Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine Pressekonferenz gegeben, um die Ergebnisse der Konferenz mit den Ministerpräsidenten vorzustellen. Dort verkündigt sie, welche Verschärfungen es im Kampf gegen das Corona-Virus geben soll – demonstriert vor allem aber, dass die Einheit, die es noch im März gegeben hat, Vergangenheit ist. Die Maßnahmen bleiben ein Länder-Flickenteppich, das umstrittene Beherbergungsverbot wird nicht verändert.


Die Ministerpräsidenten tagen mit der Bundeskanzlerin. Die Ergebnisse werden vorab bekannt: Die Menschen sollen künftig auch öffentlichen Plätzen Masken tragen, wenn es in der Stadt viele Corona-Infektionen gibt. Statt bei 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner sollen Verschärfungen schon ab 35 Neuinfektionen greifen. In Risikogebieten soll es Sperrstunden geben – zwischen 23 und 6 Uhr.

Hört sich nach Einigkeit an. Nach Klarheit. Der Ereigniskanal Phoenix rechnet damit, dass die Bundeskanzlerin Angela Merkel gleich zur Pressekonferenz kommt. In einem Seitenfenster ist der leere Tisch mit den Mikrofonen schon zu sehen. Es ist 18 Uhr. Noch läuft im großen Fenster eine Doku über Bären in Südalaska. Aber die kann jederzeit unterbrochen werden, verkündet ein Schriftzug.

Doch die Pressekonferenz beginnt nicht. Es folgt der zweite Teil der Bär-Doku, die Tagesschau. Dann weist eine Doku mit der steilen These auf, dass Che Guevaras Schnell-Prozesse in Kuba rechtsstaatlich waren. Merkel lässt derweil immer noch auf sich warten. Nach einer weiteren Doku über Gandhi kommt endlich die Kanzlerin. Sie trägt Violett.

Anderer Ton als im März

Die Vorabmeldungen laufen auf Bild.de und über DPA. Die gute Informationslage der Bild-Zeitung ist sprichwörtlich. Doch die DPA ist als Nachrichtenagentur eine Institution. Ihre Texte haben den gleichen Seriösitätsrang wie eine staatliche Verlautbarung. Dass DPA mit Vorabmeldungen, die sich auf anonyme Quellen berufen, um sich wirft, ist eher ungewöhnlich.

Nun gibt es für Politiker unterschiedliche Gründe, Journalisten vorab zu informieren, ohne im Text namentlich genannt werden zu wollen. Manchmal tun sie einfach nur befreundeten Journalisten einen Gefallen. Oft genug machen sie damit aber Politik. Wenn jemand zum Beispiel durchsetzen will, dass eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen Pflicht wird, erzählt er einem Journalisten, die Runde der Regierungschefs habe sich darauf geeinigt. Wird das dann vorab gemeldet, fällt es den Ministerpräsidenten deutlich schwerer, nach der Runde zu sagen, dass man sich eben nicht darauf geeinigt hat.

Dass Politik gemacht wurde, sieht man Merkel in der Pressekonferenz an. Auch dass ihr diese Politik nicht gefällt. Eigentlich sind es die gleichen Bilder wie im März: Sie erklärt, was kommt und warum. Doch es ist ein ganz anderer Ton als im März.

Merkels Ton ist ungeduldiger

Merkel erklärt nicht mehr. Sie beginnt die Pressekonferenz damit, dass die Beschlüsse ja bekannt sind. Warum soll sie wiederholen, was andere schon Journalisten gesteckt haben?, steckt als Botschaft dahinter. Sie geht nur auf die Punkte ein, in denen sie sich durchsetzen konnte – etwa dass schon ab 35 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner eingegriffen wird. Eine Bild-Journalistin fragt, Merkel hätte sich doch härtere Maßnahmen gewünscht. Die Kanzlerin widerspricht ihr nicht.

Es ist aber vor allem der Ton, der anders ist. Im März war Merkel die Ruhe selbst. Sie erklärte, appellierte und sprach Mut zu. Damit brachte sie die Deutschen hinter sich, wie Meinungsumfragen bestätigten. Jetzt wirkt sie hektischer, aggressiver und für ihre Verhältnisse ungewohnt deutlich: „Wir haben keine unbegrenzten Möglichkeiten…Wir können uns ökonomisch eine zweite Welle, so wie wir sie im Frühjahr hatten, mit all ihren Folgen, nicht leisten… Ein Blick ins Ausland genügt. Wir müssen jetzt das exponentielle Wachstum stoppen.“

Reizthema Beherbergungsverbot

Das Streitthema war das Beherbergungsverbot. Dort konnten sich Kanzlerin und Ministerpräsidenten nicht einigen. Manche wollten eine härtere Linie, andere wollten das Verbot aufheben. Am Ende ist ein Appell daraus geworden: Die Menschen aus Risikogebieten sollten freiwillig auf innerdeutsche Reisen verzichten.

„Es hat Kontroversen gegeben“, berichtet nach Merkel der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD). Zwar betonen alle die Einigkeit, doch dann haut Müller einen raus: Er wolle die Stadt nicht absperren. „Die Stadt war schon einmal abgesperrt, das ist für mich keine Option.“

Ein Vergleich mit einer kommunistischer Diktatur, die nicht davor zurückgeschreckt hat, auf flüchtende Menschen zu schießen. So geht man mit politischen Gegnern vielleicht im Wahlkampf um. Nach einer Runde, die Konsens erreichen wollte, ist das starker Tobak.

Gesundheitsämter nicht überlasten

Zwei grundsätzliche Ziele haben Kanzlerin und Ministerpräsidenten: Krankenhäuser sollen nicht überlastet werden, aber auch Gesundheitsämter nicht. Im Hotspot Mainz hat der Chef des Gesundheitsamtes, Dietmar Hoffmann bereits gesagt: Kommen noch viele Neuinfektionen dazu, sei das Amt bald nicht mehr in der Lage, deren Kontakte nachzuverfolgen.

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sieht die Lage dramatisch: „Wir sind dem zweiten Lockdown viel näher, als wir es wahrhaben wollen.“ Käme der, sei der Wohlstand Deutschlands „fundamental gefährdet“. Wenn die heutigen Beschlüsse nicht reichten, müsse „nachgeschärft werden“. Grundsätzlich gelte: mehr Masken, weniger Alkohol, deutlich weniger Feiern.