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Die Corona-Krise kann an den Anlagemärkten überwunden werden, sagt Dr. Ulrich Kater im BYC-Interview. Der Chefvolkswirt der DekaBank spricht von Kursen, die sich vom ersten Einbruch gut erholt haben und davon dass kleine Rückschläge eingebaut sind. Doch noch mehr als vor der Krise gelte es, nicht erledigte Hausaufgaben zu machen – auch in der Europäischen Union.


Leben Anleger aktuell in schlechten Zeiten oder doch eher in guten, Herr Dr. Kater?

Für die Investoren sind es gar nicht so unnormale Zeiten. Sie sind vielleicht nicht so gut, wie sie es vor 20 Jahren waren – mit seinerzeit hohen Renditen auf Einlagen. Aber Anleger erleben eine bessere Zeit als Kontosparer, die sogar Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Und so schlecht, wie man vielleicht angesichts Corona glauben möchte, sind die Zeiten auch nicht.

Die letzte große Krise war die Finanzkrise, die in Europa 2008 begann. Inwiefern ist diese mit der Corona-Krise vergleichbar?

Wir hatten in beiden Krisen sehr ungewöhnliche Konjunktureinbrüche. Da hören die Gemeinsamkeiten aber auch schon auf. Die Finanzkrise zeichnete sich dadurch aus, dass sie eine Krise war, die durch das System selber entstanden ist. Es fehlte seinerzeit die Fantasie zur Beantwortung der Frage, wie wir da wieder herauskommen. Jetzt erleben wir eine Krise, die von außen kommt. Sie ist eher wie ein Unfall oder noch besser wie eine Naturkatastrophe einzustufen. Das heißt aber auch: Die Corona-Krise legt uns eine Weile lahm. Aber wenn das vorüber ist, dann geht auch die Krise vorüber. Das ist ein psychologisch wichtiger Unterschied.

Nun ist die Pandemie nicht vorbei. Es gibt die Angst vor der zweiten oder dritten Welle, wir erleben einige Fälle, in denen die Maßnahmen wieder verschärft wurden: Lissabon zum Beispiel oder in Deutschland Gütersloh. Inwiefern wirkt sich denn diese Unsicherheit auf die Psychologie aus?

Die Märkte haben eine feste Vorstellung der Gesamtdramaturgie dieser Krise, nach der die vor allem im kommenden Jahr zuende geht. Aber bis dahin können noch unvorhergesehene Dinge passieren und es kann auch vorkommen, dass wir Figuren auf der Bühne sehen, die wir da gar nicht sehen wollen. Erleben wir beispielsweise einen zu sehr verängstigten Konsumenten, kann auch die Börse zwischenzeitlich noch einmal den Rückwärtsgang einlegen.

„Dax wird nicht linear durchmarschieren“

Wie geht es weiter mit dem Stück?

Zurück in die Realität: Der Dax wird nicht linear durchmarschieren und kontinuierlich weiter steigen. Rückschläge gehören dazu, sind aber eingeplant. Wir haben jetzt eine Marktverfassung, die sich im Vergleich zum März schon sehr gut erholt hat. Es wurde bereits einiges an Erholung vorweg genommen, die es insgesamt geben wird. Aber dabei muss das gesamte Geschehen betrachtet werden. Und zu dem gehören, bezogen auf die Pandemie, ein Reinfektions-Geschehen dazu. Allerdings sehen wir keine nationalen Lockdowns, die sich über acht Wochen vollzogen, wie wir ihn im März und April erlebt haben. Ein erneuter Lockdown würde an den Märkten erhebliche Reaktionen auslösen und würde uns auf einen Dax-Index-Stand zurückwerfen, auf dem wir schon waren. Lokale Lockdowns wie zum Beispiel in Gütersloh gehören wiederum zu den Szenarien, die unsere Analysten berechnet haben. Auflagen wie etwa die Maskenpflicht sind natürlich Sand im Getriebe. Die sind zwar notwendig, so lange der Virus da ist. Aber sie sollten sich im Laufe des nächsten Jahres auflösen.

Also gilt es für Anleger, die Nerven zu behalten?

Ja. Natürlich. Aber das gilt immer. Schwankungen sind der Preis für im längeren Durchschnitt höhere Renditen. Daher müssen Anleger mit Schwankungen immer leben. Das einzige Gebot, das Anleger beachten sollten, ist durch Risikostreuung die Verlustgefahr gegenüber einer einzelnen Aktie zu verringern. beim Totalverlust eines Unternehmens wird dadurch auch der Wert der Anlage beeinflusst, allerdings das Gesamtrisiko begrenzt. So können Kursveränderungen in die eine und andere Richtung sich gegenseitig ausgleichen und Verluste auch gegenüber einem Einzel-Engagement verringern.

Die Kurse erholen sich. Sollten potentielle Anleger vielleicht gerade jetzt einsteigen?

