Es ist ein Politikwechsel, den Rheinland-Pfalz mit den ersten Öffnungen von Geschäften betreibt. Und es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Denn auf Dauer kann eine Gesellschaft nicht aus Angst vor dem Tod auf das Leben verzichten.

In den Umfragen sind die Zustimmungswerte zu den Corona-Maßnahmen immer noch hoch. Doch wer am Wochenende unterwegs war, hat eine Abstimmung mit den Füßen erlebt. Beliebte Orte der Naherholung waren voll. Hätten Polizei und Ordnungsamt mit Kontrollen angefangen, hätten diese kein Ende mehr gefunden.

Welche Antworten eine Umfrage erhält, hängt auch immer von den Fragen ab. Wer danach fragt, ob es jemand unterstützt, dass mit Schutzmaßnahmen Erkrankungen vermieden und Todesfälle verhindert werden, der wird nur selten ein Nein hören. Werden die Fragen spezifischer, fallen die Antworten schon gemischter aus.

Die Öffnungen, die Rheinland-Pfalz ab Montag zulässt, sind noch sehr vorsichtig. Sie sind auch sehr kompliziert. Was nie ein gutes Attribut für Gesetze ist. Doch sie bedeuten eine Botschaft. Und die ist so richtig wie nötig: Wir können als Gesellschaft nicht auf Dauer aus Angst vor dem Tod auf das Leben verzichten.

Dritte Welle bricht aus

Nun mahnen manche, auch die Kanzlerin: Die Dritte Welle breche aus. Mutationen des Virus sorgten für einen Anstieg der Zahlen. Dieser Hinweis ist durchaus berechtigt. Wegen den, wenn auch langsam anlaufenden, Impfungen gehen die Infektionen bei den Älteren zurück. Trotzdem stagniert die Gesamtzahl. Das lässt auf zwei sich gegenseitig aufhebende Entwicklungen schließen. Karl Lauterbach spricht davon, dass diese Dritte Welle nicht aufzuhalten sei.

Nur: Was ist das Gegenmittel? Eine Infektionswelle, die im Lockdown ausgebrochen ist und sich durch diesen nicht aufhalten lässt, soll durch die Verlängerung des Lockdowns gebremst werden? Nach einer erfolgsversprechenden Strategie klingt das nicht.

Den absoluten Lockdown hat es bisher nicht gegeben. Auch wenn ihn manche fordern. Vornehmlich welche, die ihr Geld sicher über den Staat erhalten. Doch dieser absolute Lockdown ist nicht möglich. Schon gar nicht in einem Land, das von Exporten lebt. Denn ein absoluter Lockdown mit offenen Grenzen wäre eben kein absoluter Lockdown.

Wir brauchen Strategien

Wir brauchen Strategien gegen Corona: Masken tragen, Abstand halten oder Hände desinfizieren werden noch lange zu unserem Alltag gehören. Und das ist auch machbar. Beim Impfen und beim Bereitstellen von Schnelltests muss der Staat endlich seine Behäbigkeit abschütteln und sich so reinhängen, wie er es von Privatleuten in der Pandemie auch verlangt.

Gesundheitsämter müssen ordentlich ausgestattet werden. Dazu gehört neben Personal auch die technische Ausrüstung. Etwa Software. Und Internetanschlüsse. Das Faxgerät gehört ins Museum. Südkorea hat vorgemacht, dass man mit Schnelltests und gegebenenfalls Kontakt-Nachverfolgung die Pandemie in den Griff bekommen kann – ohne das Land lahm zu legen.

Regierung braucht Kontrollmechanismen

Nun setzt die Kritik daran an, dass Dreyer nicht so handeln würde, wenn kein Wahlkampf wäre. Ja. Stimmt. Und? Es ist die Stärke der Demokratie, dass die Verantwortlichen auf die Belange der Bürger Rücksicht nehmen müssen. Und sei es, weil eine Wahl vor der Tür steht.

Was wäre denn die Alternative? Zurück nach Preußen, wo der Staat alles und der Einzelne nichts ist? Besonders staatsgläubige Menschen mögen sich jetzt beim Lesen die Augen zuhalten. Die nun folgende Aussage könnte sie irritieren: Regierende sind nicht unfehlbar. Genau deshalb brauchen sie Kontrollmechanismen.

Gerade Rheinland-Pfalz hat erlebt, was es heißt, wenn Kontrollmechanismen ausfallen: Unter Kurt Beck hatte die SPD von 2006 bis 2011 eine absolute Mehrheit. Kein Koalitionspartner hat mehr unsinnige Pläne gestoppt und in der Partei herrschte eben die Kultur, dem Chef nicht zu widersprechen. So kam es dann, dass die Landesregierung gegen jede Expertise Million für Million in dem Projekt Nürburgring versenkte.

Letztlich musste Kurt Beck deswegen zurücktreten. Wenn Malu Dreyer sich also nach mehr als nur einer Expertenmeinung richtet, so wie es derzeit die Kanzlerin tut, dann mag das Wahlkampf sein – aber auch richtig.