Kommentar: Die Osterruhe hat es gegeben. Nicht als Runterfahren des Landes, wie ursprünglich geplant, sondern als Ruhepause vor den drastischsten Einschnitten in die Freiheit der Menschen seit Gründung der Bundesrepublik. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel diese Einschnitte in den nächsten Tagen verkündet, hat sie ein Legitimationsproblem. Denn Politik und Verwaltung handeln selbst nicht so, als ob der Staat in der größten Krise seines Bestehens sei.


Die Biographie „Die dunkelste Stunde“ über Winston Churchill ist sehenswert. Schon alleine wegen einer Szene, in der ein Mitarbeiter seines Stabes den Premierminister um ein freies Wochenende bittet: „Der Krieg liegt ihnen wohl nicht“, antwortet der Premier und macht damit deutlich – in Krisenzeiten haben verständliche private Wünsche wie ein freies Wochenende zurückzustehen.

Die Botschaft des Verzichts vertritt auch Angela Merkel. Gegenüber den Bürgern. Sie sollen für die Virus-Bekämpfung auf ein Sozialleben verzichten – große Teile von ihnen sollen ruhig dem Niedergang ihrer Existenz zuschauen. Doch so drastisch diese Forderungen an die Privaten sind – dem Staat verlangt die Regierungschefin nicht so viel ab. Am Jahresende gab es für den öffentlichen Dienst sogar Sonderprämien wegen der Zusatzbelastungen – auf einen Cent Bezahlung verzichten musste aber seit Beginn der Pandemie niemand und das Wochenende ist nach wie vor heilig.

Die Folgen erleben Radiohörer jeden Montagmorgen: Zwischen „Lauterbach mahnt, Lage so schlimm wie noch nie“ und „Lauterbach fordert Maßnahmen, so hart wie noch nie“ werden die neuen RKI-Zahlen vermeldet. Inklusive des Hinweises, dass die Zahlen nicht aussagekräftig seien, weil übers Wochenende nicht ordentlich gemeldet werde.

Isolation ist schwere Belastung

Nach einem halben Jahr „Lockdown light“, „Wellenbrecher“ und „Harter Lockdown“ kommt nun also der Super-Lockdown. Findet Merkel eine Mehrheit, dann sollen manche komplett auf jeden menschlichen Kontakt verzichten. Nur für vier Wochen. So wie schon der Wellenbrecher nur vier Wochen dauern sollte – im November.

Isolation ist eine schwere Belastung. So schwer, dass sie nicht mal Strafgefangenen zugemutet wird. Die RAF-Terroristin Astrid Proll wurde 1974 vorzeitig aus der Haft entlassen. Die Isolationshaft habe Prolls Gesundheit so schwer geschadet, begründete das Gericht seine Entscheidung, dass der Terroristin weitere Haft nicht zumutbar sei.

Das ist übertrieben? Um seelische Belastungen mit den Schäden durch Corona abwiegen zu können, brauche es belastbare Zahlen? Berechtigter Einwand. BYC-News fragt seit Wochen nach Zahlen zu den Entwicklungen der Selbstmordfälle im letzten Jahr – doch offizielle Stellen mauern.

Verzicht auf den Scheibenwischer

Wer die RKI-Zahlen nach dem Wochenende für ärgerlich hält, darf sich erst gar nicht die Auswertungen zu Fragen anhören wie: Wer infiziert sich mit Corona? Herkunft? Soziale Schichten? Strukturen, wie ihre Kontakte verlaufen? Zu all dem gibt es keine Auswertung. Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Daten dazu nicht mal erhoben werden.

Angela Merkel rühmt sich, ihre Bundesregierung fahre auf Sicht und mache es dafür ganz gut. Im März war das noch ein Argument. Wohlgemerkt im März 2020. Mittlerweile möchte man der Kanzlerin zurufen: „Dann schalten Sie halt mal den Scheibenwischer ein!“ Dass der Staat solch wichtige Zahlen zu einer folgenschweren Pandemie nicht erhebt, ist eine Unterlassung, die durchaus schon den Namen Versagen verdient.

