was heißt das?

Wir sehen die Punkte, in denen wir gut sind. Aber wir sehen wie durch ein Brennglas auch die Punkte, in denen wir noch besser werden müssen: Ressourcen-Schonung, nachhaltiges Wirtschaften, Senken der CO²-Belastung. Es wird eine Aufgabe der Politik sein, darauf Antworten zu finden. Die SPD hat es immer schon ausgemacht, Zukunftsoptionen zu umarmen, aber gleichzeitig Menschen mitzunehmen, die drohen, auf der Strecke zu bleiben. Für sie müssen wir Chancen entwickeln, die sie aus sich heraus nicht entwickeln können. Dazu gehört auch ein starker, handlungsfähiger Staat. Unter diesem Leitbild lebt die SPD nun seit 150 Jahren und das könnte auch wieder ein stärkerer Impuls für eine künftige Entwicklung der SPD insgesamt sein.

In Berlin über sich hinauswachsen

Im vergangenen Jahr war der starke Staat in. Nach Impstoff-Versagen, nicht und falsch ausgezahlten Wirtschaftshilfen, nicht funktionierender App und so weiter wird diesem starken Staat aber doch deutlich weniger zugetraut?

Das muss man stärker unterscheiden. Das sind in der Regel keine staatlichen Fehlentscheidungen. Israel, Großbritannien und die USA haben gezeigt, dass man auch als Staat ausreichend Impfstoff bestellen kann. Die Fehler bei der deutschen Impfkampagne kann man doch fast persönlich zuordnen. Es sind somit politische Fehlentscheidungen. In Mainz sehen wir, wie es gehen muss. BioNTech hat bewiesen, dass wir wirtschaftliches Wissen und Engagement brauchen, um einen Impfstoff zu entwickeln – aber auch einen starken Staat, der mit Forschungsunterstützung diese Entwicklung überhaupt erst möglich gemacht hat.

Ist die Vorstellung „Innovation aber gerecht“, die Sie hier in Rheinland-Pfalz leben wollen, auch ein Fingerzeig für die Ausrichtung im Bund?

Ich halte nichts davon, das in Berlin eins zu eins übernehmen zu wollen, was hier in Rheinland-Pfalz funktioniert hat. Es gibt Faktoren in Berlin, die es bei uns nicht gibt – und umgekehrt. Was in Berlin helfen kann, ist Grundsätzliches: Gutes Gesamtangebot und geschlossene Teamleistung. Dann kann man auch über sich hinauswachsen.

Rückstand ist aufholbar

Nun ist die rheinland-pfälzische Ampel schon ein interessanter Faktor: Sie gibt sowohl der SPD als auch den Grünen eine realistische Option auf die Kanzlerschaft jenseits der CDU.

Das ist ein entscheidender Aspekt. Eine Kanzlerschaft jenseits der CDU ist möglich. Dieses Land hat auch verdient, dass es nicht zwangsläufig von der CDU geführt wird. Das geht über die Probleme in der CDU mit Affären und Missmanagement hinaus. Wenn Angela Merkel das Kanzleramt verlässt, schauen viele: Wer ist denn sonst noch da? Und da ist die Begeisterung über das Angebot der Union überschaubar. Dass ein amtierender Kanzler oder eine amtierende Kanzlerin nicht mehr antritt, ist eine Situation, die wir in der Bundesrepublik noch nicht hatten. Das ist tatsächlich eine Chance – auch wenn der Weg dahin nicht unkompliziert ist. Aber wir kommen in eine völlig neue Position.

Derzeit fehlen der Ampel vier bis sieben Prozent in den Umfragen. Ist das aufholbar?

Das ist richtig. Es fehlen noch vier bis sieben Prozent. Aber wir haben in Rheinland-Pfalz gesehen: Das sind Werte, die drehbar sind. Eine Kanzlerschaft jenseits der CDU ist möglich. Wenn sich das als Gedanke durchgesetzt hat, dann kann auch eine Bewegung entstehen. Eine Bewegung, die der SPD Rückenwind gibt.