Zwei Meldungen aus Mainz an einem Tag: Die Mannschaft von Hertha BSC Berlin befindet sich in Quarantäne, verlässt diese aber am Sonntag, um für knapp zwei Stunden dem Kontaktsport Fußball nachzugehen. Sie treffen im Stadion auch auf die Ersatzspieler, den Trainerstab, Mitarbeiter des Vereins und Journalisten. Vier Stunden nachdem der Spuk vorbei ist, tritt eine Verordnung in Kraft, nach der drei Menschen nicht mehr nebeneinander joggen dürfen.


Mainz ist derzeit die deutsche Pandemiepolitik in einer Nussschale. Da der Staat beim Impfen versagt hat, bei einer Teststrategie, dem Einkauf der Tests oder der digitalen Kontaktverfolgung, weiß er sich nicht anders zu helfen als mit der Kontaktbeschränkung. Nur: Nicht einmal das macht der Staat konsequent. Und in der Folge gerät ihm die Pandemiepolitik immer widersprüchlicher.

Es ist erfrischend, wenn Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sagt, es gehe gar nicht um die Wirksamkeit der Maßnahmen. Das macht er in seiner gewohnt sympathischen, spitzbübischen Art. Und es ist so viel charmanter, als wenn er sagen würde, der Bürger solle nicht nachfragen, sondern das Maul halten und machen, wie ihm geheißen – meinen tut es aber letztlich das gleiche.

Kein Industrie-Lockdown in Sicht

Als Angela Merkel die „Osterruhe“ zurücknahm, haben alle auf ihre Entschuldigung geachtet. Bemerkenswerter war aber, dass die Kanzlerin, die auf Berater:innen hört, die von einer Welt ohne das Corona-Virus träumen, von Kosten und Nutzen der Maßnahmen sprach. Zum ersten mal. Und dass manche Maßnahmen, so Merkel, wegen der zu hohen Kosten nicht möglich seien.

Gemeint hat sie die Industrie. Einen zweiten Industrie-Lockdown wird es nicht geben. Vorerst. Den kann sich Deutschland schlicht nicht leisten. Und schon gar nicht 2021. Im Vorjahr saßen viele Länder mit uns in der Krise, die beim Einkauf von Impfstoffen eben nicht wie wir geschlafen haben. Geht der Export-Weltmeister jetzt in den zweiten Industrie-Lockdown, könnte das den Abschied großer Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen bedeuten. Ganz sicher würde es aber ein Loch in die Kasse reißen. Das Loch des vergangenen Jahres war allerdings schon groß genug.

Oft nur Symbolpolitik

Bleiben also der private Bereich und die Dienstleistungsbranche. Dort geht es darum, die Zahl der Kontakte runterzufahren. Doch wie sinnvoll ist das, wenn sich die gleichen Menschen auf der Arbeit treffen oder auf dem Weg dahin? Diese Frage stellen sich viele. Und immer mehr beantworten sie mit: nur wenig oder gar nicht sinnvoll.

Wenn Oberbürgermeister Ebling sagt, es gehe nicht um die Wirksamkeit, sondern um das Runterfahren der Kontakte, dann weiß er, dass sich die arbeitsbedingten Kontakte eben nicht abstellen lassen. Dass er da die Frage nach der Wirksamkeit nicht mehr besprechen will, ist nachvollziehbar. Denn schon jetzt sind die Maßnahmen im privaten Bereich oft genug nur Symbolpolitik.

Wirkungslose Ausgangssperre

Dass die Maßnahmen im privaten Bereich immer mehr zu Aktionismus und Symbolpolitik geraten, führt Mainz ebenfalls als Beispiel für den ganzen Bund vor: Maskenpflicht am Rhein und nächtliche Ausgangssperre haben eben nicht verhindert, dass sich die „Inzidenz“ in vier Wochen vervierfacht hat.

Das Problem, das die Politik jetzt bekommt. Im privaten Bereich ist selbst das Magazin an symbolischen Maßnahmen bald erschöpft: Die Zahl der Besucher aus fremden Hausständen kann man noch von eins auf null senken; oder die nächtliche Ausgangssperre ließe sich auf den Tag ausweiten.

Doch bleibt die Industrie offen, müssten Ordnungsamt und Polizei jeden Gang vor die Tür kontrollieren und die Bürger befragen, ob sie auf dem Weg zur Arbeit, dem Gottesdienst oder dem Supermarkt sind oder nicht doch einen dieser gemeingefährlichen Spaziergänge unternehmen. Deutschland würde dann dem Belfast der 80er Jahre ähneln, das von religiösem Terror heimgesucht wurde.

Schon jetzt wirken manche Maßnahmen so grotesk, wie sie hilflos sind: etwa die Maskenpflicht für Beifahrer. Wie lässt sich das noch steigern? Die Maskenpflicht unter der Dusche?

Symbolpolitik wirkt nicht

Symbolische Maßnahmen wirken nicht. Man kann die Diskussion eine Zeit weglächeln, wie es Ebling versucht. Die Folgen bleiben aber. Ist die Symbolpolitik erschöpft, dann müsste es doch zum Industrie-Lockdown kommen. Das würde dann aber auch bedeuten, dass Deutschland sich von dem Wohlstand verabschieden muss, an den es sich über 70 Jahre gewöhnt hat.

Die Frage nach der Wirkung darf daher nicht weggelächelt werden. Sie muss im Mittelpunkt stehen: Impfen, Testen, Kontakte elektronisch nachverfolgen, Lüftungsanlagen in möglichst allen öffentlichen Räumen, mindestens aber in Kitas und Schulen, darüber hinaus das Einhalten der Hygieneregeln. Etwa das Tragen von Masken in geschlossenen Räumen, in denen Fremde aufeinander treffen. Das muss endlich mit aller Entschlossenheit geschehen und nicht mit der Rammdösigkeit eines Verwaltungsbeamten, der die Lücke bis zum Freitag-Feierabend um 11 Uhr überbrücken will.

Das Spiel Mainz gegen Berlin wird am Sonntag gegen 20 Uhr beendet sein. Eine Stunde später müssen die Mainzer drinnen sein. Ausgangssperre. Ob Ebling die Frage mag oder nicht, einige werden sie stellen: Wenn das eine möglich ist, warum soll das andere nicht möglich sein?