Bei der Beantwortung der Frage geht es wesentlich weniger um den aktuellen Stand des Dax, als es viele Leuten denken mögen. Es gibt eine Frage die sich Anleger im Vorfeld stellen sollten und sobald sie diese mit ja beantworten können, sollten sie investieren. Die Frage lautet: Will ich mein Vermögen oder Teile davon für zehn Jahre und mehr anlegen. Wenn diese Prüfung stattgefunden hat, und ich die Frage mit ja beantworte, dann sind etwa Aktien als Anlageklasse eine logische Schlussfolgerung. Und hier gilt es, das Risiko im Auge zu behalten. Deswegen lautet dann die erste Antwort: am besten mit einer breiten Streuung in mehrere Aktien oder unterschiedliche Vermögensanlagen wie auch Immobilien oder Anleihen.

Die breite Streuung gilt etwa für die Märkte. Der amerikanische scheint derzeit weniger attraktiv, weil die USA nicht gut durch die Pandemie kommen.

Der Umgang mit der Corona-Krise wird sich deutlich weniger auf die Attraktivität der Märkte auswirken, als die meisten glauben. Zur Zeit sieht China wie der Gewinner aus, weil das Land schnell durch die Pandemie gekommen ist. So scheint es. Ob es so ist, werden die Virologen eines Tages bewerten müssen. Doch an den Wertpapiermärkten wird der richtige oder falsche Umgang mit Corona in zwei oder drei Jahren gar keine Rolle mehr spielen. Dann kommen längst wieder die eigentlichen Probleme der Länder zu tragen.

China hat ein Demografie-Problem

Welche sind das?

Die Chinesen stehen vor einer unglaublichen Herausforderung: Sie müssen ihren Wohlstand im Wettlauf mit der Alterung ihrer Bevölkerung steigern. Das heißt: Sie müssen ihre wirtschaftliche Entwicklung schnell voranbringen, um der demografischen Entwicklung stand halten zu können. Die Ein-Kind-Politik im letzten Jahrhundert wird über eine alternde und schrumpfende Bevölkerung in den kommenden Jahren zu einer großen Belastung, stärker noch als dies in Europa der Fall ist.

Wie sieht es in den USA aus?

Die amerikanische Wirtschaft ist die gesündeste der drei großen Regionen, obwohl man das mit Blick auf die politische Landschaft manchmal nicht so ganz glauben möchte. Aber trotz des problematischen Umgangs mit der Corona-Pandemie werden die USA deutlich niedrigere Verluste im Bruttoinlandsprodukt erleben als etwa die Europäer. Die amerikanische Wirtschaft wird deutlich vitaler aus der Krise rauskommen. Das wirkt sich dann auch entsprechend auf die Aktienlage aus.

Wie ist der Euro-Raum aufgestellt?

Es zieht sich ein Generalthema durch, das es schon lange vor Corona gegeben hat: Der Euro-Raum leidet unter der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit seiner Regionen. Und unter der bisherigen Unfähigkeit, diese Unterschiedlichkeit in Einklang zu bringen. Die Konstruktion des Währungsraums aus selbstständigen Staaten erschwert eine solche Lösung. Corona macht nun Gefahren, die vorher schon da waren, noch deutlicher: Bekommen es die Länder nicht ausreichend gut hin, die Unterschiede auszugleichen, ist auch ein Ende des Projektes Euro durchaus möglich. Ich selber schätze dieses Risiko im kommenden Jahrzehnt subjektiv eher begrenzt auf 20 Prozent ein. Es benötigt den politischen Willen, sich dieser Gefahr entgegen zu stemmen.

EU muss Unterschiede ausgleichen

Droht dem Euro nicht auch ein Problem mit der Stabilität? Viele der Corona-Programme basieren auf Schulden.

Von den drei großen Währungen ist die europäische die beste, wenn es um die Relation Schulden zum Bruttoinlandsprodukt geht: Die liegt bei den Japanern bei fast 300 Prozent, bei den Amerikanern bei 110 Prozent und bei den Europäern eben bei 100 Prozent. Früher hieß es, das Verhältnis solle 60 Prozent nicht überschreiten. Allerdings beeinflusst der Zinssatz die Schuldentragfähigkeit. Bei einem Zinssatz von null Prozent ist die Belastbarkeit höher. Aber es ist auch klar: Unendlich können Schulden nicht gemacht werden.

Wie viele Schulden kann sich der Euro-Raum leisten?

An den Gesamtschulden wird der Euro-Finanzraum nicht untergehen. Aber es ist nicht sinnvoll, auf Dauer mit einer so hohen Schuldenbelastung fortzufahren. Wir werden nicht daran vorbei kommen, die Schuldenbelastung, die jetzt entsteht, in den kommenden Jahren wieder langsam abzuschmelzen.

Also so wie in den Jahren nach der Finanzkrise?

Exakt. Die Deutschen haben gezeigt, wie das geht. Aber wir haben im Euroraum auch Länder, die das nicht geschafft haben. Zum Beispiel Italien. Da wird Verhandlungsgeschick notwendig sein, um zu einer Lösung zu kommen. Aber das deutsche Beispiel zeigt auch, dass es geht.