Laura Bicker: Er ist eine Institution an Frankfurter Samstagen: der Flohmarkt am Sachsenhäuser Mainufer. Hier lässt es sich den ganzen Vormittag über zwischen den Ständen schlendern, an denen sich Antiquitäten, Bücher, Schallplatten, Kleidung, Technik und jede Menge Krimskrams türmen. Viele Verkäuferinnen und Verkäufer haben lange Tische unter Pavillons aufgebaut, andere breiten ihre Waren einfach auf bunten Decken auf dem Boden aus. Die Besucherinnen und Besucher wandern zwischen den Ständen hin und her, nehmen Dinge in die Hand, handeln, unterhalten sich und genießen bei einem kleinen Snack von einem der Food Trucks den Blick auf den Fluss und die Skyline.
Jeden zweiten Samstag findet der Flohmarkt am Mainufer statt, im Wechsel mit der Lindleystraße im industriell geprägten Teil des Ostends
Es ist kein Wunder, dass die Besucherzahlen der beiden Standorte stark auseinandergehen: Im Jahresdurchschnitt kommt nur etwa ein Drittel der Menschen, die alle zwei Wochen am Schaumainkai flanieren, in die Lindleystraße. Denn auch wenn das durch den Hafen geprägte Ostend seinen eigenen Charme hat, kann die Lage doch mit der Kulisse am Sachsenhäuser Ufer nicht mithalten: Auf der einen Seite der Blick auf Main und Wolkenkratzer, auf der anderen Seite erheben sich die imposanten Gebäude der Museen, die am Schaumainkai Tür an Tür liegen. Auch die Standmieten unterscheiden sich deshalb leicht: Am Schaumainkai kommen zur Grundgebühr von sechs Euro neun Euro für den ersten bis dritten Meter dazu, für jeden weiteren Meter zahlen die Verkäufer zwölf Euro. In der Lindleystraße sind es zusätzlich zur Grundgebühr acht Euro für den ersten bis dritten Meter, danach kommen elf Euro pro Meter dazu.
„Warum wegwerfen, wenn es jemand anderes vielleicht haben möchte?“
Laura Philipp und Kariem Jaber verkaufen an einem Herbstsamstag zum ersten Mal auf dem Flohmarkt am Sachsenhäuser Ufer. „Meine Schwester war schon öfter hier, vor Corona hat sie etwa ein Mal im Jahr hier verkauft. Sie ist seit 6 Uhr hier, wir kamen um 6.30 Uhr dazu. Und seitdem sind auch schon Leute da und kaufen fleißig an unserem Stand“, erzählt Laura. Die beiden Frankfurter haben in den vergangenen Wochen ihren Keller und die Kleiderschränke ausgemistet. „Wir wollten die Sachen nicht einfach wegwerfen“, sagt Kariem. „Da spielt ja auch der Nachhaltigkeitsgedanke eine Rolle. Warum wegwerfen, wenn es jemand anderes vielleicht haben möchte?“
Der Gedanke war lohnenswert, denn bis jetzt läuft es sehr gut bei den beiden, die sich den Stand mit Lauras Schwester und einer Freundin teilen. Trotz des schlechten Wetters – der Samstag ist der erste regnerische Tag seit Langem. Doch die Flohmarktfreunde scheint das nicht abzuhalten: „Seit heute Morgen sind viele Leute hier, durchwühlen die Kisten und kaufen viel“, berichtet Kariem. Besonders gut verkauft sich Kleidung, vor allem, wenn es sich um hochwertigere Ware handelt. Mit Büchern haben die beiden weniger Glück. Auch von einer großen Auswahl an alten Apothekerflaschen haben sie sich mehr erhofft, aber insgesamt sind sie zufrieden. Hohe Preise haben sie nicht angesetzt: „Wir wollen unsere Sachen loswerden und freuen uns, wenn jemand anderes daran Spaß hat. Mit nach Hause nehmen wollen wir sie eigentlich nicht mehr“, sagt Laura.
