Mainz.

Die Ökologie sieht Nino Haase als wichtigstes Thema im Kampf um das Amt des Mainzer Oberbürgermeister. Etwa im Bereich der Verkehrspolitik besetzt der parteilose Kandidat grüne Positionen. Zu einer ganz anderen Meinung kommt er aber indes, wenn es um Brücken oder die Ansiedlung von Unternehmen geht.

Herr Haase, Sie waren der Erste, der seinen Hut für die Oberbürgermeisterwahl in den Ring geworfen hat. Was war Ihre Motivation?

Ich hatte mein politisches Comingout ja zum Thema Bibelturm. Nachdem wir mit der Bürgerbeteiligung einiges erreicht hatten, hatte ich gehofft, jetzt ändert sich was: Dass die Stadt den Gong gehört hat und sich etwa der Bürgerbeteiligng öffnet. Stattdessen wurden Ende des Jahres – auch von Herrn Ebling – Menschen der Bürgerinitiative verunglimpft. Ich muss gestehen, das hat mich tatsächlich etwas getriggert. Aber es war nicht nur das.

Sondern?

Wenn ich Mainz mit anderen Städte vergleiche, auch mit denen aus dem Umland, dann sehe ich, was die dort aus ihren kulturellen Schätzen und Potentialen gemacht haben. Da war meine Motivation zu sagen: Du hast mit dem Bibelturm etwas angestoßen. Es gibt Menschen, die etwas verändern wollen. Das hat mich ermutigt.

Nun ist Ihr Mitbewerber jemand, der sein ganzes Leben in Mainz verbracht hat. Sehen Sie es als Vorteil an, auch mal etwas anderes gesehen zu haben?

Auf jeden Fall. Ich habe in anderen Städte Dinge gesehen, die ich mir auch für Mainz wünschen würde. In München habe ich zum Beispiel mein Auto nicht mehr gebraucht. Dort ist die U-Bahn so gut ausgebaut, dass ich in einer Tarifstufe bis raus nach Wolfratshausen komme. Dann gibt es Möglichkeiten des Carsharings. Zusammen ergibt das alles ein einheitliches Verkehrskonzept. Das fehlt in Mainz. Hier gibt es nur einzelne Großprojekte, die aber nicht zusammenpassen.

Das hört sich nach einem Koalitionsangebot in Richtung Grüne an?

Ich mache Koalitionsangebote an alle Parteien, die sich für eine sinnvolle Sachpolitik einsetzen wollen. Wenn bisher Vorschläge aus der Opposition kamen, wurden die abgewimmelt, einfach nur, weil sie aus der Opposition kamen. Genau das möchte ich als Oberbürgermeister verändern. Es gibt aus allen Parteien Vorschläge, die man unterstützen kann. Und das kann dann zum Beispiel bedeuten, dass man eine Spur der Kaiserstraße oder ein Straße im Bleichenviertel als Rhein-Hauptbahnhof-Achse für Radfahrer vorbehält.

Nun gibt es auch Menschen, die aufs Auto setzen. Das hat zuletzt die Debatte um ein Fahrverbot für Diesel gezeigt. Fürchten Sie bei einem solchen Vorschlag nicht Widerstand?

Deswegen spreche ich ja von einem modernen Verkehrsmix. Eine komplett autofreie Innenstadt ist aktuell illusorisch. Denken Sie allein an den Lieferverkehr. Ziehen wir das konsequent durch, sind in wenigen Wochen die Supermärkte leer. Man muss aber auch das bürgerliche Lager mitnehmen. Das heißt: Wir bauen den Radverkehr aus, das bedeutet quantitativ weniger Platz für den Autoverkehr. Wenn das aber an anderer Stelle, auch mit besserem ÖPNV und P+R kompensiert wird, ist das in Ordnung.

Allerdings hätten Sie als Oberbürgermeister keine Mehrheit im Rat. Was könnten Sie überhaupt umsetzen?

Das führt einen sehr schnell zur Sachpolitik zurück. So wie ich inhaltlich aufgestellt bin, kann man mir nicht einfach ein Parteiprogramm überstülpen. In der Verkehrspolitik vertrete ich auch klassisch grüne Positionen. In der Wirtschaftspolitik bin ich  bürgerlich. Diese Mischung wird dazu führen, dass wir zur Sachpolitik zurückkehren. Was zudem viele vergessen: Der Oberbürgermeister ist auch der Chef der Verwaltung. Er hat die Möglichkeit, Organisationsstrukturen zu gestalten. Das ist ein maßgebliches Instrument und somit weit mehr als ein repräsentatives Amt.

