In welchem Umfang lassen sich chronisch kranke Kinder im Schulalltag mithilfe von Schulgesundheitsfachkräften besser versorgen? Das ist die zentrale Frage eines nächsten Teilprojekts der ikidS (ich komme in die Schule)-Studie, die vor fünf Jahren an der Universitätsmedizin Mainz gestartet ist. IkidS zielt darauf ab, die typischen schulischen Probleme und Benachteiligungen von chronisch kranken Kindern zu identifizieren. Mit Beginn des neuen Schuljahrs 2018/2019 sind jetzt die ersten beiden Schulgesundheitsfachkräfte an zwei Mainzer Schulen im Einsatz. Eine der beiden Schulgesundheitsfachkräfte hat ihre Arbeit an der Goethe-Grundschule in der Mainzer Neustadt aufgenommen, die andere an der Maler-Becker-Grundschule.

Chronisch kranken Kindern im Schulalltag gerecht zu werden, erfordert von den Eltern viel Zeit – Zeit, die heute oft nicht zur Verfügung steht. Vor diesem Hintergrund lautet die ganz zentrale Fragestellung des neuen ikidS-Projekts: Wie lassen sich die Bildungschancen chronisch kranker Kinder an die von gesunden Kindern angleichen? Wie lässt sich die Wissensvermittlung für Kinder auf ein gleiches Level bringen? „Um diese Frage zu beantworten, könnte den Schulgesundheitsfachkräften eine Schlüsselrolle zufallen. Denn sie werden vor Ort Maßnahmen erproben, die darauf abzielen, die Bildungschancen der chronisch kranken Kinder entscheidend zu verbessern“, so Univ.-Prof. Dr. Michael Urschitz, der Initiator der ikidS-Studie und Mitarbeiter des Instituts für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI) der Universitätsmedizin Mainz. Die Aufgaben der Schulgesundheitsfachkräfte reichen unter anderem von der Assistenz bei Medikamenteneinnahmen über individuelle Pflegeleistungen bis hin zum Brückenbauen zu Kinder- und Schulärzten, Schulpsychologen, Schulsozialarbeitern und Jugendhilfeträgern. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt darin, eventuelle Versorgungslücken der Kinder zu identifizieren und zu schließen.

„In einem guten gesundheitsförderlichen Umfeld gelingt das Lernen und Lehren viel besser. In rheinland-pfälzischen Schulen spielt der Aspekt der Gesundheit an Körper und Seele deshalb eine wichtige Rolle – und zwar für Schülerinnen und Schüler genauso wie für Lehrkräfte. Das Land unterstützt die Schulen darin, Konzepte für eine gute und gesunde Schule zu finden und sie erfolgreich umzusetzen. Dazu gehört auch der Umgang mit chronischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Im Rahmen der Kindergesundheitsstudie iKidS erwarten wir uns wichtige neue Erkenntnisse über die Bedürfnisse und Unterstützungsbedarfe von Kindern mit chronischen Erkrankungen, um noch besser darauf reagieren zu können“, so Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig.

Die chronisch erkrankten Grundschulkinder leiden häufig beispielsweise an Diabetes, Allergien, einer Atemwegserkrankung wie Asthma, Epilepsie, ADHS oder einer Entwicklungsstörung. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler profitieren ganz konkret von den Schulgesundheitsfachkräften, indem diese ihnen Medikamente verabreichen, auf Allergien oder Nahrungsmittelunverträglichkeiten achten, psychosoziale Belastungen wahrnehmen oder eben einfach in die Rolle des „Kümmerers vor Ort“ schlüpfen. Zudem prüfen sie medizinische Förder- und Fürsorgemaßnahmen sowie Behandlungspläne auf Vollständigkeit und begleiten deren Umsetzung. Das, was die Schulgesundheitsfachkräfte auszeichnet, ist, dass sie in der Lage sind, bei Bedarf notwendige medizinisch-pflegerische Maßnahmen einzuleiten und die einzelnen Elemente der medizinischen Versorgung fachgerecht zu vernetzen. Damit entlasten sie auch die Lehrkräfte im Umgang mit chronisch erkrankten Schülerinnen und Schülern. „In diesem Zusammenhang gilt es aber festzuhalten, dass die Schulgesundheitsfachkräfte keine Konkurrenz zu beispielsweise Inklusionshelfern oder Schulsozialarbeitern darstellen“, sagt Professor Urschitz.

Handlungsbedarf, um die Situation gesundheitlich beeinträchtigter Kinder in den Schulen zu verbessern, sei in jedem Fall auch aufgrund der in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommenen Anzahl chronisch kranker Schulkinder gegeben, weiß Professor Urschitz. So ergab eine aktuelle repräsentative Erhebung in der Stadt Mainz und im Landkreis Mainz-Bingen einen Anteil von 15 Prozent chronischer Erkrankungen mit erheblichem Versorgungsaufwand bei Schülern des Einschulungsjahres 2015/2016. Diese zeigten dann auch relevante Einschränkungen ihrer schulischen Leistungen.

Dass der Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften sich tatsächlich auszahlen könnte, zeigt der Blick ins Ausland: In den USA, Australien, Kanada, in skandinavischen Ländern und in einigen wenigen Schulen Deutschlands gibt es bereits das Modell der Schulgesundheitsfachkraft. Sie fungiert als Case-Manager, indem sie die betroffenen chronisch kranken Schüler, deren Eltern und die Lehrkräfte im Schulalltag begleitet und unterstützt.

„Was mich an der Aufgabe als Schulgesundheitsfachkraft reizt, ist, direkt vor Ort in einem neuen Berufsfeld, den Schülern und Schülerinnen in gesundheitlichen Angelegenheiten im Schulalltag helfen zu können, sie zu unterstützen und ihnen Sicherheit zu geben, mit der Chance bestehende Versorgungslücken zu schließen und somit einen Beitrag zur Verbesserung der Chancengleichheit leisten zu können“, sagt Jana Fischer, die an der Goethe-Grundschule in der Mainzer Neustadt ihren Dienst kürzlich aufgenommen hat. Ihre Kollegin Anja Heß, die an der Maler-Becker-Grundschule tätig ist, ergänzt: „Eine der größten Herausforderungen im Umfeld Grundschule ist, das Vertrauen der Grundschüler, Eltern und dem Schulteam zu gewinnen. Nur so ist eine gute Zusammenarbeit mit allen Beteiligten möglich. Vertrauen und gegenseitiger Respekt ist mir hier sehr wichtig, gerade in Schulen mit verschiedenen Nationalitäten und Religionen.“

Der Einsatz der Schulgesundheitsfachkräfte wird mit einer Machbarkeitsstudie begleitet. „Konkret resultiert daraus, dass wir unter anderem herausfinden wollen, ob Eltern, Kinder und Lehrkräfte Schulgesundheitsfachkräfte akzeptieren, ob diese sich nahtlos in den Schulalltag integrieren lassen und ob sie in ausreichendem Maße genutzt werden. Bei entsprechender positiver Evaluation soll in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob Schulgesundheitsfachkräfte mit einem für chronisch kranke Kinder maßgeschneiderten Programm tatsächlich einen zentralen Beitrag dazu leisten können, dass diese Kinder die gleichen Bildungschancen wie gesunde Kinder haben“, betont die langjährige Schulärztin und Studienkoordinatorin Dr. Martina Franziska Schmidt aus dem Team von Professor Urschitz.