
Einsatzbericht von Eva und André Borsche: Seit 18 Jahren unterstützt INTERPLAST-Bad Kreuznach ein kleines Krankenhaus in einer ländlichen, armen Region Zentralindiens. Regelmäßige Hilfseinsätze, Materialspenden und finanziell unterstützte Baumaßnahmen erfolgten im Rahmen einer freundschaftlichen Zusammenarbeit. Durch die Corona-Pandemie mussten die Einsätze nach Shevgaon ausgesetzt werden. Jetzt hat erstmals das Ärzteehepaar Borsche wieder die Initiative ergriffen, nach Indien zu reisen – diesmal aber unter veränderten Rahmenbedingungen.
Während sie früher mit einem ganzen Team an deutschen Ärzten, Schwestern und Pflegern gereist sind, waren diesmal indische Ärzte und Pflegepersonal ihre Partner im Einsatz. Diese halfen ehrenamtlich vor Ort mit, um arme und bedürftige Patienten durch plastische, wiederherstellende Operationen zu versorgen. Mit dem Ziel, die Hilfe zur Selbsthilfe zu fördern, hatte Dr. André Borsche seinen indischen Kollegen Dr. Prakash Chajlani aus Indore gebeten, als erfahrener plastischer Chirurg an dem humanitären Einsatz teilzunehmen.
Das kleine Hospital in Maharastra mit seinen 100 Betten wird seit 50 Jahren von ehemals deutschen und mittlerweile indischen Ordensschwestern geleitet. Die Schwestern kümmern sich mit aller Herzenswärme und großer Fachkenntnis um die Patienten aller Religionsgemeinschaften. Doch leider gibt es nur einen einzigen festangestellten Arzt, einen homöopathisch ausgebildeten Internisten. Den chirurgischen Dienst versieht ein 84-jähriger Kollege, Dr. Goré, von allen ehrfurchtsvoll „Mahatma Goré“ genannt.
Dr. Goré hat seit 2007 bei allen Einsätzen mitgeholfen und übernahm auch dieses Mal die Nachbehandlung der operierten Patienten. Ihm wird tiefer Respekt entgegengebracht – jeder erzählt davon, wie vielen Patienten dieser Arzt schon das Leben gerettet hat. Äußerst dankbar lässt er sich in neue Operationsmethoden einführen und operiert auch heute noch feinste Hautnähte ohne Brille! Ordensschwester Anne, die jahrzehntelang tausende Geburten und Sterbefälle begleitet hat, steht ihm zur Seite.
Bei Bedarf muss ein Anästhesist stundenweise aus der 140 km entfernten nächstgrößeren Stadt ausgeliehen werden. Schwesternschülerinnen sind durch die angegliederte Schule zahlreich vorhanden. In Grüppchen zusammenstehend beobachten sie jeden Handgriff, sind dankbar für jeden kleinen Auftrag und erfüllen mit Hingabe und Stolz die ihnen gestellten Aufgaben.
Medizinische Einsätze und Erfolge
Borsches berichten: „Für Einsätze wie den unsrigen gibt es trotz allen Fortschritts in Indien noch genug zu tun.“ 60 Kindern und Erwachsenen konnte geholfen werden – sie alle hatten keinen Zugang zu spezialisierter ärztlicher Versorgung. Die Eingriffe umfassten Fehlbildungen wie zusammengewachsene Finger, Gaumen- und Lippenspalten oder fehlangelegte Ohren, Hauttumore sowie – als größte Gruppe – schwere Entstellungen nach Verbrennungen. In Indien passieren diese meist durch Unfälle beim Umgang mit offenem Feuer an Kochstellen oder zum Wärmen im Winter.
Von 2007 bis heute haben wir auf unseren Einsätzen im Krankenhaus von Shevgaon viele Kinder als Patienten groß werden sehen. Ein Beispiel ist Kartik: Er wurde als Zweijähriger bei einem Hausbrand durch eine umgefallene Kerze am ganzen Körper verbrannt. Kaum in der Lage, Arme oder Beine zu bewegen, kam er 2008 zu uns. Der Schock des Unfalls hat ihm die Sprache verschlagen – er ist stumm. Jahr für Jahr kam er zu Operationen an Händen, Rumpf und Augen.
Heute ist aus dem kleinen Jungen ein kräftiger junger Mann geworden. Wortlos, aber mit einem breiten Lächeln, überreicht er uns eine Rose. Dieses Mal kommt er nicht zur Operation – nur aus Dankbarkeit für ein glückliches Leben ohne Entstellungen.
Ein weiteres bewegendes Beispiel ist Rehana. Die 28-Jährige hat über die Jahre viele Operationen ertragen müssen. Nach jedem Eingriff litt sie unter heftigen Schmerzen. Aus Angst vor einer weiteren OP wurde sie jedes Mal fast ohnmächtig. Doch sie kehrte immer wieder zurück – denn jede Operation gab ihr ein Stück mehr Normalität zurück und half ihr, nicht länger das Opfer eines Säureangriffs zu sein.
Damals schien ihr Leben zerstört. Doch acht Jahre später steht sie strahlend vor uns – mit einem Mann an ihrer Seite. Tatsächlich: Letzten Sommer ging ihr Traum in Erfüllung – sie hat geheiratet! 14 Stunden Busfahrt hat sie auf sich genommen, nur um uns wiederzusehen. Ihr Mann berichtet von Freudentränen, als sie hörte, dass wir wieder in Shevgaon sind. Welch eine Wiedersehensfreude! Auch sie ist nur gekommen, um uns zu danken.
Ein Projekt, das Leben verändert
All diese Begegnungen wurden durch die Freundschaft mit dem indischen Pater Prakash Rauth ermöglicht. Vor fast 20 Jahren tauchte er plötzlich in Bad Kreuznach auf und bat uns, in sein Krankenhaus zu kommen – ein Hospital ohne Ärzte, aber mit unzähligen bedürftigen Patienten. Er überredete uns damals, nach Indien zu reisen – und wir haben es bis heute nicht ein einziges Mal bereut.
Zusammen mit Dr. Petra Carqueville, der Seele des kleinen Vereins LOVE LEARN LIVE, bereitet er unsere Einsätze vor und sorgt dafür, dass Patienten selbst aus den entlegensten Orten den Weg ins Hospital finden. Darüber hinaus leisten sie wertvolle Arbeit: Sie bauen Brunnen, betreuen Schulen und vermitteln Patenschaften. Besonders wichtig ist ihr Einsatz für Mädchen: Sie überzeugen Eltern, ihre Töchter nicht mit 14 zu verheiraten, sondern ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen.
In vielen ländlichen Regionen Indiens ist es Tradition, dass Mädchen nach der Eheschließung mit einem oft unbekannten Ehemann in das Haus der Schwiegereltern ziehen – ohne Ausbildung, ohne finanzielle Absicherung. Diese Projekte helfen, neue Wege zu eröffnen und Mädchen eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Der heilige Thomas, der Zweifler unter den Jüngern, brachte das Christentum nach Indien. Wir haben trotz unüberwindlicher bürokratischer Probleme weiterhin daran geglaubt, den seit vier Jahren auf uns wartenden Patienten in Indien wieder helfen zu können.
Wir sind an den Schwierigkeiten gewachsen. Die Hindernisse haben uns aus alten Mustern ausscheren und Neues wagen lassen. Doch dafür wurden wir reichlich belohnt: Wir haben indische Kollegen gefunden, die unser Werk im Sinne der Menschlichkeit und Nächstenliebe fortsetzen und mit ihren eigenen Methoden das Projekt mit frischem Leben füllen.