„Auf dem Flohmarkt muss man keine Bio-Tomaten kaufen können“
Kleider, Bücher und Deko-Artikel, wie auch Laura und Kariem sie an ihrem Stand anbieten, sind klassische Flohmarktwaren. Man sieht sie in vielen unterschiedlichen Ausführungen an den meisten Ständen. Welche Waren auf dem Flohmarkt angeboten werden dürfen, unterliegt nur wenigen Regeln. Selbstverständlich darf nichts Illegales auf den Verkaufstischen liegen. Auch Neuware ist verboten. Hier können manche Verkäufer jedoch ein bisschen tricksen. „Insolvenzware ist beispielsweise erlaubt. Klassische Neuware jedoch nicht – auf dem Flohmarkt lebt man immer noch nach dem Motto ‚Von privat zu privat‘“, erklärt Michael Lorenz, der als Leiter der Abteilung Marktverwaltung bei der Managementgesellschaft für Hafen und Markt (HFM) für den Flohmarkt zuständig ist. Ebenfalls verboten sind Fahrräder – denn diese wurden in der Vergangenheit von den Händlern in den Seitenstraßen gelagert und verärgerten die Anwohner.
Auch Lebensmittel haben an den Ständen nichts zu suchen. Das hat auch einen rechtlichen Grund, denn Floh- und Wochenmärkte müssen ein unterschiedliches Angebot haben. Bei der HFM, die auch für die Wochenmärkte in Frankfurt zuständig ist, möchte man die beiden Markttypen ebenfalls voneinander trennen: „Sie sollen einander keine Konkurrenz machen und beider Angebot soll nicht verwässern. Auf dem Flohmarkt muss man keine Bio-Tomaten kaufen können“, sagt Lorenz.
So sieht man an den Ständen am Mainufer weder Tomaten noch Fahrräder, dafür aber viele Flohmarkt-Klassiker wie beispielsweise Antiquitäten. Warum es der Flohmarkt am Schaumainkai geworden ist, auf dem sie verkaufen, können Laura und Kariem schnell beantworten: „Das ist einfach der schönste Flohmarkt in Frankfurt“, sagt Kariem. „Das gilt nicht nur für die tolle Lage, auch das Angebot stimmt. Und es ist immer viel los.“ Wiederkommen würden sie auf jeden Fall: „Wenn wir das nächste Mal ausmisten!“
Ein Leben für den Flohmarkt
Bereits öfter wiedergekommen ist Klaus Scherer. „Ich verkaufe eigentlich schon mein Leben lang auf dem Flohmarkt“, lacht der 76-Jährige. Über 50 Jahre lang hat er Räumungen gemacht: Eine bessere Quelle für Flohmarktware kann man sich nicht wünschen. „Mein Lager zu Hause ist voll mit alten Schätzen“, sagt der Flohmarktprofi. An seinem Stand liegt ein buntes Sammelsurium aus: ein Körbchen voller Scheren, Uhren, Portemonnaies, alte Kameras, Emaille-Schilder, Schuhe und vieles, vieles mehr.
Die Menschen, die an Scherers Stand stehen bleiben und Dinge kaufen, sind ein genauso bunter Haufen wie sein Warenangebot. „Das ist eine ganze Palette an Menschen: alle Altersgruppen, alle Berufsgruppen“, erzählt der Rentner. Wer an seinen Stand kommt, kann mit viel Auswahl und einem flotten Spruch rechnen. Ein junges Pärchen interessiert sich für die Scheren. „Schneidet die gut?“, fragt der junge Mann. „Probieren Sie’s aus – schneiden Sie doch einfach mal in die Tischdecke“, fordert Scherer ihn auf und deutet auf die grüne Decke, die über seinem Verkaufstisch liegt. Der junge Mann probiert es aus und scheint zufrieden, man einigt sich auf einen Preis. „Mit den jungen Leuten macht’s besonders viel Spaß“, sagt Scherer. „Da wird immer mal ein bisschen gehandelt und gerne auch mal gequatscht.“
Einen Verkaufsschlager hat Scherer nicht. „Das kann man nicht genau sagen, es gehen immer unterschiedliche Dinge gut. Natürlich gibt es ein paar Dinge, für die ich mehr verlangen kann, zum Beispiel gutes Porzellan – das geht immer schnell weg. Aber sonst kommt es auch ganz darauf an, wer kauft“, erzählt er. Touristen kaufen beispielsweise gerne Uhren und Taschenmesser oder auch mal ein für Frankfurt typisches Souvenir: „Da wird auch mal der Bembel für 5 Euro ein wertvolles Stück, da er an die Urlaubsreise erinnert“, sagt Scherer.
