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Am Montag öffnen wieder alle Filialen der Sparkasse Mainz. Die Bank hatte einige geschlossen, um den weiteren Betrieb der großen Geschäftsstellen sichern zu können, falls sich in den eigenen Reihen der Corona-Virus ausbreitet. Doch Thorsten Mühl warnt vor zu viel Euphorie: Die Pandemie sei gesundheitlich so wenig überstanden wie wirtschaftlich, sagt der Vorstandsvorsitzende der Sparkasse Mainz im Interview. Nun brauche es einen „realistischen Optimismus“ um die anstehenden Aufgaben zu meistern – und gute Nerven auf dem Börsenmarkt.


Am Montag öffnen wieder alle Filialen der Sparkasse Mainz. Freut sich auch der Chef, wenn es wieder richtig losgeht?

Ja. Man spürt förmlich die Erleichterung unter den Mitarbeitern, dass wir jetzt auch vor Ort unsere Filialen wieder flächendeckend öffnen. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und werden alle hygienischen Voraussetzungen erfüllen. Das könnten wir heute schon, aber wir haben uns bewusst Zeit gelassen: Wir wollten kein falsches Signal setzen, keines eines übereilten Aufbruchs. Aber natürlich hat uns der persönliche Kontakt zu unseren Kundinnen und Kunden gefehlt.

Inwiefern?

Wir haben in der Krise stark auf Home Office gesetzt. Das hat gut funktioniert, weil wir vorbereitet waren. Die Konzepte dazu waren schon vorher da. Das hat es uns erleichtert, jetzt schnell umzubauen: Einige Filialen schließen, um die großen Geschäftsstellen mit Reserve-Teams auch dann noch öffnen zu können, falls unter unseren Mitarbeitern der Corona-Virus verbreitet worden wäre. Was glücklicherweise ausgeblieben ist. Wir konnten in der Krise auch das Angebot an Home Office an unsere Mitarbeiter ausbauen. Vorher hatten wir rund 25 Personen im Home Office, nachdem der Lockdown verkündet wurde, haben wir das innerhalb weniger Tage auf über 50 Prozent unserer Kolleginnen und Kollegen erweitert. Das betrifft also rund 180 Stellen. Wenn alles irgendwann wieder in normalen Bahnen läuft, werden wir sicherlich nicht wieder auf das vorherige Maß zurückgehen. Dafür haben wir die Vorteile dieses flexiblen Arbeitens doch zu sehr schätzen gelernt. Aber es gibt Momente, die kann das Home Office nicht ersetzen: Das schnelle Gespräch mit dem Kollegen, dieser Sparingsaustausch von Gedanken und natürlich auch: der direkte Kontakt zu den Kunden. Wir sind sehr froh, dass es diesen nun wieder verstärkt geben wird.

Direkter Kontakt hat teilweise gefehlt. Aber Ihre Mitarbeiter haben viel kommuniziert mit den Kunden während der Kontaktsperre. Vielleicht mehr als vorher. Es gab die so genannten Kümmeranrufe. Was steckt dahinter?

Wir fühlen uns unserer Kundschaft gegenüber verpflichtet. Wenn es allein im Rhein-Main-Gebiet 1,1 Millionen Anträge auf Kurzarbeit gibt, dann ist es naheliegend: Das tangiert auch unsere Kundschaft, die schließlich einen Querschnitt der Gesellschaft darstellt. Wenn zeitweise 40 Prozent des Gehalts wegbleiben, stellt das viele vor finanzielle Schwierigkeiten. Da haben wir gesagt: Wir helfen. Und die Kümmeranrufe dienten dazu, unsere Kunden auf die Möglichkeiten aufmerksam zu machen, die sie in dieser Lage haben.

Angebot zur Zahlungspause

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Es gibt ein gesetzliches Moratorium für Kredite. Darauf haben wir aufmerksam gemacht. Rückzahlungen können demnach für bis zu drei Monate ausgesetzt werden. In mehr als der Hälfte der Fälle, für die eine Aussetzung der Rückzahlung eine sinnvolle Hilfe war, sind wir allerdings von uns aus über das gesetzliche Moratorium hinausgegangen und haben längere Zahlungspausen vereinbart. Insgesamt konnten wir so bislang in 344 Fällen helfen. Wir haben dabei Tilgungsaussetzungen vereinbart, die eine Darlehenssumme von 50 Millionen Euro betreffen. Und wir haben uns ergänzend zu einem Moratorium verpflichtet, das weitergeht als das staatlich beschlossene.

