Tabea
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Die Maskenaffäre beschäftigt Union und Bundestag. Die Konsequenzen seien zu spät gekommen und sind nicht weitreichend genug, sagt die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne). Sie fordert ein Lobbyregister, dass den Einfluss von Einflüsterern deutlich macht und auch sonst für besser nachvollziehbare Strukturen sorgt. Der Bundestag müsse nach dem ersten Schock der Pandemie wieder aufgewertet werden.

„Das ist unentschuldbar“

Die beiden Abgeordneten Nikolaus Löbel und Georg Nüßlein haben dem Druck nachgegeben und Partei sowie Bundestags-Fraktion verlassen. Löbel hat sein Mandat aufgegeben, Nüßlein hält vorerst dran fest. Den Entschlüssen ist ein langwieriges Hin und Her vorausgegangen, weil die beiden sich anfangs geweigert haben, Konsequenzen daraus zu ziehen, dass sie mit dem Verkauf von Masken private Geschäfte gemacht haben. Ist das, was jetzt passiert ist, genug, Frau Rößner?

Ich finde es schwierig, wie mit solchen Fragen umgegangen wird. Auch als Kollegin. Die Austritte aus Fraktion und Partei waren natürlich notwendig, die sofortige Aufgabe des Mandats ist das auch. Und wie Sie gesagt haben, liegt natürlich auf der Entscheidung der Schatten, dass die beiden erst gar keine Konsequenzen aus ihrem Verhalten ziehen wollten. Sich in einer Krise mit einer Krise persönlich oder über die eigene Firma zu bereichern, das ist niemandem erklärbar. Und das ist unentschuldbar.

Zuerst wollten die beiden nicht einmal der Fraktion verlassen. Haben der öffentliche Druck und die anstehenden Wahlen die Entscheidung dann doch erzwungen?

Sein Mandat abzugeben, kann man niemanden zwingen. Das muss der Abgeordnete selbst entscheiden. In der CDU war die Nervosität nun aber doch zu groß. Jedoch ist sie daran selbst schuld.. Zwar hat der Abgeordnete Löbel mittlerweile sein Mandat niedergelegt. Das haben aber weder Nüßlein angekündigt, noch Karin Strenz hat es gemacht oder Axel Fischer. Und das, obwohl beispielsweise Karin Strenz als ehemaliges Mitglied des Europarates wegen ihrer Verstrickungen mit Aserbaidschan inzwischen Hausverbot im Europarat hat. Auch da war der Druck aus der Unionsfraktion nicht wirklich groß. Und mitten in der Maskenaffäre wählt die CDU obendrein den vorbelasteten Philipp Amthor zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Kein Wunder, wenn dann der Vorwurf kommt, alle Abgeordneten seien korrupt. Solche Instinktlosigkeit und Moralvergessenheit diskreditiert alle, die viel Aufwand betreiben, um ihre Arbeit so transparent wie möglich zu machen.

Es zeigt sich, dass es dort ein strukturelles Problem gibt. Jetzt fordern Unionsabgeordnete einen Verhaltenskodex. Die Wahrheit ist aber: Seit Jahren blockiert die Unionsfraktion wirksame Maßnahmen, um Einfluss und politische Interessenvertretung transparent und nachvollziehbar zu machen. Weil wir kurz vor der Bundestagswahl stehen, gibt es großen öffentlichen Druck und die Union bekommt kalte Füße, aber bisher ist es immer – sei es rund um die Aserbaidschan-Affäre, der Fall Amthor oder jetzt die Maskenaffäre – bei wohlfeilen Ankündigungen geblieben.

„Wir brauchen ein Lobbyregister“

Was müsste sich ändern?

Neben den moralischen Appellen brauchen wir endlich eine gesetzliche Änderung der Regelungen und mehr Transparenz: ein gesetzliches Lobbyregister, ein legislativer Fußabdruck bei Gesetzgebungsverfahren für die Bundesregierung wie auch für das Parlament, schärfere Regeln für Nebentätigkeiten und bei Aktienoptionen und Unternehmensbeteiligungen von Abgeordneten und striktere Regeln der Parteienfinanzierung. Weil immer wieder Abgeordnete gleichzeitig Lobbyismus betreiben – sogar mit dem Briefkopf des Bundestags – brauchen wir ein Verbot der entgeltlichen Lobbytätigkeit neben dem Mandat. Da muss die Große Koalition statt Lippenbekenntnissen jetzt schnellstmöglich liefern! Der Schaden am Parlamentarismus ist jetzt schon enorm. Um seinen Ruf zu schützen, müssen diese Maßnahmen ergriffen werden. Natürlich ist das Aufwand. Aber der ist es wert, der ist notwendig.

Wie sieht dieser Aufwand aus?

Ich habe als Abgeordnete von Anfang an Transparenz hergestellt. Oft sind es nur kleine Geschenke, Merchandising, mit denen Lobbyverbände an Abgeordnete herantreten. Begleitet von Briefen und Kampagnen, die wir unterstützen sollen. Deshalb habe ich selbst die kleinsten Geschenkangebote öffentlich gemacht, versteigert und den Erlös guten Zwecken wie an Lobbycontrol gespendet. Die Fußspuren von Lobbyisten müssen erkennbar sein. Deswegen fordern wir Grünen auch, dass das Lobbyregister an einer viel früheren Stelle ansetzt, als es das jetzt tut.

Der Spahn-Trick

Wie sähe das dann in der Praxis aus?

