Seine Stimme hat Gewicht in der Corona-Krise. Prof. Dr. Christian Heinrich Maria Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité. Als einer der führenden Virologen berät er die Regierung zu der aktuellen Situation. Seine Ansichten zur Corona-Pandemie hat er in einem Interview mit dem ZDF erklärt.

 


Der Ausbruch in Deutschland wurde früh erkannt

In Deutschland sei der Ausbruch des Virus relativ früh erkannt worden. Das läge daran, dass wir sehr viel diagnostizieren. Drosten schätzt, dass wir dadurch eine Vorlaufzeit von rund ein bis zwei Wochen haben, da wir den Ausbruch früh erkannt haben. Er geht deshalb davon aus, dass das Virus Deutschland nicht so hart treffen wird wie andere Länder.

Das heiße natürlich nicht, dass wir jetzt zwei Wochen abwarten können und dann eine Ausgangssperre verhängen können. Wir müssen schon zuvor handeln und Ansammlungen von Menschen verhindern, um die Ausbreitung des Virus möglichst gering zu halten. Nur so könne eine Ausgangssperre verhindert werden. Das müsse der Bevölkerung gegenüber auch klar kommuniziert werden.

Wir haben eine gewisse Zeit der Vorbereitung

Italien steht vor dem Problem, dass die Ärzte priorisieren und wählen müssen, wer beatmet wird und wer eine Sterbebegleitung erhält. Ob das auch Deutschland bevor steht, hängt laut Drosten davon ab, ob wir es schaffen die Ausbreitung zu verlangsamen, um das Geundheitssystem nicht zu überlasten. Deutschland hat aber jetzt schon eine vergleichsweise hohe Anzahl an Intensiv- und Beatmungskapazitäten. Wir haben zudem mehrere Wochen der Vorbereitung, in denen wir agieren können. Diese Zeit habe beispielsweise Italien nicht gehabt. Sie waren plötzlich in der Situation, dass sie viele Infizierte hatten.

Die Krankheit sei relativ schwierig zu beatmen. „Da muss man Intensivmedizin schon können.“, erklärt Drosten. Die Mediziner müsse man also in einer gewissen Weise darauf vorbereiten und fortbilden. Auch dafür haben wir jetzt eine gewissen Vorbereitungszeit, die andere Länder nicht hatten.

Kritik an der Weltgesundheitsorganisation

Bereits vor rund sieben Wochen hatte Drosten gewarnt: Es wird schlimm werden. Das war ungefähr zu dem Zeitpunkt, als die Weltgesundheitsorganisation sich im Bezug auf das Coronavirus dazu durch gerungen hat, von einem internationalen Gesundheitsnotstand zu sprechen.

Und genau dies kritisiert Drosten. Die WHO habe lange gewartet, um sich zu diesem Schritt zu entscheiden. Dieses Verhalten der Weltgesundheitsorganisation wird in Zukunft noch öfter kritisiert werden, schätzt Drosten.



Drosten schlägt vor Klinikpersonal täglich zu testen

Nur, weil Deutschland den Ausbruch früh erkannt hat, heiße das nicht, dass wir nun nichts unternehmen müssen. Laut Drosten müssen wir unbedingt handeln. Aber es könne sein, dass wir gerade noch so die Kurve bekommen. Drosten macht einen Vorschlag, der das Gesundheitssystem unterstützen könnte.

Krankenhäuser mit angeschlossenen Laboren sollen ihre Mitarbeiter täglich testen. So können diese weiter arbeiten, wenn sie konstant negativ seien. Damit könne der ein oder andere Quarantäneaufenthalt von Klinikmitarbeitern verhindert werden und die Kliniken hätten mehr Personal zur Verfügung. Einige Verdachtsfälle und unnötige Ansteckungen unter den Mitarbeitern könne man so verhindern.

Zudem könne man wohl bald auch auf Antikörper testen. Personen, welche die Krankheit bereits hinter sich haben, besitzen Antikörper. Diese machen sie für einen gewissen Zeitraum womöglich ein paar Jahren immun. Diese Klinikmitarbeiter könnten nachdem sie die Krankheit überstanden haben auch ohne Schutzausrüstung wieder an die Front und mit Infizierten arbeiten.

Warum nicht jeder getestet wird

Genaue Zahlen hat Drosten nicht. Doch er schätzt, dass aktuell pro Woche zwischen 100.000 und 200.000 Testungen durchgeführt werden. Damit sind wir seinen Einschätzungen nach das Land, das mit am meisten Testungen durchführt. Er gehe aber auch davon aus, dass bald nicht mehr alle, die entsprechende Symptome zeigen getestet werden können.

Man könne beispielsweise Menschen die in einem Haushalt leben alle als Infiziert ansehen, wenn eine Person positiv getestet wurde. Die anderen würden sich sowieso angesteckt haben. Zudem sei ein Test bei Menschen, die zur Risikogruppe gehören wesentlich wichtiger als bei jungen und gesunden Personen.

Junge und gesunde Menschen würden das Virus oft kaum bis gar nicht bemerken. Sie säßen dabei oft auf der Couch und würden nur ein paar mal husten. Die Krankheit verlaufe bei diesen Patienten oft viel weniger schlimm.

