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Die Situation in der Pflege von Menschen mit einer kognitiven Einschränkungen ist in der Corona-Krise schwierig, aber handelbar, sagt David Dietz. Er ist Geschäftsführer der Lebenshilfe Mainz-Bingen GmbH und des Pflegedienstes Lebenshilfe Mainz-Bingen Hausengel GmbH sowie Vorsitzender der FDP Mainz. Wichtig für die Stimmung unter Bewohnern und Pfleger wäre, so Dietz, ein Zeichen, in welchem Zeitraum die Einschränkungen zurückgenommen werden können.

 


Wie beeinflusst die Corona-Epedemie die Arbeit in Ihren Einrichtungen, Herr Dietz?

Sehr massiv. Wir betreuen im Pflegedienst sehr viele Menschen, die zu den Hochrisikogruppen gehören. Das bedeutet, dass wir noch einmal mehr Obacht geben müssen, Hygienestandards noch mal intensiver beachten müssen als andere Einrichtungen. Das ist für die Belegschaft, aber auch für uns als GmbH eine Riesenbelastung.

Mit welchem Erfolg arbeiten Sie?

Bisher ist es uns gelungen, Corona-Infektionen unter den Bewohnern gänzlich zu vermeiden. Das ist wirklich erstaunlich. Denn wir betreiben vier große Wohnstätten und drei Außenwohnstätten – insgesamt gehören dort rund 80 Prozent der Bewohner zur Hochrisikogruppe.

Wie wird die Belegschaft mit der Situation fertig?

Das ist ein Problem. Die Situation erfordert von den Mitarbeitern zusätzliches Engagement. Da wir aber ein relativ großer Anbieter sind, können wir Mitarbeiter aus anderen Bereichen in unseren Wohnstätten einsetzen.

Wie ist die Stimmung?

Die Stimmung ist noch sehr gut. Viele haben sich bei uns angeboten, bei Bedarf zu helfen. Die Belegschaft macht sich eigene Gedanken, weist uns als Geschäftsführung drauf hin, mit welchen Lösungen personelle Engpässe zu überwinden sind. Außerdem haben sich viele bereit gestellt, im Fall der Quarantäne sich verstärkt zu engagieren. Allerdings kommt es auch darauf an, wie lange die Krise noch dauert.



„Es kommt darauf an, wie lange die Krise noch dauert“

Inwiefern?

Ein längerer Lockdown wird zu einem mentalen Problem. Psychologisch wäre es wichtig, eine Perspektive zu gewinnen. Das ist ein Dilemma. Einerseits weiß jeder, wenn wir die Maßnahmen jetzt verlängern, dann sinkt die Möglichkeit, dass sich Menschen infizieren. Andererseits ist es enorm belastend, wenn du keine Perspektive hast, dass es wieder besser wird. Du brauchst einen Hoffnungsschimmer.

Inwiefern belasten die Kontaktverbote zur Verwandtschaft Bewohner und Belegschaft?

Wir haben das Kontaktverbot strikt gehandhabt. Auch schon bevor es die offizielle Regelung war. Als es dann die rechtliche Grundlage gab, haben wir ein komplettes Besuchsverbot beschlossen. Natürlich nagt das an den Bewohnern – vor allem an den Angehörigen. Viele von ihnen haben ein Alter erreicht, in dem sie selber in den Bereich einer Risikogruppe gekommen sind. Für die Bewohner ist die Lage schwierig, da sie nicht zu 100 Prozent einsichtsfähig sind. Wir sind eine offene Einrichtung. Das macht es dann schwer, sie davon abzuhalten, nach außen zu drängen.

Bekommen Ihre Einwohner eigentlich mit, warum die Maßnahmen durchgeführt werden oder nehmen sie keine Nachrichten wahr?

Der Grad ist stark unterschiedlich. Wir haben Bewohner, die jeden Tag die Zeitung genau verfolgen, aber wir haben auch Bewohner, die aufgrund ihrer Einschränkung keine Nachrichten wahrnehmen können. Einige haben Weglauftendenzen, doch das haben wir noch gut im Griff. Kommt aber eine Quarantäne, dann wäre das ein Notfall. Dann würden entsprechende Anordnungen notwendig werden. Das gilt nur für Einzelfälle und ist justiziabel hoch sensibel. Etwa wenn es ums Fixieren ans Bett geht.

Sie haben davon gesprochen, dass auch für die GmbH die Krise eine Belastung sei? Inwiefern denn? Sie können doch ihrer Arbeit weiter nachgehen.

Also zum einen haben auch wir Bereiche, in denen jetzt die Arbeit ruht. Etwa in den Angeboten rund um den Bereich Kinderbetreuung. Zum anderen steigen auch die Kosten. Mehr Personalaufwand bedeutet mehr Kosten. Wer mehr arbeitet, erhält auch mehr Zeitzuschläge. Das ist zwar gut so, kostet aber halt auch Geld. Und klar: Irgendwann belasten höhere Kosten eine GmbH. Außerdem brauchen wir mehr Schutzeinrichtungen und die Preise dafür steigen.

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Teilweise Preise verdrei- oder vervierfacht

Sind Sie denn mit ausreichend Schutzeinrichtungen versorgt wie Masken oder Handschuhe?

Mit Mundschutz, Handschuhen und Desinfektionsmitteln sind wir gut aufgestellt. Die erhalten wir teilweise über den regulären Weg, manchmal braucht es auch ein wenig Kreativität. FFP2-Masken sollen diese Woche kommen. Schwierig ist es, an Kittel zu kommen – da ist der Markt im Moment komplett dicht.

Und zu Schwarzmarktpreisen einkaufen?

Bei Kitteln haben derzeit auch einige Krankenhäuser Probleme. Trotz der enorm gestiegenen Nachfrage sind die Preisanstiege bisher meist moderat. Ich kenne aber auch Fälle, in denen Häuser für Schutzeinrichtungen das drei- bis vierfache von dem gezahlt haben, das vor der Epidemie üblich war.

Ist es ein politisches Versäumnis, dass nicht gleich zu Beginn der Krise Masken und ähnliches im großen Stil eingekauft wurden?

Das deutsche Gesundheitswesen besteht den Stresstest eigentlich ganz ordentlich. Sehr positiv zu sehen, ist etwa, wie schnell das alles hochgefahren wurde. Schwierig ist in der Tat zu sehen, dass der erste deutsche Fall am 26. Januar in Bayern gemeldet wurde, es aber sechs bis sieben Wochen gedauert hat, bis es die ersten offiziellen Anordnungen gegeben hat.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat im Januar noch davon gesprochen, Corona verlaufe weniger schlimm als eine Grippe. Hat er eine rechtzeitige Reaktion verschlafen?

Das Ausmaß von Corona wurde von vielen Seiten extrem unterschätzt. Das ist nicht das Versagen eines Einzelnen, sondern ein systematisches Problem. Manche Planungen sind extrem spät angelaufen. Das liegt aber vor allem daran, dass in den untergeordneten Behörden zu wenig Personal arbeitet. Das war in den Sparrunden der vergangenen Jahren der Pool, aus dem sich bedient wurde. Das rächt sich jetzt.