Inwiefern?

Als Sparkassen-Verbund haben wir ein privates Moratorium beschlossen. Die Bankenaufsicht hat dies genehmigt. Kunden können über dieses private Moratorium Kreditrückzahlungen bis zu neun Monate aussetzen, ohne dass ihnen dabei ein Nachteil entsteht. Wenn sich etwa Zinssätze ändern, fangen wir das auf. So sind wir in der Lage, unseren Kunden auch über einen längeren Zeitrahmen zu helfen.

Das bedeutet auch für die Bank eine zusätzliche Anstrengung.

Corona stellt uns in der Tat als Bank vor verschiedene zusätzliche Aufgaben. So haben wir einen anderen Effekt festgestellt: Wir haben während den letzten Wochen erhebliche Mittelzuflüsse gehabt.

Kunden suchen Sicherheit

Wie kommt das?

Kunden transferieren ihr Geld von anderen Banken zu uns. Ihnen geht es um Einlagenschutz und Einlagensicherung. Das ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn es ist natürlich ein Vertrauensbeweis uns gegenüber. Andererseits bedeutet es in Zeiten des Negativzins auch eine Herausforderung. Schließlich zahlen wir für Kundeneinlagen, die wir bei der EZB hinterlegen müssen, derzeit minus 0,5 Prozent.

Sicherheit statt Risiko. In der Krise ein nachvollziehbarer Gedanke. Erleben Sie den auch auf dem Kapitalmarkt? Die Aktien-Kurse sind ja teilweise rasant in den Keller gerutscht. In solch einer Situation will mancher sein Geld durch Notverkäufe in Sicherheit bringen.

Das haben wir nur im Einzelfall erlebt. Insgesamt haben die Kunden sehr besonnen reagiert und Ruhe bewahrt. Denn natürlich ist jetzt kein günstiger Zeitpunkt zu verkaufen. Wenn ich jetzt verkaufe, realisiere ich Kursverluste.

Also wer Geld übrig hat, sollte Aktien halten oder sogar investieren?

Jein. Für Fonds gilt das. Da kümmern sich unsere Experten der DekaBank um einen Ausgleich des Risikos. Einzelne Aktien müssen sich ihre Halter schon genau ansehen: Wie kommen die dahinterstehenden Unternehmen durch die Krise? Droht denen vielleicht der Niedergang? Dann kann es auch sinnvoll sein, jetzt abzustoßen. Wer diese Frage nicht alleine beantworten wollte, hat in den letzten Wochen oft intensiv das Gespräch mit unseren Vermögensberatern gesucht. In einer solchen Situation ist es absolut richtig, Entscheidungen nicht isoliert und unter dem Eindruck von Horrormeldungen zu treffen, sondern professionelle und erfahrene Ratgeber einzubinden. Für Anleger gilt mit Blick auf die 20er Jahre: Insgesamt wird der Aktien-Markt zwar volatil bleiben, aber langfristig weiterhin rentabel.

Negativzinspolitik wird bleiben

Was bedeutet das?

Die Notenbank wird nach der Krise nicht von der Negativzinspolitik abweichen, auch wenn es vor der Krise dafür erste leichte Anzeichen gab. Das heißt: Kapital muss weiterhin ohne Zins, aber trotzdem rentierlich angelegt werden. Da bleiben vor allem Aktien und Immobilien. Der Markt wird also wellenartige Ausschläge in beide Richtungen erleben: Nach oben wie nach unten. Aber wer seinen Aktienbestand halten kann, wird erleben, dass die Werte nach den verschiedenen Wellen eher höher sein werden als jetzt. Wir empfehlen derzeit Kunden, die in den Kapitalmarkt investieren wollen, nicht die komplette Summe auf einen Schlag anzulegen. Lieber in Abschnitten investieren. Möglicherweise flankiert durch einen Sparvertrag.

