Firmenpatriarch Walter Owen Bentley hätte es sich bestimmt nicht träumen lassen, dass irgendwann einmal ein Fahrzeug, das seinen klangvollen Namen trägt, abseits von Asphalt für Aufsehen sorgt. Der Bentayga V8s tut dies, auch wenn er eigentlich dafür zu schade ist.

Als Walter Owen Bentley vor genau 100 Jahren aus seinen Nachnamen eine der klangvollsten Automobilmarken schuf, tat er dies mit der Absicht, außergewöhnlich gute, luxuriöse und vor allem schnelle Fahrzeuge für gut situierte Gentleman-Driver zu bauen.

Über die Jahrzehnte setzte man diese Firmenphilosophie geradlinig durch, auf den Rennstrecken dieser Welt sammelte man Pokale und Titel en masse. Die Straßenfahrzeuge überzeugten ebenfalls durch ihre Power, ihr einzigartig luxuriöses Innenleben und das gelegentlich extravagante Karosseriedesign.

Foto: Guido Strauss | automedien.de

Bis heute entstehen im britischen Crewe jährlich rund 11.000 in ehrlicher Handarbeit gefertigte Luxusfahrzeuge der Modelle Mulsanne, Continental (Coupé und Cabrio) und Bentayga.

Wobei wir beim Kernthema angelangt wären. Der gute W. O. hätte sich wohl in seinen kühnsten Träumen niemals vorstellen können, dass irgendwann einmal ein Bentley auf einem anderen Untergrund außer Asphalt eine Daseinsberechtigung erfährt.

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Aber auch der Rest der automobilen Welt beobachtete das SUV-Projekt der Sportwagenmanufaktur skeptisch. Ich war da keine Ausnahme, muß ich gestehen. Als schließlich die ersten Fotos des Serienfahrzeuges veröffentlicht wurden, gab es nur zwei Lager. Die einen fanden ihn globig, häßlich, eines Bentley unwürdig, die andere Fraktion war fasziniert vom bulligen Auftreten, dem Spagat zwischen SUV- und Sportlimousinendesign.

Foto: Guido Strauss | automedien.de

Meine Skepsis, meine Vorurteile wandelten sich bei unserem ersten Aufeinandertreffen in unfassbare Begeisterung. Das, was da vor mir stand, war ein Bolide, der jeden GL, Q7, Cayenne oder Escalade verblassen läßt. Äußerlich und erst recht mit dem, was sich unter der Hülle verbirgt.

2,4 Tonnen Lebendgewicht werden hier von einem 770 Nm stemmenden 4-Liter Biturbo-V8 mit 404 kW/550 PS in 4,5 Sekunden auf 100 geschossen und finden erst bei 290 km/h ihr physikalisch bedingtes Ende. Dank der wohl aktuell harmonischsten 8-Gang-Automatik weltweit, sieht man die Gangwechsel eigentlich nur im Drehzahlmesser. Um den Bentayga vor unnötigem Spritkonsum abzuhalten, wird die Zylinderzahl im Bedarfsfall halbiert. Der Wechsel zwischen Vier- und Achtzylindermodus geschieht völlig unmerklich, auf Streicheln des Gaspedals reagiert der Vierliter mit dezentem Bollern, das beim vollen Durchtreten in schärferes Grollen wechselt. So kommt man auf einen Verbrauch ab etwa 11,5 Liter. Wohlgemerkt „ab…“. Aber bei einem Luxusfahrzeug, das in dieser Motorisierung (alternativ gibt es noch den W12-Benziner und einen V8-Diesel) mit einem Basispreis von rund 175.000 Euro an den Start geht, schaut man eher verliebt auf die Breitling in der Cockpitmitte als auf die Tankuhr.

Foto: Guido Strauss | automedien.de

Auf der Autobahn gibt sich der Bentley mehr als souverän. Doch er ist ein waschechtes SUV. Im Gelände fühlt er sich mindestens genauso wohl, schlammiger Untergrund, Sand, Schotter, er bügelt alles weg, die Traktion reißt nie ab. Aber mal ehrlich, er ist einfach zu schade für den Drecktrip. Aber gut zu wissen, dass er es kann.

Fazit: Der Bentayga polarisiert. Zumindest auf Fotos. Live sieht das ganz anders aus. Durch die Bank weg erntete er während unserer Tour Applaus und „Daumen hoch“. Spätestens der Blick in das handgefertigte Interieur läßt aus Skeptiker Fans werden, unabhängig, ob es ihr Portemonnaie zuläßt oder nicht. Für mich persönlich ist dies kaum zu toppen. Man spürt die Liebe zur Marke, zum Detail, die in Crewe von den 4.000 Mitarbeiter gelebt und umgesetzt wird. W.O. wäre sicher stolz!

Bericht/Fotos: Guido Strauss | automobile.de