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Verheerende Umfragen, Aufmerksamkeit nur auf einer Person und die war dem Sturm so hilflos ausgesetzt wie eine Fahne, die vom Mast gerissen wurde. Noch im Herbst hat die FDP bundesweit ein schlechtes Bild abgegeben. Doch nach einem verpatzten Start hat der neue Generalsekretär die Partei auf den richtigen Kurs eingestimmt: Volker Wissing. Noch zwei Monate auch Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz.

Es ist der Spätsommer 2013. Die FDP kämpft um ihr Überleben im Bundestag. Und es zeichnet sich immer stärker ab, dass dieser Kampf aussichtslos ist. Volker Wissing ist Spitzenkandidat auf der rheinland-pfälzischen Landesliste. Zwei Jahre zuvor hat er auch den Landesvorsitz der FDP übernommen, nachdem diese aus dem Landtag geflogen war.

Wissing reißt in diesem für die FDP trüben Spätsommer ein unfassbares Programm ab: Podien, Fachgespräche, Wahlveranstaltungen – überall hält Wissing die gelbe Fahne hoch. Überall ist er besser vorbereitet und argumentiert schärfer, als die Vertreter der anderen Parteien. Er kann sogar schlagfertig sein, was man ihm angesichts seiner etwas steifen Art nicht sofort zutraut. Doch letztlich ist alles vergebens. Die Fehler der anderen waren zu groß, als dass sie Wissing hätte ausbügeln können.

Wut auf Merkel

Wut und Frust ist aus dieser Zeit übrig geblieben. Doch die richtet Volker Wissing nicht gegen seine eigene Partei. Sondern gegen die CDU und vor allem deren Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Sie hat mit ihrer Taktik dazu beigetragen, den Koalitionspartner in die Außerparlamentarische Opposition zu treiben – vielleicht in der Hoffnung, den einzigen Konkurrenten im bürgerlichen Lager los zu werden. Seitdem ist die Kanzlerin für Wissing der „Endgegner“.

An diesem Comeback arbeitet Wissing. Hart. Wie immer. Und der ehemalige Richter führt die FDP 2016 zurück in den rheinland-pfälzischen Landtag. Auch in eine Regierung, in der die FDP mit SPD und Grünen zusammenarbeitet. Die heftigsten Attacken gegen die CDU kommen nun in Rheinland-Pfalz nicht mehr von der SPD, nicht einmal von der AfD – der sonst so beherrschte Protestant fährt harte Attacken gegen CDU, Landeschefin Julia Klöckner und vor allem gegen die Kanzlerin Angela Merkel.

Ob es wieder zum Duell Merkel gegen Wissing kommt, er zurück in die Bundespolitik geht. Gerüchte über diese Option reißen in Rheinland-Pfalz nie ab. Vor allem, als auch die Rückkehr in den Bundestag gelingt. Als 2017 Christian Lindner über den Eintritt in eine Jamaika-Koalition verhandelt, gilt Wissing als möglicher Minister. Doch dann wird aus dem einen nichts und folglich auch nicht aus dem anderen.

Krise nach gescheiterten Verhandlungen

Mit diesen gescheiterten Verhandlungen gerät die FDP in eine Krise. Erst allmählich. Dann rasant. In der Partei gibt es viele einflussreiche Mitglieder, deren Einfluss zu einem guten Teil auf ihrer Mitgliedschaft beruht. Eine FDP in der Opposition bringt sie nicht weiter und macht sie folglich missmutig. So weit Lindners Probleme nach innen.

Doch nach außen sind Lindners Probleme viel größer. Er sagt, es sei besser nicht zu regieren, als schlecht. Und damit meint er, mit Merkel zu regieren. Doch so deutlich sagt er es eben nicht. Noch schlimmer: Lindner begründet die geplatzten Verhandlungen überhaupt nicht inhaltlich. Mit verheerenden Folgen. Spät räumt er das selbst als Fehler ein.

Bedenkenkönig Lindner

Hätte Lindner offen gesagt, dass er die Rechtsbrüche in der Merkelchen Einwanderungspolitik nicht mittragen will, hätte er damit in die politische Auseinandersetzung gehen kännen. Doch ausgerechnet der Mann, der „Bedenken second“ plakatieren ließ, wird zum ungekrönten Bedenkenkönig.

Lindner kritisiert die Bewegung FFF wegen ihrer unrealistischen Forderungen, kriegt Gegenwind und entschuldigt sich. Forderung, Entschuldigung und affektierte PR-Aktion zur Übertünchung der Entschuldigungs-Haltung werden zum liberalen Dreisatz. Das gipfelt im Frühjahr 2020 in der Wahl eines von der FDP gestellten Ministerpräsidenten in Thüringen, der zum Rücktritt gezwungen wird, weil seine Wahl nur durch Tolerierung der AfD möglich war.

Erst lässt Lindner alles laufen, dann korrigiert er es und nimmt dabei die Haltung eines Chihuahuas ein, der wegen seines Kläffens mit der Zeitung auf die Nase geschlagen wurde. Die FDP rutscht in den Umfragen Richtung Fünf Prozent ab, Lindner wirkt erbärmlich und die liberale Bewegung in Deutschland steht ohne Selbstvertrauen da.