Das ist eine optimistische Einschätzung. Damit liegen Sie nicht im Trend. Denn eigentlich macht sich momentan schlechte Laune breit, obwohl Deutschland vergleichsweise gut durch die Krise gekommen ist.

Diesen subjektiven Eindruck würde ich bestätigen. Die Bevölkerung hat die einschneidenden Maßnahmen bisher ganz hervorragend mitgemacht, aber mit den Lockerungen breitet sich eine schlechte Stimmung aus. Das ist gefährlich. Einerseits sind auch wir für Lockerungen – Schritt für Schritt. Sie verbreiten Optimismus, Und Optimismus ist natürlich ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftsleben. Andererseits dürfen wir nicht überziehen. Eine mögliche zweite oder dritte Welle des Virus darf nicht so schwer ausfallen, dass alle Erleichterungen wieder zurückgenommen werden müssen. Das wäre fatal. Wir brauchen daher einen realistischen Optimismus.

Das bedeutet auch, dass die wirtschaftspolitischen Anstrengungen anhalten müssen, um die Krise zu meistern?

Wir glauben nicht, dass die Situation überstanden ist. Im Gegenteil. Bei manchen kommen die wirtschaftlichen Folgen erst noch. Wir können das ja bei unseren Kunden sehen: In den ersten Wochen sind die Verluste noch darstellbar, aber irgendwann wird es schwer. Nehmen Sie nur die Gastronomie. Die Hygiene-Vorschriften sind notwendigerweise so streng, dass viele Wirte gar nicht in der Lage sind, ausreichend Umsatz zu erzielen – auch nicht bei entsprechender Nachfrage. Ähnlich sieht die Lage in anderen Bereichen aus. Das geht bis ins Vereinsleben. Wir werden uns daher auch weiterhin gesellschaftlich engagieren.

Kunden haben Verständnis gezeigt

Inwiefern?

Die Sparkassen haben die beiden Online-Plattformen helfen.gemeinsamdadurch.de für den Mittelstand und wirwunder.de für Vereine und soziale Projekte ins Leben gerufen. Wir spenden selber für Projekte, die jetzt Geld brauchen und engagieren uns derzeit bei weit über 100 Vereinen in der Region. Außerdem organisieren wir speziell über diese Plattformen die Solidarität der Hilfsbereiten mit den Bedürftigen, damit Sinnvolles nicht an Geldknappheit scheitert. Es braucht dieses gesamtgesellschaftliche Engagement, um gemeinsam durch die Krise zu kommen.

Sie arbeiten nicht nur mit Unternehmen, Sie vertreten selbst eins. Sie haben vor Corona Schritte eines Umbaus des Unternehmens angekündigt. Kommen die jetzt ins Stocken?

Nein. Wir haben eine klare strategische Ausrichtung: Wir sind stationär vor Ort vertreten. Deswegen bleibt es bei Projekten wie dem SB-Center, das wir gemeinsam mit der Mainzer Volksbank gerade in Undenheim eröffnet haben. Auch werden wir am Umzug der Filiale in der Mainzer Neustadt festhalten. Denn mit diesem reagieren wir auf die Veränderung, die dieser wichtige Stadtteil gerade erfährt. In Nierstein ist der Neubau einer Filiale ins Stocken geraten. Aber das haben wir nicht in der Hand. Das liegt daran, dass sich möglicherweise das Bebauungsplanverfahren verzögert. Aber auch hier arbeiten wir weiter an einer Lösung.

Sie hören sich an, als ob Sie sich auf den Neustart am Montag freuen.

Ja. Und wir wollen unseren Kunden ein aufrechtes und herzliches Dankeschön sagen: Sie haben eine schwierige Phase wunderbar mitgemacht. Wir sind zwar als Grundversorger eingestuft, mussten uns aber zeitweise von einigen Geschäftsstellen verabschieden. Das ist uns selbst schwer gefallen, hat aber geholfen, die Versorgung auch im Fall der Fälle garantieren zu können. Die vielen persönlichen Rückmeldungen unserer Kunden haben uns gezeigt, dass es hierfür großes Verständnis gab.