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Nachrichten Mainz | Kaum eine andere Branche ist von der Corona-Pandemie so stark betroffen wie die der Schausteller und Marktbeschicker. Viele der Betriebe stehen bereits jetzt vor dem Aus. Neben den Schaustellerbetrieben in Mainz und Rheinhessen sind auch die Volksfeste in ihrer Existenz bedroht. Boost your City hat darüber mit Marco Sottile, dem ersten Vorsitzenden der Interessengemeinschaft Mainzer Schausteller und Marktbeschicker (IMSM) sowie Sascha Barth, dem zweiten Vorsitzenden des Schaustellerverbandes Rheinhessen gesprochen.


Zahlreiche Existenzen stehen auf dem Spiel

Rund 120 Schaustellerbetriebe sind Mitglied im IMSM und dem Schaustellerverband Rheinhessen. Laut Marco Sottile und Sascha Barth sind damit rund 400 Mitarbeiter betroffen, die vor dem Aus stehen. Und das nur in Rheinhessen und Mainz. „Deutschlandweit stehen hier sogar rund 5.000 Schaustellerbetriebe mit etwa 50.000 Mitarbeitern auf dem Spiel.“, betont Sascha Barth.

Die Bundesregierung hat oftmals von Rettungsschirmen für Schausteller, Messebauer, Künstler und weiteren gesprochen, doch wirklich passiert ist nichts. „Momentan weiß natürlich keiner wie es weiter geht. Der Deutsche Schaustellerbund hat einen Rettungsschirm gefordert, da passiert allerdings auch zu wenig bis gar nichts.“, erklärt Marco Sottile. Das Problem der Schausteller ist natürlich auch die im Vergleich zu anderen Branchen enorm lange Zeit in der gar keine Umsätze generiert wurden „Natürlich haben Gastronomiebetriebe auch seit Wochen keinen Umsatz, bei den Schaustellern sind es schon Monate.“

Ein Leben ohne Volksfeste

Sascha Barth und Marco Sottile befürchten, dass auch die Volksfestkultur in Deutschland enden wird, wenn keine staatliche Hilfe kommt. „Den Rheinfrühling in Mainz gibt es seit 650 Jahren, es wäre schade wenn diese Traditionen wegen der Krise den Bach runter gehen würden, weil die Schaustellerbetriebe nicht aufrecht erhalten werden können. Viele Volksfeste haben zudem einen kirchlichen Hintergrund. Das Wort Kirmes bedeutet zum Beispiel Kirchweihe. Das wissen die wenigsten, doch auch deshalb sollte diese Tradition unbedingt weiter geführt werden.“

Schon jetzt steht rund 20 bis 30 Prozent der Schaustellerbetrieben das Wasser nicht nur bis zum Hals sondern weit darüber, berichten Sascha Barth und Marco Sottile. Es müsse jetzt finanzielle Hilfe kommen, ansonsten werden es viele nicht schaffen. Bis zum 31. August werden es noch wesentlich mehr sein.

„Das ist ja auch alles recht schön und gut, dass man den Schaustellerinnen und Schaustellern bei den kommenden Volksfesten und Kirmessen die Standgebühren reduzieren oder sogar erlassen möchte, aber das bringt uns in der aktuell schwierigen Situation rein garnichts. Bis es soweit ist, wird es viele Schaustellerbetriebe in Rheinhessen und ganz Deutschland bereits nicht mehr geben.“, erklärt Sascha Barth.

Auch Marco Sottile findet deutliche Worte: „Wir brauchen das Geld jetzt dringender als alles andere. Denn wenn das Geld jetzt nicht kommt und wir das bis zum 31. August durchhalten sollen, dann gibt es die Tradition Volksfest nicht mehr“.

Die Landesregierung äußert sich nicht

Die rheinland-pfälzische Landesregierung hat in der Zwischenzeit zahlreiche Pressekonferenzen gegeben. Freizeitparks und Flohmärkte dürfen öffnen, Kinos auch. Die Branchen, die mit der Öffnung noch etwas warten müssen, wurden zumindest erwähnt. Man wolle ihnen ja einen Ausblick und Planungssicherheit geben, hieß es in der letzten Pressekonferenz mit Malu Dreyer. Doch in keiner dieser Konferenzen wurden bislang die Schausteller erwähnt. Es scheint, als würden sie einfach hinten runter fallen und es kaum jemand bemerken, außer die Betroffenen selbst.

Die Schausteller haben bislang vergeblich auf den groß angekündigten Rettungsschirm des Bundes gewartet und die Landesregierung scheint sich nicht für die Schausteller und die daran hängenden Existenzen zu interessieren.