So wie andere Unterlassungen längst auch zum Versagen geworden sind. Allem voran der verpatzte Impfeinkauf. Aber auch die elektronische Kontaktverfolgung oder die Teststrategie. Wobei diese Tragödie als Komödie getarnt daherkommt: Die Kanzlerin gründet eine Arbeitsgruppe zur Impfstrategie, hypet diese zur „Task Force“ hoch und macht Jens Spahn und Andy Scheuer zu deren Chefs.

Was darf der Bürger von solch einer Konstellation erwarten? Die „Task Force“ besteht drei Wochen und dann erklärt sie, die Arbeit sei beendet. Die Länder hätten nun die nötigen Kontakte, um sich selbst um die Teststrategie zu kümmern. Drei Wochen für die Weitergabe von Telefonnummern, Mailadressen und natürlich Faxnummern – das ist das staatliche Tempo in dieser Pandemie.

Nicht akzeptables Tempo

Unter diesem „Tempo“ leiden besonders die, die in der Pandemie ihrem Broterwerb nicht mehr nachkommen dürfen. Die staatlichen Gelder stocken. Das gilt für Unternehmer, die Tonnen an Formularen eingebracht haben, aber derzeit nichts ausbezahlt bekommen – weil das Bundeswirtschaftsministerium Betrüger mit Millionen an Euro gesegnet hat.

Es trifft aber auch die, die erwerbslos geworden sind. So wurde BYC-News von einem Soloselbständigen berichtet, der sich im Januar arbeitslos gemeldet hatte. Weil er im Jahr davor sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat, hat er Arbeitslosengeld beantragt. Gleichzeitig Hartz IV beantragen durfte er nicht. Stand so auf der Internetseite der Agentur für Arbeit.

Mehrere Wochen später ein Anruf von der Agentur: Weil die Bearbeitung des Antrags dauere, müsse er zeitgleich Hartz IV beantragen. Aber auf der Internetseite steht doch…? Ja, wissen wir, das ist falsch, was da steht. Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II müsse nun gleichzeitig beantragt werden.

Wissentlich Falschinformationen verbreiten. Frust, Zeitverlust und wirtschaftliche Not von Bürgern ertragen. Ja, wissen wir. Aber zwischen Konferenz, Firmenlotto und freitags früher gehen kam man halt nicht dazu, einen Internet-Eintrag anzupassen. Das ist ein Arbeitstempo, das man Behörden in Komödien von Heinz Erhardt zugestanden hat – aber das in einer Pandemie nicht akzeptabel ist.

Pandemie-Bekämpfung fordert mehr Zug

Die allererste Lockerung im März betraf die Friseure. Sie durften als Erste wieder öffnen. Es sei ihnen gegönnt. Aber für ihre Bevorzugung gibt es auch einen Grund. Und der war sichtbar. Die Schließung von Dienstleistern wie Friseuren wurde uns von perfekt frisierten Politikern präsentiert und gerechtfertigt. Es ist halt blöd, wenn man beim Wasserpredigen einen Rotweinfleck auf dem Hemd hat.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet musste über Ostern Spott auf Twitter ertragen. Er hatte angekündigt, über die Bekämpfung der Pandemie während der Feiertage nachdenken zu wollen. Es mag ungerecht sein, dass der Spott nur ihn trifft und nicht andere, die es auch verdient hätten – verständlich ist es dennoch.

Laschets Haltung passt zu Menschen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie sich einen VW oder einen Opel kaufen. Mehr PS oder doch lieber mehr Fahrtkomfort? Das sind Gedanken, denen man sich in Muße auf einem Spaziergang durchs Sauerland hingibt. Die Pandemie-Bekämpfung ist nicht so erbaulich. Sie fordert mehr Zug. Nicht nur von Privatleuten. Auch vom Staat. Gerade vom Staat.