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Saarbrücken. Die Geburt des Saarlandes erfolgte vor 100 Jahren auf dem Papier. Das war durchaus umstritten: der Versailler Vertrag. Manche sehen in ihm einen Grund für die spätere Machtübernahme durch Adolf Hitler.

Greta war nicht die Erste, die den Atlantik für internationale Konferenzen über das Wasser statt durch die Luft überquerte. Auch Woodrow Wilson machte es – das ging 1919 auch nicht anders. Trotzdem hatte es konkrete historische Folgen. Denn so konnte Wilson sich bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg nicht durchsetzen, wie es Stefan Zweig in den „Sternstunden der Menschheit“ schildert.

In der Abwesenheit des 28. amerikanischen Präsidenten setzten sich die Franzosen durch: Die wollten einen harten Frieden und eine „Zerschlagung des Reichs“, wie es der Historiker Hagen Schulze beschreibt. Die beiden Staaten definierten sich seinerzeit als „Erbfeinde“. Und so wie Deutschland Frankreich nach dem Krieg 1870/1871 demütigte, so tat dies Frankreich dann nach dem Ersten Weltkrieg mit Deutschland.

Die Strafen im Vertrag waren hart: Deutschland musste große Teile seines Territoriums abtreten: an Polen, Belgien, Frankreich, Litauen und die Tschechoslowakei. Das Saargebiet wurde unter internationale Aufsicht gestellt. Zudem fielen hohe Reparationen an, die in Geld, Rohstoffen und Material zu zahlen waren. Doch das war für die Zeit durchaus üblich.

Der französische Frieden zielte aber auch auf Demütigung. Das begann schon bei den Verhandlungen, die die deutsche Delegation hinter Stacheldraht und Palisaden abwarten musste. Das deutsche Militär wurde massiv beschnitten. Eine Nation, die sich zuvor so stark über Rang und Uniform definierte wie das Kaiserreich, griff das im Selbstverständnis an.

Schuldfrage bewegte Deutsche

Dann blieb noch die Frage, wer die Schuld am Ausbruch des Krieges trug. Die wurde allein den Deutschen gegeben. Und wie die so sind: Das Symbolische, was sich am wenigsten konkret auswirkt, damit beschäftigten sich die Deutschen am meisten. Die Verantwortlichen für den Versailler Vertrag waren zwischen Rhein und Oder verhasst. Doch die Schuld dafür suchten die Deutschen nicht nur außerhalb ihrer Grenzen.

Warum das so sein konnte, führt diese Geschichte zurück zu Woodrow Wilson. Der hatte in der Schlussphase des Kriegs einen 14-Punkte-Plan aufgestellt. Der Plan enthielt Forderungen. Würden diese eingehalten, könne Deutschland einen entgegenkommenden Friedensvertrag erwarten. Die wichtigste Forderung: Die Deutschen müssen die Monarchie abstreifen und die Demokratie einführen.

Diese Chance nutzte die deutsche Heeresführung. Die Feldmarschälle Hindenburg und Ludendorff hatten am 29. September 2018 intern eingeräumt, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei und dringend Friedensverhandlungen forciert werden müssten. Wilson lieferte ihnen den Vorwand, dass dies nicht das Militär übernimmt, sondern zivile Kräfte. Unter anderem wurde das der Zentrums-Politiker Matthias Erzberger. Üblich war es seinerzeit, dass solche Verhandlungen vom Militär geführt werden.

Weil Wilson auf dem Schiff statt in den Verhandlungen war, setzten sich die Franzosen durch. Die Schuld dafür gaben die Deutschen denen, die den „Schandfrieden“ verhandelt hatten. Verantwortliche Politiker wie Erzberger wurden im Laufe der Jahre ermordet.

Hindenburg schürte das Feuer

Statt zuzugeben, dass sie den Krieg eigentlich verloren hatten, logen die Feldmarschälle und schürten so das Feuer. Hindenburg sprach in einem Ausschuss davon, dass dem an sich erfolgreichen Heer aus der Heimat der Dolch in den Rücken gestoßen worden sei – die „Dolchstoßlegende“ belastete das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie.

Adolf Hitler nutzte den Versailler Vertrag für seine Agitation. „Schandfrieden“, „Verräter“ und „Dolchstoß“ waren wichtige Stichworte in seinen Reden. Manche gehen so weit, den Versailler Vertrag als Grund für Hitlers spätere „Machtübernahme“ und so letztlich auch für den Zweiten Weltkrieg zu sehen.

Das ist zu einfach. Es ignoriert andere wichtige Faktoren, die den Zusammenbruch der Weimarer Republik erklären: Korrupte Eliten. Eine fehlende demokratische Kultur. Eine Bevölkerungsstruktur, die einen Überschuss an jungen Männern mit sich brachte, was häufig zu gesellschaftlichen Unruhen führt. Das Versäumnis, undemokratische Richter, Staatsanwälte, Verwaltungschefs, Polizisten und Militärs konsequenter auszutauschen. Die Weltwirtschaftskrise, die Deutschland aus strukturellen Gründen härter traf als andere Nationen.

Als Hitler an der Macht war, brach er den Versailler Vertrag mehrfach: Er marschierte ins entmilitarisierte Rheinland ein. Führte die Wehrpflicht ein. Rüstete die Wehrmacht stärker als erlaubt auf.

Zu der Tragödie des Nationalsozialismus gehört es auch, dass die Alliierten gegenüber den deutschen Demokraten oft unnachgiebig waren, während sie Hitler bis zur Peinlichkeit entgegenkamen. Was sich daraus lernen lässt: Dass Diskussionen über Schuldfragen unsinnig sind und besser über Konkretes geredet werden sollte. Und das wirklich wichtige Leute während einer Konferenz besser nicht auf einem Schiff sitzen.