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Die Corona-Krise führt zu direkten Einschnitten in das Leben der Menschen – auch auf das Wohlbefinden. Ja, auf die Menschen kommen Belastungen zu, sagt Diplom-Psychologin Sabine Maur. Doch die Präsidentin der Landespsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz sieht auch Wege, die Krise meistern zu können.


Hallo Frau Maur. Fangen wir mit der journalistischsten aller Fragen an: Wie geht es Ihnen?

Ich bin angespannter als sonst. Ich muss sehr viel arbeiten, um für die Kammer und den Berufsverband die Corona-Krise zu organisieren. Aber ansonsten ist es ok.

Die Frage nach dem Wohlbefinden ist nicht so banal, wie sie klingt. Die Corona-Krise ist eine Belastung für die Menschen allgemein. Wie wirkt sie sich im besonderen auf das Wohlbefinden der Menschen aus?

Was wir jetzt schon erleben: Die Menschen sind nervöser, angespannter und machen sich mehr Sorgen. Über die eigene Gesundheit, über die Gesundheit Angehöriger. Auch über die eigene Existenz: Arbeitslosigkeit, finanzielle Einbußen. Ein Problem ist, dass keiner weiß, wie lange die Krise andauern wird. Je länger sie dauert, desto stärker wird die Angespanntheit hochgehen – nehmen Nervosität oder Schlafprobleme zu. Andererseits sind die Menschen anpassungsfähig. Sie können Kräfte mobilisieren, etwa durch Hilfsbereitschaft.

Was würden Sie raten, um das eigene Wohlbefinden und das seiner Lieben zu steigern?

Wer viel zu Hause sein muss, verliert die Struktur, die ihm die Arbeit sonst vorgibt. Es ist aber wichtig, sich eine Struktur zu geben: Einen Zeitplan machen, zum Beispiel, indem man gemeinsam Mahlzeiten kocht und zu sich nimmt. Auch indem man verteilt, wer welche Aufgaben übernimmt. Zudem hilft es, aktiv Zeiten einzuplanen, in denen man für sich selbst sorgt, sich zurückziehen kann und sich mit Positivem beschäftigt. Auch sollte man die Familie nicht mit Erwartungen überfrachten. Schwierige Situationen kann man nur gemeinsam schaffen – und dazu gehört Geduld.

Es ist wichtig, sich bewegen zu können

In Deutschland sind die Regeln großzügiger, als in anderen von Corona betroffenen Ländern. So bleiben Spaziergänge erlaubt. Wie wichtig ist das?

Aus psychologischer Sicht ist das superwichtig. Es ist wichtig, dass Menschen sich bewegen können, Sport treiben, etwa Joggen. Auch hilft es, wenn Kinder sich ein wenig austoben können, auch wenn die Spielplätze geschlossen bleiben. Es ist immer besser, sich zu bewegen, statt in strikter Isolation zu leben.

Wohl dem, der einen Garten hat oder am Waldrand lebt. Aber in dicht bebauten Städten könnten sich die Menschen buchstäblich auf die Pelle rücken. Befürchten Sie diesen Effekt?

Enge und Dichte von Menschen sind immer psychologische Stressfaktoren. Daher wird es in Städten tatsächlich nicht so einfach, Bewegungsfreiheit zu bekommen. Es ist weiter erlaubt, mit dem Auto raus zu fahren. Wer eines hat, sollte mal die Stadt verlassen, um Raum zu bekommen. Ich sehe aber auch einen anderen Faktor im Umgang mit anderen: Menschen, die weiter normal arbeiten gehen, etwa in der Pflege oder in der Grundversorgung, bekommen wegen der Hamsterkäufe kein Mehl oder kein Klopapier mehr. Es wäre eine klassische Nachbarschaftshilfe, für sie einkaufen zu gehen. Das lässt sich über Verbände oder Vereine organisieren. In Neuwied-Heimbach-Weis, wo ich herkomme, sind es unter anderem die Karnevals-Vereine, die sich darum kümmern.

Ist Nachbarschaftshilfe nicht ohnehin das Zauberwort, um den sozialen Frieden zu erhalten?

Ich glaube aktive Nachbarschaftshilfe ist eine wichtige Maßnahme. Doch die kann nicht zentral aus Berlin organisiert werden. Das ist eine Aufgabe der Dörfer und Städte. Und letztlich einfach der Menschen vor Ort.

Nun macht das Kontaktverbot es aber schwer, das zu organisieren. Inwiefern lässt sich Nachbarschaftshilfe online organisieren?

Über das Netz läuft tatsächlich sehr viel. Ich kriege mit, wie Facebook-Gruppen sich mit dem Ziel gründen, anderen zu helfen. Ich selbst versorge drei ältere Menschen in der Nachbarschaft mit. Da reiche ich dann Lebensmittel halt durchs Fenster oder die Tür rein und mache Support übers Telefon. Ich finde, dass wir das leisten können – und da noch gute Wege entwickeln werden.

Psychotherapie über Video

Lässt sich so auch die Arbeit Ihrer Kollegen organisieren?

Was die Psychotherapie betrifft, haben wir schon einen Riesenschritt hingekriegt. Wir sind mit den Therapien bereits online. Laufende Therapien können per Video oder per Telefon weitergeführt werden. Es ist sensationell, dass die zuständigen Stellen das so schnell hinbekommen haben. In der Psychologie können wir die Bevölkerung unterstützen. Nicht mit Psychotherapien, aber mit psychologischem Support zum Beispiel per Telefon oder über die soziale Medien.

Wie funktioniert eine Psychotherapie über Video oder Telefon?

Es gibt zertifizierte Anbieter. Das ist wichtig wegen des Datenschutzes. Der Therapeut schickt einen Link, den Klicken die Betroffenen an und identifizieren sich über die entsprechenden Passwörter.

Leidet nicht die Qualität des Gesprächs durch die Rahmenbedingungen?

Es leidet dann, wenn die Technik nicht funktioniert. Die Anbieter waren am Anfang erst einmal überlastet. Doch sie haben nachgebessert. Jetzt haben sie eine erstaunlich gute Qualität erreicht. Was die therapeutische Qualität des Gesprächs betrifft, muss man sagen: Es ist nicht Gold-Standard. Aber es ist das, was in der jetzigen Situation machbar ist und was wirklich hilft.

Was würde drohen, wenn es diese Hilfe nicht gäbe?

Für Menschen, die schon vorher psychisch belastet waren, ist die Situation besonders schlimm: Es gibt eine Zunahme an Stress, Ängsten oder Schlafproblemen. Und alles, was wir sonst empfehlen, ist schwieriger geworden: Rausgehen, bewegen, vernetzen. Das alles geht im Moment nur bedingt. Und dann ist die Zeit natürlich ganz besonders schwer für Menschen, die ohnehin Angststörungen haben.

Wie sieht der Blick in die Zukunft aus?

Ich wage keine Prognosen. Dafür ist die Situation einfach zu unklar. Aber ich bin optimistisch. Schauen Sie: Wir sind 80 Millionen Menschen, die bisher im ungefährdeten Wohlstand gelebt haben. Dafür haben wahnsinnig viele sich wahnsinnig schnell auf die neue Situation eingestellt. Ich halte das für eine erstaunliche Leistung, deren Größe gar nicht genug gewürdigt werden kann. Und sie ist noch ausbaubar. Etwa wenn wir mehr für Nachbarschaftshilfen und psychologische Krisenhilfen machen.