Nachrichten Überregional | Nach dem Tod eines Menschen kann eine Obduktion Gewissheit über die Todesursache und Vorerkrankungen bringen. Das könnte bei der Erforschung des Coronavirus von entscheidendem Vorteil sein, doch zum Großteil wurde auf Obduktionen verzichtet. Grund für den Verzicht war die Empfehlung des Robert-Koch Instituts (RKI), keine Obduktionen durchzuführen (wir berichteten). Forscher in Hamburg und Basel haben die Untersuchungen trotzdem durchgeführt und dabei neue Erkenntnisse gewonnen.


Alle obduzierten Verstorbenen litten an Vorerkrankungen

Alle in Basel obduzierten Covid-19 Patienten litten bereits an Vorerkrankungen. „Alle Untersuchten hatten Bluthochdruck. Ein Großteil der Patienten war auch schwer adipös, also deutlich übergewichtig“, zitiert die Süddeutsche Zeitung den Leiter des Fachbereichs Autopsie am Uni-Spital in Basel Alexandar Tzankov. Zudem seien unter den Obduzierten  überwiegend Männer gewesen. Vorgeschädigte Herzgefäße wurden bei rund zwei Drittel der Untersuchten nachgewiesen und etwa 33 Prozent waren an Diabetes erkrankt.

Eine überraschende Erkenntnis

Eine überraschende Erkenntnis der Obduktionen dürfte sein, dass die wenigsten Corona-Toten eine Lungenentzündung entwickelt hatten. „Die wenigsten Patienten hatten eine Lungenentzündung“, erklärt der Pathologe. „Sondern das, was wir unter dem Mikroskop gesehen haben, war eine schwere Störung der Mikrozirkulation der Lunge.“ Das bedeutet, dass der Prozess des Sauerstoffaustauschs nicht mehr wie gewohnt funktioniert und vor allem, dass die Beatmung, die derzeit bei Patienten angewandt ist damit zwecklos ist. „Man kann dem Patienten so viel Sauerstoff geben wie man will, der wird dann einfach nicht mehr weiter transportiert“, so Tzankov.

Das Robert Koch-Institut hatte zuletzt erklärt, dass Covid-19 nicht nur die Lunge, sondern auch andere Organe wie Herz oder Niere befallen kann. Ebenfalls könne die Blutgerinnung von dem Virus betroffen sein.



Nicht alle Todesopfer starben am Coronavirus

Auch der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel hat mit seinem Team entgegen der Empfehlung des RKI Obduktionen an Covid-19 Verstorbenen durchgeführt. Innerhalb von elf Tagen untersuchte er 65 Verstorbene. Die Patienten waren zuvor in Hamburger Krankenhäusern oder in Altenheimen und Pflegeeinrichtungen verstorben. Bei 61 davon konnte die Erkrankung mit Covid-19 als Todesursache festgestellt werden. Die übrigen vier Verstorbenen waren nicht an dem Virus, sondern nur mit dem Virus gestorben. Die Todesursache war aber eine andere.

Von den 61 Opfern, die tatsächlich an dem Virus gestorben waren, litten zuvor 55 vor allem an Bluthochdruck, Herzinfarkten, Arteriosklerose oder anderen Herzschwächen. Vorerkrankungen der Lunge lagen laut den Obduktionsberichten in 46 Fällen vor, 28 hatten andere Organschäden oder transplantierte Organe gehabt. Diabetes oder schweres Übergewicht hatten zehn der Obduzierten, ebenfalls zehn litten an einer Krebserkrankung und 16 an Demenz.

Püschel berichtet, dass die Zahl der in Hamburg obduzierten Covid-19 Opfer in der Zwischenzeit auf mehr als 100 gestiegen ist.