Deshalb wünschen die Schaustellerinnen und Schausteller sich, dass das Bundesland Rheinland-Pfalz mit ihnen Gespräche führt, um zu verstehen, wie schwierig die Situation wirklich ist.



Es kommt keine zusätzliche finanzielle Hilfe

Bis auf die Soforthilfen, die für viele Schausteller ein Tropfen auf den heißen Stein waren, haben sie bislang keine weitere finanzielle Unterstützung erhalten. „Großkonzerne wie Adidas waren vor Wochen schon in den Medien mit Millionen, die sie bekommen haben. Das verstehe ich nicht, denn Adidas konnte weiter produzieren und sie konnten ihre Sachen auch online verkaufen. Das geht bei uns nicht. Kirmes und Volksfeste geht nicht online.“, kritisiert Marco Sottile.

Ob die Politik begriffen hat, wie stark betroffen die Schausteller, Künstler, Bühnenbauer und alle weiteren sind, daran zweifelt Marco Sottile. „Wir wissen natürlich, dass wir in den Monaten Januar bis März keine Umsätze haben. Diese Zeit benötigen wir auch für Instandsetzungsarbeiten. Doch wenn dann danach noch immer keine Umsätze kommen und das über Monate, dann wird es wirklich schwierig.“

Klar ist: Die Schausteller benötigen sofort finanzielle Unterstützung. „Die Förderungen müssen so lange laufen, bis die Feste wieder möglich sind. Bis zum 31. August haben sie die Feste mindestens abgesagt. So lange müssen sie uns dann auch unterstützen. Danach muss man dann sehen, wie es weiter geht und eventuell neu verhandeln“, erklärt Marco Sottile.

Soforthilfen wurden „grob mit der Gießkanne verteilt“

Auch die Schausteller haben Soforthilfen erhalten. Je nach Anzahl der Mitarbeiter entweder 9.000 oder 15.000 Euro. Das reicht Schaustellerbetrieben mit einem kleinen Stand, die beispielsweise von einem Ehepaar ohne Angestellte geführt werden für ein paar Wochen oder sogar Monate. Doch für viele größere Schaustellerbetriebe waren die Soforthilfen ein Tropfen auf den heißen Stein.

„Bei den Soforthilfen ist einiges schief gelaufen, die wurden einfach grob mit der Gießkanne verteilt. Ein Freund von mir, der in Worms ansässig ist, hat rund 15 Mitarbeiter und sieben Riesenräder. Davon sind drei nagelneu und eines ist das größte Riesenrad Europas. Allein in der Anschaffung hat das größte Riesenrad 7 Millionen Euro gekostet. Die haben 15.000 Euro bekommen. Wenn die morgens nur das Tor aufschließen kostet das mehr als 15.000 Euro. Bei solchen Betrieben kommt es zu monatlichen Kosten von rund 200.000 Euro.“, so Marco Sottile.

Einige Kosten wurden aufgrund der Corona-Krise gestundet, doch Versicherungen wie beispielsweise Brandschutz- oder Diebstahlversicherungen müssen weiterhin gezahlt werden. „Diese Kosten laufen weiter, denn es kann ja trotz Corona anfangen zu brennen oder etwas gestohlen werden.“, erklären die Schausteller.

Flohmärkte und Freizeitparks dürfen öffnen

Auf Flohmärkten herrscht bekanntlich viel Betrieb. Es wird gedrängelt und gedrückt, um Schnäppchen zu ergattern oder einfach nur zu stöbern. Hier ist der Betrieb ab dem 27. Mai beziehungsweise ab dem 10. Juni wieder erlaubt, damit Privatpersonen ihren Krempel verkaufen können. Doch Schausteller und Winzer dürfen in Rheinland-Pfalz jedoch weiterhin keine Märkte stattfinden lassen, um wenigstens ein paar Einnahmen zu erzielen und damit irgendwie über die Runden zu kommen. „Ich kenne einige Flohmärkte in der Umgebung und weiß, wie stark die frequentiert sind. Ich weiß nicht, wie man die Abstands- und Hygieneregeln auf Flohmärkten regulieren will, das sind Flächen, die frei zugänglich sind.“, so Sottile.

In Hessen werden Weinstände wieder erlaubt. Sottile kritisiert: „Ich sehe hier die Logik nicht dahinter. Hessen und Rheinland-Pfalz trennt nur ein Fluss.“ Was in Hessen möglich ist, dürfte dann auch in Rheinland-Pfalz theoretisch umsetzbar sein.

