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Der Spartensender ZDF Neo versucht sich mit der sechsteiligen Serie „Schlafschafe“ an politischer Unterhaltung – und scheitert auf groteske Weise. Die Produktion zeigt die Schwächen des deutschen Filmbetriebs auf.


Doch. Anspruch und Unterhaltung lassen sich durchaus verbinden. Die Grabszene in Vier Hochzeiten und ein Todesfall hat geholfen, die Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Ehen zu erhöhen. Mit Clarisse Starling zeigte Jodie Foster im „Schweigen der Lämmer“ schon vor 30 Jahren eine starke Ermittlerin, die sich in der Machowelt FBI durchsetzt und in die Gruft des Frauenmörders absteigt, um ihn zur Strecke bringen.

Nun muss es nicht gleich Hollywood sein. Das deutsche Fernsehen hat auch schon gezeigt, dass sich Politik und Unterhaltung verknüpfen lassen. Bereits vor 35 Jahren – in der Lindenstraße. Und selbst unpolitische Unterhaltung ist letztlich politisch. Etwa wenn sich die Ärztin Dr. Christa Brinkmann von einem Kinderarzt sagen lässt, dass ihre Berufstätigkeit ihr Kind krank macht – und sie ihren Beruf daraufhin schuldbewusst aufgibt.

Ungenaues Wissen

Die Szene stammt aus der Schwarzwaldklinik. Die läuft einmal im Jahr auf ZDF Neo. Nachmittags bis kurz vor der Primetime. Auf diesem Sender sind nun auch die „Schlafschafe“ zu sehen. Eine neu produzierte „Instant-Dramaserie“, wie das ZDF die sechs mal 15 Minuten langen Folgen nennt. Klingt ein wenig nach Instant-Kaffee – ist aber eher kalter Kaffee. Und wird vom Sender konsequent im Nachtprogramm versteckt.

Daniel Donskoy gibt den leicht hyperaktiven Jungvater Lars. Der ist so aufdringlich nett, dass wirklich jeder Zuschauer versteht, dass er der Gute in dem Instant-Drama ist. Am Anfang der ersten Episode ist er mit Werkzeug bei der Arbeit zu sehen – er ist also irgendwas mit Arbeiter. So genau wollen deutsche Filmemacher das gar nicht wissen. Wirft nur Fragen auf und steht der Handlung im Weg.

Das Buch stammt von Matthias Thönnissen und Zarah Schrade. Laut ihrem LinkedIn-Eintrag hat Schrade nachgewiesene Kenntnisse in Microsoft Office und Microsoft Excel. Würde sie die Berufswelt ein wenig tiefer kennen, hätte sie vielleicht schon einmal davon gehört, dass Facharbeiter deutlich mehr verdienen als – sagen wir – freie Drehbuchautor:innen, und dann hätte der Anfang der Schlafschafe umgeschrieben werden müssen.

Talking Heads für die Langsamen

Denn die junge Mutter Melanie (Lisa Bitter) ist wegen der Pandemie arbeitslos geworden und muss sich aus finanzieller Not neu bewerben. Melanie trägt Sweater und Leggins, antwortet unsicher auf die Fragen ihres Mannes, tut sich mit der besagten Bewerbung sehr schwer und schraubt Rauchmelder ab. Für wen das jetzt noch zu subtil ist und wer es immer noch nicht verstanden hat – für den sprechen Lars und Melanie so genannte Talking Heads in die Kamera.

Er sagt: Sie sei seit der Geburt unsicher. Sie sagt: Er sei ein Schlafschaf. Badauz: Die unsichere Legginsträgerin ist also eine Querdenkerin. Wenn man es gesagt bekommt, hätte man auch von alleine drauf kommen können. Zumal sie sich von Klaus-Dieter mit einer einzigen Mail überzeugen lässt: „Hey Melanie, schon mal drüber nachgedacht, Dich zu engagieren?“

Holzschnittartige Figuren

So holzschnittartig sind alle Figuren in „Schlafschafe“. Entsprechend wenig fiebert der Zuschauer mit ihnen mit. Schon nach fünf Minuten stellt sich zum ersten mal Langweile ein. So werden schon die 15 Minuten unbequem, die eine Folge jeweils dauert.

Wer da noch hinschaut, unterliegt dem Katastropheneffekt. Wobei: Manchmal sind die „Schlafschafe“ so peinlich, dass es wiederum Spaß macht. Etwa beim Kauf von Masken für Verschwörungstheoretiker oder bei „Kanal Veritas“, dem Fernsehen für Querdenker. Immerhin stimmt die dramaturgische Reihenfolge: Denn in der Auflösung gipfelt die Peinlichkeit.

Gut und Böse

Leider erfährt der Zuschauer nicht, in welcher Phase der Pandemie die „Schlafschafe“ spielen: In der Phase, in der das Robert Koch Institut (RKI) das Tragen von Masken ablehnte, weil sie für eine „trügerische Sicherheit“ sorgten? In der Phase, in der das RKI auf das Tragen von Stoffmasken drängte? Oder in der Phase, in der das RKI das Tragen von Stoffmasken als unzureichend bezeichnete?

In „Schlafschafe“ gibt es „Apothekermasken“. Das erleichtert die Sache. Die Welt lässt sich so in gut und böse teilen. Oder die Richtigen, die das Richtige machen und die Falschen, die das Falsche machen. Wobei es da – so kompliziert ist es dann doch – die absichtlich Handelnden gibt und die Dummen, so wie Melanie. Auf jeden Fall sind die „Apothekermasken“ gut und Melanie eine Querdenkerin – eine von den guten, aber dummen.

Schwäche des deutschen Films

Damit wird „Schlafschafe“ zum Symptom für die Schwäche des deutschen Filmbetriebs: Starker politischer Sendungswille trifft auf ein holzschnittartiges Weltbild und paart sich mit handwerklichem Dilettantismus. Bezahlt wird das direkt aus staatlicher Filmförderung oder indirekt staatlich, nämlich aus den tiefen Taschen der öffentlich-rechtlichen Sender.

Vor einem Publikum beweisen muss sich das alles nicht. Bezahlt ist es. Und falls das Ergebnis so schlecht ist, dass es sich keiner ansehen will, wird es halt im Nachtprogramm versenkt. In einem Spartensender, der seine Sendezeit mit Wiederholungen füllt von Monk, Bares für Rares oder halt der Schwarzwaldklinik.


ZDF Neo zeigt alle sechs Folgen von Schlafschafe am Stück am Mittwoch, 12. Mai, ab 0.45 Uhr. Sie sind dann auch in der Mediathek zu sehen.