Liberale Stimme fehlt in Pandemie

Ausgerechnet jetzt steht die liberale Bewegung in Deutschland ohne Selbstvertrauen da. Die Corona-Pandemie bricht aus und der Staat greift in einer Tiefe ins Leben seiner Bürger ein, wie es das in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hatte. Anfangs mit überwältigenden Zustimmungswerten von bis zu 90 Prozent. Eine liberale Gegenstimme gibt es nicht.

Lindner erkennt das Dilemma an, in dem die FDP steckt. Im September hebt er Wissing auf das Schild des Generalsekretärs. Erst einmal will das nicht passen. Eigentlich ist der Generalsekretär eine Funktion für einen jungen Mann. Eine Nachwuchs-Hoffnung. Einer der verbal gut ist. Abteilung Attacke. Strukturell denken muss er nicht unbedingt können. Wissing ist so ziemlich genau das Gegenteil.

Dann ist auch Wissings Bewerbungsrede ein Flop. Als Thema bringt der Rheinland-Pfälzer die Initiative Wahlrecht ab 16 auf den Parteitag mit. Im heimischen Landtag ein Dauerbrenner, auf Bundesebene verpufft wie der Start eines 33 Jahre alten Fiat Uno. In der Schublade liegt eine Initiative, den Tierschutz zum Grundgesetz erheben zu wollen. Die FDP als Lifestyle-Partei.

Gegen einen zweiten Lockdown

Doch Wissing greift auch Themen auf, die im September 2020 noch keine sind. Aber sehr bald werden: Er mahnt, dass die Bundesrepublik der Pandemie geschwächten Wirtschaft wieder auf die Beine helfen müsse. Und er malt das drohende Szenario eines zweiten Lockdowns an die Wand – den es zu verhindern gelte.

Zwei Monate später geht die Republik in diesen Lockdown. Es ist nur ein Wellenbrecher. Einer, um ein längeres Aus zu verhindern. Hieß es. Vor vier Monaten. Der Lockdown hält noch immer an. Auch weil Deutschland nicht annähernd das Impftempo Israels, der USA oder Großbritanniens erreicht. Oder eine Teststrategie hat. Oder die Altersheime geschützt hätte. Oder eine funktionierende App entwickelt hätte.

Auch gibt es keinen Wumms und keine Bazooka mehr, mit der die Wirtschaft gerettet wird. Dafür ist die Rede von Novemberhilfen, die im Februar noch nicht ausgezahlt sind. Na ja, es hätte ja erst einmal die Software entwickelt werden müssen, rechtfertigt sich der zuständige Minister Peter Altmaier (CDU) – mit der bräsigen Gleichgültigkeit eines Ehemanns, der lediglich vergessen hat, die Klobrille runter zu machen.

Stunde der Opposition

Zugegeben. Bei einer Regierung, die bei einem derart wichtigen Thema so viele schwerwiegende Fehler macht, ist es leicht, Opposition zu sein. Doch dazu hat auch ein Rheinland-Pfälzer in einem anderen Zusammenhang das Richtige gesagt, nämlich Kurt Beck: „Es war ein Elfmeter. Aber auch der braucht einen, der ihn verwandelt.“

Anfangs gelingt das Wissing nicht. Seine Juristen-Mentalität ist ihm im Weg. Er formuliert wie ein Bauamtsleiter. Der Historiker und Buchautor Dr. Dr. Rainer Zitelmann kritisiert ihn: Zu verkopft, zu unverständlich sei Wissings Kritik an der Bundesregierung. Die müsse so unmissverständlich und auf den Punkt formuliert sein, wie es auch die Bild tue. Dann käme sie auch bei den Menschen an.

Auf wen Wissing gehört hat, ist nicht bekannt. Aber es gelingt ihm, immer besser die Bundesregierung zu stellen. Vor allem mit Kritik – was legitim ist für eine Oppositionspartei. Aber die FDP weist unter ihm auch Alternativen auf: Gezielte Prävention statt alle wegsperren, Einsatz moderner Technologie und unbürokratisch helfen, wo Hilfe notwendig werde.

Herausforderung an die Endgegnerin

In den jüngsten Umfragen marschierte die FDP Richtung 10 Prozent. In Rheinland-Pfalz scheint ihr Einzug in den Landtag sicher. Vor allem aber ist liberales Selbstvertrauen zurückgekehrt: Maßnahmen werden in der öffentlichen Debatte nach ihrer Effektivität hinterfragt, statt sie als Selbstzweck zu akzeptieren. Angesichts eines Staates, der acht Polizisten losschickt, um einen Kochabend von zwei Freunden zu stürmen, der einen Jungen mit zwei Autos durch einen Park hetzen lässt oder alte Frauen von Parkbänken vertreibt, findet eine liberale Stimme Gehör.

Wissing steht im Duell mit seiner Endgegnerin. Jede Kritik am Lockdown ist eine Kritik an der Kanzlerin. Die genießt den Ruf, uneitel zu sein. Was eine absolute Fehleinschätzung ist. Die Anerkennung ihrer Politik ist für sie oberstes Staatsziel. Bisher mit Erfolg. Doch nun gibt es einen Herausforderer.