Auch dass Freizeitparks öffnen und die Schausteller weiterhin keine Möglichkeit haben, Geld zu verdienen verstehen die beiden nicht. „Um nicht falsch verstanden zu werden: Wir verstehen es dass die Freizeitparks wieder öffnen dürfen. Was wir allerdings nicht verstehen ist, dass wir es noch nicht dürfen. Die Menschen brauchen jetzt dringend Freizeitbeschäftigungen.“



Imbissstände vor den Einkaufsmärkten

Da Volksfeste noch bis mindestens zum 31. August nicht stattfinden werden, versuchen die Schaustellerinnen und Schausteller sich natürlich anderweitig über Wasser zu halten. Einige Schaustellerbetriebe mit kleinen Imbissständen helfen sich mit Stellplätzen vor Supermärkten aus und verkaufen dort ihre Speisen. Die Einnahmen sind natürlich wesentlich geringer und auch nicht alle Schaustellerbetriebe haben diese Möglichkeit.

Schaustellerbetriebe mit Fahrgeschäften haben es da um einiges schwerer, denn es lässt sich nicht eben mal ein Riesenrad vor dem nächsten Lebensmittelgeschäft aufbauen. Die Dimensionen sind hier ganz andere und natürlich sind hier auch die Kosten höher wenn man allein mal die Anfahrt und das Personal bedenkt.

Gutscheinverkäufe sind zur Zeit keine Option

In vielen Branchen werden zur Zeit Gutscheine verkauft, um den Unternehmen finanziell zu helfen. Auch die Schausteller haben bereits mit dem Gedanken gespielt, Gutscheine zu verkaufen. Doch zur Zeit sehen sie darin keine gute Lösung, da es hierfür noch zu früh sei und die Situation noch zu unsicher. Zudem können wir noch nicht absehen, ob die Betriebe bei der nächsten Kirmes noch existieren. Dann stellt sich die Frage, wer den Käufern die Gutscheinpreise zurück erstattet, wenn die Betriebe nicht mehr vorhanden sind.

„Außerdem haben wir 50.000 hochwertige Gutscheinhefte drucken lassen mit Rabattaktionen und Gratisfahrten für alle Kirmesse in der Umgebung. Die Gutscheinhefte werden dann, sobald die Feste wieder erlaubt sind, kostenfrei an die Bürgerinnen und Bürger verteilt. Damit will man dann den Menschen einen Anreiz geben, die Veranstaltungen wieder zu besuchen, sobald das möglich ist. Wir können nicht den Einen Gutscheinhefte schenken und den Anderen welche verkaufen. Doch dadurch sind natürlich auch Kosten entstanden.“, erklärt Marco Sottile.

Die Stadt Mainz hat Gespräche gesucht

Die Stadt Mainz hat mehrfach Kontakt mit den Schaustellern gesucht und ihnen zu verstehen gegeben, dass sie gerne helfen würden. Auch der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling hat mehrfach Gespräche gesucht. Doch zu helfen ist allerdings mit den aktuell geltenden Regelungen nicht ganz einfach für die Stadt. Es gibt kaum eine Möglichkeit, die den Schaustellern aktuell helfen würde außer die finanzielle Hilfe. Diese kann die Stadt Mainz nicht zur Verfügung stellen, das müsste vom Bundesland Rheinland-Pfalz kommen.

Marco Sottile ist aber fest davon überzeugt, dass die Stadt Mainz den Schaustellern helfen wird, sobald es dafür einen Weg gibt. „Im Moment sind denen aber natürlich auch die Hände gebunden.“, so der Schausteller.



Die angebotene Winterkirmes ist nicht möglich

Die Stadt Mainz hat den Schaustellern angeboten eine Winterkirmes zu veranstalten, allerdings ist das für die Schausteller keine Lösung. „Uns wurde eine Winterkirmes angeboten, die dann im Januar stattfinden könnte. Das kommt für uns allerdings nicht in Frage, denn die ganzen Attraktionen sind so technisch versiert mit Hydraulik und Pneumatik, dass sie für die kalten Temperaturen nicht ausgelegt sind und dann auch nicht störungsfrei funktioniert.“

Zudem gebe es wahrscheinlich sowieso Probleme für die Fahrgeschäfte. Sich im Winter in ein Riesenrad zu setzen oder auf einem anderen Fahrgeschäft durch die kalte Luft zu sausen, das ist für viele wohl nicht so ansprechend wie das Gleiche bei sommerlichen Temperaturen. Die Angebote würden vermutlich nicht so gut angenommen werden wie im Sommer.

