Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehört derzeit politisch zu den Gewinnern der Corona-Krise. Die könnte ihm sogar den Weg ins Kanzleramt öffnen. Zumal seine Widersacher derzeit patzen oder keine Rolle spielen. Es wäre eine klassische Comeback-Geschichte.


Ein Gedankenspiel: Die Union gewinnt im Herbst 2021 die Bundestagswahl. Markus Söder zieht ins Kanzleramt ein. Auf der Party dürfte ein Mann nicht fehlen: Stephan Zinner. Der Kabarettist hielt den Namen Markus Söder am Leben, als dessen politische Karriere eigentlich schon tot war.

Zinner verkörpert Söder auf dem Nockherberg. Dessen Singspiel ist für Bayern so wichtig wie „Mainz bleibt Mainz“ für die Fastnacht. Nur dass die Texte aktuell sind. Originell. Und subversiv. Auch erreicht die musikalische Darbietung professionelles Niveau.

Söder galt als Ziehkind Edmund Stoibers. Als der 2007 aus dem Amt des bayerischen Ministerpräsidenten gedrängt wurde, stand Söder mit auf der Abschussliste. Er wurde bayerischer Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten. Ein Frühstücksdirektor. Bestenfalls.

Ein Stern namens Guttenberg

Gegen den Franken Söder spielte auch der Regional-Proporz in der CSU. Deren Hochburgen stehen vor allem südlich der Donau. Für Franken gibt es nur wenige Plätze. Und die waren schon vergeben an Ministerpräsidenten Günther Beckstein und den Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Dessen Stern glühte hell und überstrahlte alles.

In der Politik spielte Söder keine Rolle mehr. Doch das Singspiel auf dem Nockherberg konnte nicht auf ihn verzichten. Zum einen weil das damalige bayerische Führungsduo Beckstein/Huber dröger als ein 0:0 von Bochum gegen Köln war. Aber vor allem weil Zinner ein herausragender Darsteller ist. Deswegen schrieben die Macher ihm trotzdem eine Rolle in das Singspiel, die so groß war, dass es sogar Söder unangenehm war und er im Interview danach andeutete, dass es seiner persönlichen Rolle derzeit nicht angemessen sei.

Geschichte. Die Bayernwahl schwemmte noch im gleichen Jahr Beckstein/Huber weg. Guttenberg musste 2011 gehen, weil er für seine Doktorarbeit abgeschrieben hat oder abschreiben hat lassen. Alle Versuche der Bild, ein politisches Comeback vorzubereiten, scheiterten im Ansatz. Über Karrieren in Berlin entscheidet die Kanzlerin. Und Angela Merkel (CDU) hatte nie ein Interesse an jemandem, dessen Stern an ihrem Kabinettstisch übermäßig strahlt.

Söder hat sie aber an ihren Tisch gerufen. Zur Pressekonferenz, auf der sie verkündete, dass es zwar Lockerungen geben soll – aber grundsätzlich noch verschärfte Vorsichtsmaßnahmen wegen des Corona-Virus gelten müssten. Söder hatte diese Politik im Vorfeld mitgetragen und durch kompetentes Krisenmanagement in Bayern gepunktet. Das hat ihn zwischenzeitlich auf Platz zwei im Beliebtheitsranking des ZDF-Politbarometers gebracht.



Die ruhige Politik der Kanzlerin

Dezente Symbole. So macht Merkel Politik. Leise. Konsequent. Mancher würde sagen kalt. Sie stärkt in der Flüchtlingskrise den unglücklich agierenden Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Um ihn dann in der Neubesetzung des Kabinetts nicht mehr zu berücksichtigen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Es gibt in Berlin welche, die rechnen damit, dass es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) genau so gehen wird wie einst de Maizière. Jetzt, mitten in der Krise, bricht Merkel keine Personal-Debatte vom Zaun. Aber für die Zeit danach hat er sich auf eine vordere Position der Shit-Liste gearbeitet:

  • Den Januar und fast den kompletten Februar ließ Spahn fast ungenutzt verstreichen.
  • In Fernseh-Interviews erklärte der Minister, Corona werde Deutschland vielleicht gar nicht erreichen und wenn, würden die Infektionen vermutlich harmloser verlaufen als bei einer Grippe.
  • Dass es zu Maßnahmen wie einer Ausgangssperre kommen würde, erklärte Spahn öffentlich zu „Fake News“. Sein Ministerium werde gegen die Verbreitung dieses Gerüchts vorgehen, kündigte er an. Zwei Tage später teilte die Kanzlerin öffentlich mit, dass es zu einem Kontaktverbot kommen wird – das ist nun seit über vier Wochen gelebte Realität.
  • Auf einem Pressetermin hat sich Spahn fotografieren lassen, als er mit einem Dutzend anderer einen Fahrstuhl benutzte – als Verfechter des Abstandsgebotes.
  • Im ersten Quartal 2020 bekam es Spahn nicht hin, eine nennenswerte Reserve an Schutzeinrichtungen wie Masken zu besorgen. Im April verkündete er dann, der Kampf um die Besorgung habe jetzt erst richtig begonnen. Da hatte die Kanzlerin die Zuständigkeit für die nationale Produktion schon ans Wirtschaftsministerium übertragen.

