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Der BYC-Beitrag „ZDF Intendant Thomas Bellut droht mit Einschnitten ins Programm“ hat im Netz eine Debatte losgetreten. Tenor: Die öffentlich-rechtlichen Sender würden ihr Sparpotential nicht nutzen und das Programm zeige Schwächen. Das ZDF demonstriert unterdessen, wie man mit Unterhaltung Politik macht.

Auch das Private ist politisch. Diese These prägten die Studenten der 68er. Einige von ihnen haben den Marsch durch die Institutionen erfolgreich zurückgelegt und sitzen selber in Führungspositionen der öffentlich-rechtlichen Sender. Oder sie genießen die überdurchschnittlich guten Pensionen, die ein Grund für den hohen Finanzbedarf von ARD, ZDF und Co sind.

Von Einsparungen besonders betroffen wären die fiktionalen Angebote, kündigte Bellut an. Das ist aus Sicht des ZDF-Intendanten ein politisches Druckmittel. Zum einen beauftragen die öffentlich-rechtliche viele private Produktionsfirmen, sodass mit dem Rundfunkbeitrag die Kulturszene querfinanziert wird. Bellut droht also mit einem Ende der Querfinanzierung. Zum anderen ist nicht nur das Private politisch – sondern auch die Unterhaltung.

Am Sonntag lief ein Ludwigshafen-Tatort: Ein Antifaschist wird ermordet, verdächtig wird die Nazi-Szene. Der wievielte Tatort aus diesem simplen Baukasten „Agitproptheater für Anfänger“ war das eigentlich in den letzten fünf Jahren?  Und auch das ZDF macht Politik mit den zahlreichen Regionalkrimis a la Soko Kitzbühl, Wache Wackernheim West oder Revier Untere Steingasse, Oberer Abschnitt.

„Er ist nur ein weißer, alter Mann“

Am Samstag lief im ZDF „Mord München“. Der Spannungsbogen am Schluss: Eine Frau, die bereits einen Mord begangen hat, bedroht mit einem Messer einen Mann, der sie zuvor schwer beleidigt hat. Ein Kommissar redet auf sie ein: Der Bedrohte sei nur ein weißer, alter Mann, seine Art stürbe bald aus und er sei einen weiteren Mord nicht wert.

Die glückliche Auflösung: Sie sticht dem Bedrohten in die Genitalien. Die Ermittler nehmen es achselzuckend zur Kenntnis, ziehen unbeeindruckt weiter und verhöhnen letztlich den Niedergestochenen, weil der über seine Schmerzen klagt. Die Botschaft ist klar: Er hat die Verstümmelung verdient. Mindestens. Und zum Glück ist er „Der letzte seiner Art“, wie die Folge denn auch heißt.

Das Private ist politisch. Wenn im Tatort mit großem Abstand am häufigsten Unternehmer als Mörder dargestellt werden. Wenn im ZDF ein Opfer dankbar zu sein hat, wenn er nur an den Genitalien verletzt wird. Und wenn die Assoziationskette „Verstümmelte Genitalien – Weißer, Alter Mann – Letzter seiner Art“ bemüht wird. Dann ist auch die Unterhaltung politisch.

Debatte politisch aufgeheizt

Agitation dieser Art erklärt, warum die Debatte um höhere Rundfunkgebühren politisch und emotional aufgeladen ist. Einige Beiträge auf Facebook fallen so aus, dass wir sie hier nicht wiedergeben können – und wollen. Doch der Tenor der Debatte ist eindeutig: Die Gebühren sind schon zu hoch, das Programm ist im Gegenzug zu flach.

„Wenn ich überlege,,,,,,zB Fernsehgarten,,,,,,was da für ein Geld für die STARS ausgegeben wird -und dann die Moderation- muss ich oft den Ton abschalten“, schreibt eine Nutzerin, die von Facebook als Top-Fan des BYC-Accounts geführt wird.

„Na dann mal lieber die Gehälter anpassen ( nach unten). Mal eine Auflistung der Gehälter und den Pensionen, wie diese in den letzten 20 Jahren gestiegen sind. Wenn man da etwas einspart, bräuchte man keine Erhöhung. Meiner Meinung nach kommt die Erhöhung durch die selbst gegebenen Gehaltserhöhung. Weil die Qualität ist naja Schrott. Also dann nur noch 1 Sender der unterstützt wird, denn erst privatisieren“, schreibt ein Nutzer.

ARD und ZDF meistgesehene Sender

Ein weiterer Nutzer wirft ein: „Faszinierend, dass in diesen Kommentarsektionen immer Menschen erzählen, dass Niemand den öR schauen od. verfolgen würde. Dennoch der öR fast jedes Jahr in Folge und jeden Monat aufs Neue auf Platz 1&2 der meistgesehenen Sender ist. Vielleicht solltet ihr Euch hier auf Facebook nicht so wichtig fühlen und endlich erkennen, dass ihr nicht die Mehrheit seid, ihr Internettrolle. Ich bin froh, dass wir einen unabhängigen öffentlichen Rundfunk haben und nicht wie in bspw. den USA von politischen Kindsköpfen mit dem meisten Geld beeinflusst werden.“

„Wahnsinn. Seit Beginn Corona, habe ich hier auf fb nicht mehr so ne Einigkeit erleben dürfen. Alle der selben Meinung“, fasst ein Nutzer die Debatte zusammen.

Dass der thüringische Landtag auf Druck der dortigen CDU die Gebührenerhöhung gestoppt hat, ist ein bisher einmaliger Akt in der Bundesrepublik. Er zeigt, dass es sich nicht um eine reine Filterblase im Netz handelt, sondern der Druck auf Politik und Sender real ist. Die Verantwortlichen täten gut daran, auf die Kritik einzugehen.

Und wenn am Samstag gegen 21.45 Uhr einem Millionenpublikum nicht die Botschaft gesendet würde, ein Weißer, Alter Mann habe froh zu sein, wenn nur seine Genitalien verstümmelt werden, wäre das auch nicht schlecht. Auch Unterhaltung ist politisch.


München Mord, Der letzte seiner Art lief an diesem Samstag, ist aber in der Mediathek des Senders noch abrufbar.

Die Rechtschreibung in den Zitaten haben wir teilweise korrigiert, ohne den Inhalt der Posts zu verändern.