Drive-In Kirmes ist keine Option

In vielen Städten wurde in der Zwischenzeit eine Drive-In Kirmes aufgebaut. Die Menschen können hier mit den Autos vorbei fahren und sich Currywurst, Crepes & Co. kaufen. Doch Marco Sottile und Sascha Barth sind sich sicher, dass das schlussendlich nichts bringen würde. „Die Einnahmen, die dabei erzielt werden, werden nicht mal ausreichen, um die dadurch entstandenen Kosten zu decken. Wir würden Geld verpulvern anstatt welches zu verdienen.“

Zudem hat er von Schaustellerkolleginnen und -kollegen auch schon gehört, dass die Menschen sich oft nicht daran halten und auch zu Fuß die Drive-In Kirmes nutzen. „Das ist dann natürlich auch nicht Sinn der Sache. Zumal sich alles nur wiederholen würde: Currywurst, Crepes, Flammkuchen, XL-Currywurst und so weiter. Lauter Imbissstände hintereinander bringen nicht viel.“, erklärte Sascha Barth.

Konzept wie in München auch in Mainz

In München haben Schausteller die Möglichkeit, ihre Imbissstände und die Fahrgeschäfte an verschiedenen Orten in der Stadt aufzubauen und dadurch Einnahmen zu erzielen. Ähnlich wäre das auch in Mainz vorstellbar gewesen, denn die Stadt hätte einige geeignete Flächen zu bieten.

„Wir haben bei der Stadt Mainz ein Konzept vorgelegt. Demnach könnten mehrere Fahrgeschäfte und Imbissstände in der Stadt verteilt werden. So könnten die Schausteller zumindest einige Einnahmen erzielen. Allerdings hat hier bereits die Gastronomie die Sondernutzungsrechte zur Verfügung gestellt bekommen, das verstehe ich auch.“, erklärte Marco Sottile.



Mobile Kirmes auf dem Messegelände Hechtsheim

Der IMSM und der Schaustellerverband Rheinhessen haben bereits einen Vorschlag an die Stadt Mainz übermittelt für eine mobile Kirmes. Die Idee dahinter ist, dass es wie in einem Freizeitpark einen abgegrenzten Bereich gibt, auf dem es keinen Alkohol gibt und keine Bestuhlung. Die Mainzer SPD Stadtratsfraktion begrüßt diese Idee.

„Für so eine mobile Kirmes müssen noch einige grundlegende Dinge geklärt werden. Wie viel Platz ist da? Wie viele Menschen dürfen auf ein Karussell? Wie viele Personen dürfen auf das Messegelände? Es bringt natürlich nichts, wenn wir einen riesen Aufwand betreiben und es dann heißt es dürfen nur 100 Menschen rein. Dann verpulvern wir nur das Geld. Aber wenn alles geklärt und umsetzbar sein sollte, dann sind wir in der Lage schnell zu handeln. Innerhalb von zehn bis zwölf Tagen wäre dann alles organisiert und wir wären startklar.“, erklärt Sascha Barth.

„Wir sind das Antidepressiva Deutschlands“

Wer sich nicht mehr mit Freunden treffen kann, keine bunten Kirmeslichter mehr sieht und keine persönlichen Kontakte hat, verfällt früher oder später in Depressionen. Kein Wunder also, dass die Zahl der depressiven Menschen in Corona-Zeiten steigen. „Wir sind das Antidepressiva Deutschlands und genau das brauchen die Leute jetzt, denn die Stimmung wird zunehmend schlechter. Dazu kommt, dass die Leute bei uns über eine Kirmes laufen können, ohne einen Cent ausgeben zu müssen. Das Gefühl, das Beisammensein und die Lebensfreude ist völlig kostenlos und daher auch keine Frage des Wohlstandes oder der finanziellen Situation der Leute. Wir müssen jetzt schauen, dass die Welt sich wieder anfängt zu drehen. Wir möchten die Menschen bespaßen und Lebensfreude vermitteln.“, so Sascha Barth.

Schausteller helfen, wo sie nur können

Trotz der aktuell schweren Situation für die Schausteller helfen sie ehrenamtlich. In Hochheim wurden beispielsweise zahlreiche Schilder montiert, die auf die Abstandsregeln hinweisen. Auch vor Altersheimen waren die Schausteller und haben mit Orgeln für die älteren Menschen gespielt, die zu diesem Zeitpunkt unter der starken Isolation litten.

Zudem hatten viele Schausteller noch Kühlwaren auf Lager, die sie eigentlich auf Volksfesten zubereitet und verkauft hätten. Aufgrund der Absagen, hatten sie jedoch nicht die Möglichkeit, diese zu verkaufen. Deshalb haben sich viele dazu entschieden, die Lebensmittel an bedürftige Menschen zu spenden. Mehrfach haben die Schausteller bewiesen, dass sie zusammen stehen und auch in schwierigen Zeiten anderen helfen.

Wichtig ist nun, dass auch die Schausteller schnelle Hilfe erhalten. „Uns wäre es auch lieber wenn wir es nicht bräuchten. Eigentlich möchten wir nur unsere Arbeit machen können und unser Geld verdienen.“, erklärt Sascha Barth.