In einem Interview am 22. April erklärte Püschel gegenüber der Tagesschau, dass viele der Obduzierten durch ihre Vorerkrankungen eine eingeschränkte Lebenserwartung hatten.  Einige Tage zuvor hatte er für seine Aussage, dass diese Personen ohnehin nicht mehr lange gelebt hätten enorme Kritik geerntet. Natürlich habe man sich bei der Behandlung dieser Patienten trotzdem die größte Mühe gegeben, betonte er. Im dem Interview plädierte Püschel aber auch dafür, dass besonders die Todesfälle untersucht werden, um daraus zu lernen und die Krankheit besser zu verstehen. „Von den Toten lernen wir für die Lebenden. Das ist kein leerer Spruch. Wir müssen dort genau hinschauen und dann mit wissenschaftlichen Methoden versuchen, gegen das Virus so anzukämpfen, dass wir mit der Situation gut fertig werden“, so der Rechtsmediziner.

Folge uns auf Facebook | Rhein-Main Nachrichten

RKI: Erst keine Obduktionen, dann so viele wie möglich

Bis vor zwei Wochen hatte das Robert Koch-Institut auf seiner Website die Empfehlung gegeben: „Eine innere Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten vermieden werden“.

Dieser Satz ist in der Zwischenzeit von der Homepage verschwunden. Der Vizechef des RKI Lars Schaade erklärte stattdessen während der Pressekonferenz an diesem Dienstag: „Gerade wenn die Erkrankung neu ist, ist es wichtig, möglichst viel zu obduzieren.“ Grund dafür sei, dass man sich neue Erkenntnisse erhoffe, zum Beispiel, „dass dieses Virus sehr viel mehr Organe betreffen kann als wir den ersten Berichten aus China entnehmen konnten“.

Aktuell sterben in Deutschland rund 30 Prozent aller Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden, berichtet das Deutsche Register der Intensivmediziner auf seiner Website.



Pathologen fordern für Corona-Obduktionen bessere Bezahlung

Angesichts der derzeitigen Pandemie drängen Deutschlands Pathologen darauf, die Obduktionen von Corona-Toten den Kliniken schneller und besser zu vergüten. Seit 2018 können Kliniken einen Zuschlag von 750 Euro pro Obduktion von den Krankenkassen erhalten, wenn die Obduktionsquote der Krankenhäuser bei mindestens 12,5 Prozent liegt. Diese Quote ist jedoch zur Zeit weit von der Realität entfernt, denn es werden wesentlich weniger Obduktionen durchgeführt.

In einem Schreiben an die Spitzenverbände der Krankenkassen, das Boost your City vorliegt, fordert der Bundesverband Deutscher Pathologen (BDP) daher, diese Hürde in Form der zu hohen Quote abzuschaffen. Der deutsche Pathologenverband hat noch weitere Punkte der Wirtschaftlichkeit und Fragen für die Mitglieder zusammengetragen.

Karl-Friedrich Bürrig, Präsident des BDP dazu

„Die Fallzahl, die es benötigt, um den Zuschlag zu erhalten, wurde 2018 so hoch angesetzt, dass nahezu keine Klinik diese erreicht. Wir haben die Spitzenverbände der Krankenkassen daher aufgefordert, diese Praxis gerade in der Corona-Krise doch noch einmal zu überdenken.“ Zur Zeit würden in den Kliniken nur ein bis vier Prozent der Verstorbenen obduziert werden, sagt Bürrig. Viel weniger also, als die für den Zuschlag benötigten 12,5 Prozent. So bleiben die Kliniken also weiterhin selbst auf den Kosten sitzen.

„Die Pathologie vermag im Allgemeinen und auch bei dieser neuen Viruserkrankung über die Obduktionen einen wichtigen Beitrag zur strukturierten Aufschlüsselung der Pathogenese dieser Krankheit zu leisten und somit die Grundlage für neue Impulse in der Therapie zu liefern“, heißt es in dem Schreiben. Das sei aber nur möglich, wenn die Obduktionsquoten vorübergehend ausgesetzt würden. Zudem fordern die Mediziner, den Zuschlag von 750 Euro pro Obduktion zu erhöhen.