Die Personalie Spahn ist brisant. Als er sich eigentlich um Corona hätte kümmern müssen, hatte der Gesundheitsminister angekündigt, den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet, in dessen Kandidatur um den Bundesvorsitz der CDU zu unterstützen. Hätte der sich gegen Friedrich Merz durchgesetzt, wäre das eine Vorentscheidung für die Kanzlerkandidatur gewesen.

Bis dahin hatte das Duo den Segen der Kanzlerin – und somit gute Chancen, sich durchzusetzen. Doch Corona war ein Gamechanger. Die Karten werden danach neu gemischt. Die Entscheidung um den CDU-Vorsitz ist auf den Spätherbst verschoben. Und nicht nur Spahn hat negativ gepunktet.

Peinliche Bilder

Auch Laschets Auftreten ist unglücklich. Er hat sich fotografieren lassen mit einer Schutzmaske, die er unter der Nase trug. Nur eine Panne? Ja. Aber in Zeiten der Krise ist die Wirkung von Bildern nicht zu unterschätzen. Vor allem wenn die eigentliche Ursache so kompliziert ist wie ein Virus, sind sie umso wichtiger – da sie Themen simplifizieren.

Aber auch die Realpolitik Laschets ist fragwürdig. Er prescht mit Öffnungen voran. In der größten Stadt seines Landes kommt es nun zu einem verkaufsoffenen Sonntag. Die Eltern an Rhein und Ruhr müssen jetzt ihren Kindern erklären, dass sie nicht in die Kita dürfen wegen der Ansteckungsgefahr, dass sie ihre Großeltern nicht treffen sollen, wegen der Ansteckungsgefahr – aber beim Einkaufsbummel so viele andere Kinder und ältere Leute treffen können, wie nur möglich ist. Trotz der Ansteckungsgefahr.

Das Duo im Kampf um den Parteivorsitz hatte auch einen gemeinsamen unglücklichen Auftritt. Sie bezweifelten den Nutzen von Schutzmasken und rieten vom Tragen eher ab, als es zu unterstützen. Zu einem Zeitpunkt, als es noch einen Versuch wert war, vom Scheitern des Gesundheitsministeriums beim Besorgen der Masken abzulenken. Söder hat mittlerweile eine Maskenpflicht für Bayern angekündigt. Wenn Merkel von „Öffnungs-Diskussions-Orgien“ spricht, dürfte das eher in Richtung Rhein als in Richtung Isar adressiert sein.

Söders Rollenwechsel

Söder war nach seinem Krisenjahr unter Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) erst Gesundheits- dann Finanzminister. Zwei Ressorts, die jetzt in der Krise und ihrer Bewältigung eine wichtige Rolle spielen. Als Generalsekretär unter Stoiber war Söder ein Haudrauf. Das bringt das Amt so mit sich.

Doch er hat schon vor Corona an Gewicht gewonnen. Sein Vorgänger Seehofer hatte in der Flüchtlingskrise stets laut tönend nach rechts geblinkt, um dann Merkel still und heimlich nach links zu folgen. Söder hat erkannt, dass Verbal-Opposition nichts bringt. In den gut zwei Jahren, die er nun in der Staatskanzlei sitzt, hat er regiert wie die Kanzlerin: nicht mit großen Reden, sondern mit Taten.

Söder hilft, dass er dem Land mit der stärksten Wirtschaft vorsteht. Und – so paradox sind Krisen – dass er ein Land führt, das durch seine Nähe zu Österreich besonders früh und stark von der Pandemie betroffen war. Das gab ihm die Gelegenheit, zu zeigen, was die Deutschen mehrheitlich in einer Krise wollen: eine ebenso starke wie ruhige Hand.

Spahn und Laschet sind im Ansehen des Funktionärsflügels der Union gesunken. Merz kam in der Corona-Krise nur als Patient vor. Alles deutet auf Söder als den kommenden Mann hin. Stellt ihn die Union auf, könnte er schaffen, woran sein Ziehvater Stoiber gescheitert ist: Kanzler werden. Der Nockherberg wäre vorbereitet – und hätte einen würdigen Darsteller für den neuen Regierungschef.