Sie werden vor allem von der CDU unterstützt. Inwiefern wären Sie von der abhängig, wenn Sie Oberbürgermeister werden?

Die CDU weiß, welche Positionen ich vertrete. Auch dass die in manchen Punkten nicht ihrem Parteiprogramm entsprechen. Aber es gibt auch in der CDU eine Sehnsucht zurück nach Sachpolitik. Das verbindet mich mit der CDU. Dazu gehört auch, dass wir uns nicht nur der Ökologie widmen können, diese aber in alle Entscheidungen einbeziehen. Dazu müssen wir uns auch darum kümmern, endlich die finanziellen Mittel in Mainz zu erwirtschaften, um ökologische, infrastrukturelle und soziale Herausforderungen nachhaltig anzugehen.

Dazu gehören Straßen. Aus Reihen der CDU, vom Landtagsabgeordneten Gerd Schreiner, kam der Vorschlag für eine neue Rheinbrücke. Wie stehen Sie dazu?

Infrastruktur ist mir wichtig. Wir haben gesehen, als die Schiersteiner Brücke gesperrt war, wie sehr der Handel und die Industrie unter solchen Umständen leiden. Deswegen brauche ich Sicherheit in Fragen der Infrastruktur.

Heißt das also, dass wir eine zusätzliche Rheinbrücke brauchen?

Ich denke doch, dass eine zusätzliche Brücke notwendig sein wird. Ob das dann eine für Autos, Radfahrer und Fußgänger sein wird oder eine nur für Radfahrer und Fußgänger, hängt auch davon ab, wie sich das Projekt Citybahn entwickelt. Wenn die Citybahn über die Theodor-Heuss-Brücke führt, glaube ich nicht, dass wir dort keine Kompensation brauchen.

Das heißt also: Wir brauchen eine vierte Brücke auch für Autos?

Davon gehe ich im oben beschriebenen Fall aus.

Sie sprechen sich auch für die Ansiedlung von Unternehmen aus. Wo sollen die hin? Und wer soll das sein?

Wenn es darum geht, Unternehmen anzusiedeln, ist die Attraktivität der Stadt durchaus wichtig. Daher sind auch kulturelle Fragen wichtig, um ein positives, klares Image zu bekommen. Darüber hinaus müssen wir sehen, wo wir unsere Stärken haben. Zum Beispiel im Bereich Biotechnologie. Aber um die anzusiedeln, brauchen wir eine aktive Ansiedlungspolitik. Im Moment warten wir nur ab. Das ist bei lediglich drei Stellen in der Wirtschaftsförderung kein Wunder. Das Thema wird von der Stadt bisher vernachlässigt. Genauso wie die Breitbandversorgung in den Gewerbegebieten.

Ist das nicht aber ein Drahtseilakt? Um anzusiedeln, müssen wir attraktiv sein, aber auch nachverdichten – und dann wird die Stadt zunehmend weniger attraktiv.

Ich bin kein großer Freund von Nachverdichtung. Wir brauchen zusätzliche Fläche. In Frage dafür kommt der Layenhof. Wackernheim und Ingelheim rücken ohnehin immer näher an den ran – das bietet Kooperationsmöglichkeiten. Zudem bietet der Layenhof Raum für Wohnen und für Arbeiten. Mainz entwickelt sich immer mehr zur reinen Wohnstadt. Aber das führt dann dazu, dass Menschen bis zu 100 Kilometern pendeln müssen, was weder ökologisch ist noch die Lebensqualität erhöht.

Was ist mit dem Vorschlag des Amtsinhabers, einen neuen Stadtteil zwischen Hechtsheim und Ebersheim zu bauen?

Da hat sich Michael Ebling keinen Gefallen getan. Für diesen Stadtteil müsste man ein Gelände völlig neu erschließen. Zudem sind wir damit in der Kaltluftschneise. Ich halte den Vorschlag tatsächlich einfach für nicht gut.

Wir sind immer noch bei dem Thema Ansiedlungen und Lebensqualität. Inwiefern spielt der Wein dabei eine Rolle?

Da ginge mehr. Sehen Sie sich Ingelheim an, auch wenn die mehr Geld haben. Die Vinothek dort ist wahnsinnig schön geworden, den Weg möchte ich für die Mainzer Winzer auch gehen. Neben einer Neukonzeption für das Gutenbergmuseum, müssen wir auch den Weintourismus ankurbeln. Wir müssen als Great Wine Capital den Anspruch haben, dass für jeden Weintrinker gelten muss: Ich muss einmal im Leben einen Wein im Mainzer Weinerlebniszentrum getrunken haben.