Die jetzt vorgesehene Regelung, zu der sich die Große Koalition gerade so durchgerungen hat, ist, dass man sich einmal in eine Liste eintragen muss. Für uns dagegen müssen in einem öffentlich zugänglichen Lobbyregister Auskünfte über Auftraggeber, Budget, Finanzquellen und Interessensgebieten der Lobbyist:innen vermerkt sein in Verbindung mit einem Verhaltenskodex und Sanktionen bei Verstößen. Ohne Eintrag im Lobbyregister darf es keinen Zugang zur Regierung geben und auch keine Teilnahme an Anhörungen im Bundestag. Zudem sollten die Nebentätigkeiten ab dem ersten Cent angezeigt werden müssen und Spenden an Parteien neu geregelt werden. Derzeit sind erst Einnahmen ab 10 000 Euro angabepflichtig.

Wie das umgangen wird, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jetzt gezeigt. Der lädt zum Fundraising-Essen ein und die Einlage kostet 9999 Euro.

Richtig. Noch so ein Beispiel. Genau deswegen müssten alle zusätzlichen Einnahmen ab dem ersten Cent angegeben werden. Außerdem gibt es Abgeordnete, die ihr Mandat für Lobbyismus benutzen. Sie schreiben Briefe, in denen sie sich für Produkte oder Firmen einsetzen und versehen das dann mit dem Bundesadler des Bundestages. Das geht gar nicht. Wogegen ich mich indes ausspreche, ist, dass jedes Gespräch angegeben werden muss, das eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter führt.

Warum sollte das nicht angegeben werden müssen?

Ähnlich wie Journalisten müssen sich auch Abgeordnete informieren können. Manche Gespräche sind aber zu vertraulich und kämen nicht zustande, wenn sie danach öffentlich dokumentiert werden müssten. Den Abgeordneten gingen so wertvolle Informationen verloren. An der Stelle wäre ich für einen Verhaltenskodex, der Abgeordnete verpflichtet, das Mandat nicht missbräuchlich einzusetzen.

„Wir sind nicht mehr im Ausnahmezustand“

Spannend ist, dass eine solche Welle ausgelöst wurde von Abgeordneten, die vorher eigentlich niemand gekannt hat. Ist es dann nicht umso ärgerlicher, wenn sie mit ihrem Verhalten den Ruf der Abgeordneten so diskreditieren.

Nüßlein war immerhin Fraktionsvize. So unbekannt war der also gar nicht. Auch steht sein Verhalten, und dass er vorerst am Mandat festhält, unter ganz anderem Interesse.

Ok. Das stimmt natürlich. Die Frage sollte allerdings auch in eine andere Richtung führen. Dem Bundestag droht ohnehin ein Bedeutungsverlust, weil er in der Pandemie alle Kompetenzen an die Bundesregierung und die Länderchefs abgetreten hat. Sind Sie mit der Rolle des Bundestages in der Pandemie zufrieden?

Die Frage ist, wie wichtig nehmen wir uns als erste Gewalt selbst. Als gesetzgebende Gewalt. Das gilt natürlich auch in der Corona-Krise.

Das ist aber nicht gelebt worden.

Am Anfang ging es darum, dass die Exekutive in einer Krisensituation schnell handeln können muss. Dem haben wir zugestimmt und die pandemische Lage hergestellt. Das hat den Regierungen im Bund und den Ländern ermöglicht, schnell auf die Situation zu reagieren.

Allerdings…

Ja. Allerdings hält die Krise seit einem Jahr an und wir befinden uns eben nicht mehr in einem Ausnahmezustand. Stattdessen stellt sich jetzt die Frage: Was hätte passieren müssen und was muss perspektivisch passieren. Und daran war der Bundestag nicht zufriedenstellend beteiligt.

„Wir brauchen einen Pandemierat“

Wie hätte die Beteiligung aussehen müssen?

Wir brauchen einen Pandemierat. In diesem Rat müssen Fachexpertisen aus unterschiedlichen Bereichen Gehör finden.

Aber die Wissenschaft war doch gut eingebunden in die Entscheidungsfindung?

Viele Bereiche sind eben nicht gehört worden. Beispielsweise der Kinderschutz. Die Kinder sind denn auch oft durch das Raster gefallen. In dem Pandemierat mit einer entsprechend vielfältigen Ausrichtung wären die Entscheidungen anders ausgefallen als im Kanzleramt. Was indes gar nicht geht, ist, dass wir Abgeordneten erst aus der Presse erfahren, was die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen hat. Wir dürfen dann vielleicht noch debattieren, aber keine wirkliche Entscheidung mehr treffen.

„Kann am Ende keine:r mehr nachvollziehen“

Zumal die Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz ja schon in der Bild stehen, bevor die Konferenz sie beschließt.

Das ist total nervig. Darauf hat es ja auch schon entsprechende Reaktionen gegeben. Am Ende führt das dazu, dass die Ministerpräsident:innen neun Stunden tagen, rausgehen und jede:r setzt etwas anderes um. Das führt zu den vielen unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern. Das kann dann am Ende kein Mensch mehr nachvollziehen und konterkariert den großen Kraftakt, den die Gesellschaft erbringt. Ich erhalte viele Reaktionen von Wählerinnen und Wählern, die damit nicht mehr klarkommen, nicht mehr wissen, was gerade gilt.

Welche Konsequenz muss daraus gezogen werden?

Der Bundestag und die Landtage müssen vor den Entscheidungen mit einbezogen werden. Es muss fundierte Debatten geben. Nur dann kommt es zu nachvollziehbaren Entscheidungen.