„Man kriegt ein Feeling dafür, wer etwas kaufen will oder nicht“
Viele Leute kommen auch einfach nur zum Stöbern an den Stand von Klaus Scherer. „Wenn man das lange macht, kriegt man ein Feeling dafür, ob jemand wirklich etwas kaufen will oder nicht. Mittlerweile erkenne ich das schon an den Fragen, die die Leute stellen. Zum Beispiel bei den Scheren: Wenn jemand sie ausprobiert, hat er wirklich Interesse daran, sie zu kaufen. Wer sich nur alles anguckt und mir keine gezielten Fragen zu den Waren stellt, kauft selten etwas“, erklärt der erfahrene Verkäufer. Einen Tipp für Neulinge auf dem Flohmarkt hat er auch: „Idealerweise hat man keine zu große Auswahl auf dem Tisch. Hier dürfen keine zehn Scheren liegen, besser sind etwa vier. Das verkauft sich besser, weil es die Leute nicht so erschlägt.“
Ein Flohmarkt, viele Standorte
Das war vor knapp 50 Jahren noch anders; damals war der Flohmarkt der Place to be für alle, die Gebrauchtes kaufen wollten. Seit 1975 ist samstags am heute als Museumsufer bekannten Abschnitt in Sachsenhausen Flohmarkt. So weit reichen die Aufzeichnungen der HFM zurück. „Es spricht aber vieles dafür, dass der Flohmarkt auch vorher schon am Mainufer stattfand – damals wurde er allerdings noch nicht von der Stadt organisiert, sondern von privater Hand“, erklärt Lorenz. In den 80er Jahren nahm der Markt dann für sieben Jahre Abschied und wanderte den Main hinauf auf das Gelände des ehemaligen Schlacht- und Viehhofes, auf dem sich heute die Wohn- und Bürogebäude des Deutschherrnviertels erheben. Zu Beginn der 90er Jahre kehrte der Flohmarkt an seinen ursprünglichen Standort zurück; zu diesem Zeitpunkt vergab die Stadt die Marktorganisation an den privaten Veranstalter Melan. 18 Jahre war dieser für den Flohmarkt verantwortlich, bis die Stadt ihn wegen fehlender Steuerungsmöglichkeiten und unzähligen Beschwerden wieder in ihren Einflussbereich zurückholte.
2008 änderte sich jedoch nicht nur die Zuständigkeit für den Flohmarkt, sondern auch der Standort. Die Anwohner, allen voran die Museen am Schaumainkai, fühlten sich von dem wöchentlich stattfindenden Markt gestört. „Der Städelbesucher will nicht unbedingt auf den Flohmarkt, und anders herum. Soziale Unterschiede sorgen immer für Differenzen“, erklärt Lorenz. Um die Museen zu entlasten, zog der Flohmarkt damals alle zwei Wochen in die Lindleystraße.
Im Januar 2020 stand ein neuer Umzug an
Nun sollte er jeden Samstag am nördlichen Mainufer stattfinden, das zu diesem Zeitpunkt für den Verkehr gesperrt war. Nach nur vier Mal setzte die Corona-Pandemie ihm jedoch vorübergehend ein Ende. „Den Flohmarkt an das nördliche Mainufer zu verlegen, bedeutete viel Aufwand und umfangreiche Vorbereitungen. Und das nur, um dann von Corona auf Eis gelegt zu werden“, berichtet Lorenz. In der folgenden Zeit der Abstände und Hygienemaßnahmen konnte er dann nur in der Lindleystraße stattfinden, wo die Zugänge, im Gegensatz zum Standort am Mainufer, geregelt werden konnten.
Inzwischen ist der Flohmarkt an das Sachsenhäuser Ufer zurückgekehrt, denn mit der nördlichen Seite waren sowohl Austellerinnen und Austeller als auch Besucherinnen und Besucher nicht glücklich. Allerdings nur auf begrenzter Fläche: Während er sich früher von der Friedensbrücke bis zur Alten Brücke erstreckte, reicht er jetzt nur noch bis zur Untermainbrücke. Aber dort soll er jetzt bleiben: „Wir haben Fläche hergegeben, verfügen so aber auch über deutlich mehr Planungssicherheit. Der Markt wird so nicht mehr hin- und hergeschoben und bleibt fest auf einer Mainseite“, fasst Lorenz die Vorteile zusammen. Händler und Besucher zeigen sich mit der neuen, alten Location zufrieden: Für die nördliche Mainseite bekam die HFM viele Rückmeldungen, dass das Ambiente mit der Südseite einfach nicht mithalten konnte – denn der Blick vom Schaumainkai sei einfach schöner. Und so flanieren die Flohmarktfreunde jetzt wieder jeden zweiten Samstag am Frankfurter Ufer, kaufen jede Menge schöne Kleinigkeiten, verhandeln, quatschen und genießen den Ausblick auf den Main und die Skyline.