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Lange Nächte. Draußen wartet ein Mann an der Bushaltestelle. Ist er ein Mörder? Gedanken, die Fans einer ganz bestimmten Literatur kennen. Und der Winter ist die natürliche Zeit für Krimis: Jo Nesbø hat mit „Messer“ den perfekten Stoff für die Saison geliefert, es ist der zwölfte Teil der Reihe um den Osloer Ermittler Harry Hole.

Harry Hole wacht in seiner Wohnung auf. Am Boden. Buchstäblich. Sowie metaphorisch. Seine Frau Rakel hat ihn rausgeworfen, er säuft wieder, Hände und Kleidung sind blutverschmiert und das Schlimmste von allem: Harry kann sich nicht erinnern, was in der letzten Nacht passiert ist. Das Drama nimmt seinen Lauf.

Fans der Reihe wird es nicht wundern: Es ist eine Mordnacht. Und Harry wird nicht nur sein Kurzzeitgedächtnis brauchen, um den Fall zu lösen. Früher oder später wird er auch eben diese Nacht aus seinem vernebelten Suffhirn ausgraben müssen.

Als Reihe ist die Hole-Geschichte an einem problematischen Punkt: Einmal zu oft waren er und seine Angehörigen in Mordfälle persönlich verwickelt. Einmal zu oft musste er sich Folter unterziehen. Seelischer oder körperlicher. So langsam liest sich seine Biographie so rasant wie die einer Soapfigur. Sodass sich die Reihe als solche allmählich nicht mehr ernst nehmen lässt.

Mit das Beste, was das Genre bietet

Doch wer „Messer“ als einzelnen Roman liest, bekommt mit das Beste, was das Genre weltweit zu bieten hat: Nesbø benutzt klassische Elemente des Krimis. Er schafft es aber, Wendungen einzubauen, die selbst die Leser verblüffen, die all die 23 Jahre der Reihe treu geblieben sind. Und Figuren in einem neuen Licht erscheinen zu lassen.

Nesbø ist nicht nur ein guter Storyteller. Als Autor versteht er es auch, Atmosphäre aufzubauen. Dieses spannende Kribbeln, das einen vor allem dann überwältigt, wenn man als Leser danach durch eine dieser langen Januar-Nächte läuft. Und das auf der Couch oder im Bett für das Wohlgefühl sorgt, wenn man im geschützten Raum von den Abgründen dieser Welt liest.

Diese Abgründe darzustellen, gelingt Nesbø beeindruckend. Wer die Hole-Reihe verfolgt, wird zum Beispiel nicht überrascht gewesen sein, dass ein reiches, sozial eingestelltes Land wie Norwegen einen irren, rechtsradikalen Kindermörder beheimatet.

Kurvenreicher Weg

Nesbø geht mit Hole in „Messer“ einen kurvenreichen Weg. Der Fokus der Geschichte wechselt häufig. Wenn klar scheint, in welche Richtung die Aufklärung verlaufen wird, setzt der Autor neue Prämissen voraus. Die Hinweise versteckt Nesbø an den Stellen, an denen die Aufmerksamkeit des Lesers abgelenkt ist.

Wer mit „Messer“ durch ist, denkt sich: Doch, ich hätte draufkommen müssen, wer es war. Aber ich bin es nicht. Denn Nesbø täuscht geschickt. Am Ende ist nichts so, wie es geschienen hat.

Einsteiger seien gewarnt: Hole ist ein gebrochener Mensch. Das muss man lieben. Wenn der Kommissar über eine Flasche Jim Beam Gedanken entwickelt wie: „Du kannst den Schmerz für eine Weile betrügen, er findet dich aber immer“, dann braucht es einen ganz bestimmten Geschmack: Einer, der sich an einem überlegenen Hirn und einer gebrochenen Seele erfreuen kann. Und wenn er dann „Messer“ weglegt, um in eine Januar-Nacht zu gehen, dann hat er dieses Krimi-Gesamtpaket, das nur die besten Autoren liefern können.

Jo Nesbø, „Messer“ ist bei Ullstein erschienen. Das Buch umfasst 278 Seiten und kostet 24 Euro.