A propos Gutenbergmuseum. Bei der Entscheidung der Bürger spielte auch eine Rolle, dass ein funktionierender Platz geopfert werden und ein neuer entstehen sollte. Wer sieht, wie die neuen Plätze aussehen, kann doch verstehen, dass die Menschen dem Versprechen nicht getraut haben?

Ich höre von Leuten, die hierherziehen immer: Mein Gott, wie viele graue Plätze in der Stadt sind. Das beste Beispiel ist der alte Zollhafen, die Südmole. Was hat da denn wen geritten, einen solch grauen Platz zu gestalten? Da wundert es mich dann, Wahlplakate zu sehen, auf denen mehr Grünflächen gefordert wird – von Parteien, die seit zehn Jahren in der Verantwortung sind und längst etwas hätten tun können. Daher habe ich meinen Wahlkampfaufschlag ja auch mit der Aktion 50 Bäume auf der Ludwigsstraße gemacht – manchmal muss man etwas visualisieren, um es real zu machen. Insgesamt fordere ich tausend neue Bäume jedes Jahr. Mit einer entsprechenden Ausstattung des Grünamtes.

Zusätzliche Stellen in der Wirtschaftsförderung. Zusätzliche Stellen im Grünamt. Wer soll das bezahlen?

Wir brauchen Entwicklung. Daher sind auch die drei Stellen in der Wirtschaftsförderung zu wenig.

Aber woher soll das Geld kommen?

Bei aller Liebe. Aber ich sehe wirklich Einsparmöglichkeiten in den städtischen Gesellschaften: Wir haben beispielsweise drei Unternehmen und Ämter, die Mülleimer entsorgen und vier Unternehmen, die Immobilienprojekte entwickeln. Brauchen wir das wirklich? Im Bereich der stadtnahen Gesellschaften hat sich einiges verselbstständigt. Der neue Wiesbadener Oberbürgermeister hat daher die richtige Frage gestellt: Brauchen wir in jeder stadtnahen Gesellschaft zwei Geschäftsführer? Da ließe sich viel Geld sparen. Denn wir müssen an die Haushaltssanierung ran. Dafür brauchen wir eine unabhängige Stadtspitze.

Wieso?

Sieben der zehn meist verschuldeten Städte Deutschlands kommen aus Rheinland-Pfalz. Um das Problem anzugehen, wird mediale Aufmerksamkeit notwendig sein. Dann darf man halt auch keine Rücksicht auf das Land nehmen. Im Moment haben wir, das sage ich, jemanden an der Stadtspitze, der irgendwann wieder in der Landespolitik mitmischen will. Wer dieses Ziel verfolgt, muss sich zweimal überlegen, wie viel er sagt – das muss ich nicht und möchte daher für Mainz und die rheinland-pfälzischen Kommunen für eine faire Finanzausstattung und Handlungsfähigkeit kämpfen.

Sie haben sich in einer TV-Show drei Millionen Euro verdient. Nun hat Deutschland aber ein Neidproblem. Rechnen Sie mit einer Schmutzkampagne in diese Richtung?

In der Auseinandersetzung um den Bibelturm habe ich die ersten Auswüchse bereits gesehen. Da wurde versucht, eine Neidkampagne zu inszenieren. Wobei ich sage: Ich war noch nie in meinem Leben für 1000 Euro essen, das habe ich noch nicht geschafft. Und ich bin auch kein Bundestagsabgeordneter, der ein eigenes Büro hat oder sich zwei Monate staatlich bezahlt freistellen lassen kann für den Wahlkampf.

Was wird für Sie das wichtigste Thema im Wahlkampf?

Die ökologische Stadt, die Stärkung der Ökologie. Das kann man allerdings nicht einzeln betrachten, da es von anderen Themen abhängt. Dazu gehört auch die Mobilität. Oder die Nachverdichtung. Aber für die haben wir nicht mehr viel Luft. Die Infrastruktur hält nicht mit, etwa wenn es um die Kanalisation geht. Insgesamt ist die ökologische Stadt und ist auch die Stadtentwicklung ein Thema, das ich unter Einbeziehung der Bürgerbeteiligung mit einem ganzheitlichen und überfälligen Entwicklungsplan angehen will.

Die Internetseite von Nino Haase : Mainz machen

Alle bisherigen Interviews mit den Mainzer Kandidaten:

Tabea Rößner (Die Grünen)