Bei Patienten die jedoch zur Risikogruppe gehören, sei es sehr wichtig so früh wie möglich bescheid zu wissen. Zusätzlich müsse der Hausarzt alle zwei Tage bei dem Patienten anrufen und sich nach dem Zustand erkundigen. Denn die verklebte Lunge könne bei diesen Patienten oft schwerwiegende Probleme mit sich bringen, die bis zum Tod führen können.



Das Problem mit Impfstoffen und Medikamenten

Es sei nicht leicht, ein Medikament oder einen Impfstoff „aus dem Ärmel zu schütteln“. Die Zulassungsrichtlinien für neue Medikamente seien sehr kompliziert und langwierig. Eine schnellere Möglichkeit sei es, sich mit bereits bestehenden Medikamenten zu behelfen. Aber auch da gebe es noch keinen großen Durchbruch. Man müsse sich also bereits vorhandene Medikamente anschauen. Da gebe es allerdings auch noch keine großen Fortschritte.

Das Medikament Remdesivir, das gegen Ebola eingesetzt wird, sei eine interessante Substanz im Kampf gegen das Coronavirus. Doch auch dieses Medikament sei noch nicht ganz zugelassen. Der Hersteller gebe dieses Medikament zur Zeit nur auf Beantragung für die jeweiligen Patienten frei. Dabei müsse die Situation des Patienten kurz beschrieben werden. Denn nur für Patienten, die bereits Beatmungshilfen benötigen aber noch nicht auf Kreislaufunterstützende Medikamente angewiesen sind, bekommen zur Zeit die Freigabe für das Medikament. Viele Mediziner wünschen sich, dass sie dieses Medikament ihren Patienten schon früher verschreiben können.

Das Robert-Koch-Institut rechnet mit einem Impfstoff nicht vor Frühjahr 2021. Dietmar Hoppe visiert den Herbst an, um einen geeigneten Impfstoff zu finden. Bei den Impfstoffen sieht Drosten große Herausforderung.

Die Sicherheitsanforderungen für Impfstoffe seien sehr hoch. Das sei auch prinzipiell gut aber in Zeiten wie diesen müsse man darüber nachdenken, die Sicherheitsmaßnahmen etwas herunter zu setzen. „Die Frage ist, bei einer Patientengruppe, die vielleicht ein Risiko hat zu sterben, das fast an 10 Prozent herangeht. Da muss man natürlich noch ein zweites Mal nachdenken über Impfstoffe, die Begleiterscheinungen hervorrufen im Bereich von 1 zu 1.000 oder sogar noch weniger. Das ist etwas, das man heute bei der Impfstoffzulassung niemals tolerieren würde, eine Nebenwirkung in dem Bereich.“ Da aber aktuell kein anderer Impfstoff oder kein anderes Medikament auf dem Markt sei, müsse man darüber nachdenken und dies in einer entsprechenden Runde diskutieren.

Hat China vielleicht schon einen Impfstoff?

Drosten schätzt, dass China uns im Verlauf der Epidemie vier bis fünf Monate voraus ist. Aktuell meldet China keine neuen Infizierungen im Land mehr. Bei den aktuellen Fällen handelt es sich laut den Angaben von China lediglich noch um importierte Fälle, die umgehend in Isolation kommen. Auch wenn das Land derzeit keine neuen Fälle meldet, glaubt er nicht daran, dass es keine neuen Fälle mehr geben wird. Auch ob es nicht in einem Monat vielleicht wieder Todesfälle gibt, wenn China die Maßnahmen lockert, sei zweifelhaft. Denn die Frage, wie viele Fälle unbekannt blieben und nicht gemeldet wurden, bleibe bestehen.

Auch ist für den Virologen fraglich, ob China nicht vielleicht schon einen Impfstoff hat, von dem wir nur noch nichts wissen. Ihn würde dies laut eigenen Angaben nicht wundern.

Laut Drosten gehen viele „sich gut auskennende Personen“ davon aus, dass die Epidemie in China zwangsläufig wieder fahrt aufnimmt und dann vielleicht sogar noch stärker wird als bei dem jetzigen Ausbruch.



Modellberechnungen sagen eine Dauer von zwei Jahren voraus

Nach einigen Modellberechnungen könnte die schwierige Situation noch bis zu zwei Jahren andauern. Dies gilt es zu vermeiden, denn diese Dauer ist nicht durchzuhalten. Weder für die Bevölkerung, noch für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft. Es müssen also andere Lösungen her. In Form von Medikamenten oder Impfstoffen.

Wie geht es weiter?

Das weiß auch Drosten nicht so ganz genau. Eines ist für ihn allerdings sicher: Wir benötigen genaue epidemiologische Daten, um zu überlegen, wie wir aus dieser Situation wieder heraus kommen.

Diese benötige man auch, um zu entscheiden wie es um Ostern herum weiter gehen soll. Denn auch dann, so Drosten, werden wir mit Sicherheit noch immer eine beträchtliche Fallzahl haben. Unter welchen Bedingungen Kinder und Jugendliche trotz der Coronakrise wieder zur Schule gehen können und ob man dafür eventuell andere Maßnahmen verschärft, kann er derzeit noch nicht sagen. Dafür benötige es genaue Modelberechnungen, die „aus Deutschland für Deutschland“ gemacht werden.