Jüdisches Leben sei in Deutschland in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Das hat Dr. Josef Schuster gesagt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland hielt vor der Vertreterversammlung der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz eine Gastrede. Immer mehr trauten sich nicht, so Schuster, sich offen zu ihrem Glauben zu bekennen.


Braune Umschläge. Postboten der prüden Bonner Republik wussten, was das bedeutet: Die Sendung kam aus Flensburg, da hatte jemand Pfuikram bei Beate Uhse bestellt. Der braune Umschlag sollte dem Besteller die Schmach ersparen, mit so etwas Unmoralischem in Verbindung gebracht zu werden.

Was im Falle Beate Uhse noch lustig ist, ist für die Bundesrepublik Deutschland ein gefährliches Alarmsignal: Mitglieder bitten darum, dass die jüdische Gemeindezeitung in einem neutralen Umschlag verschickt werden soll. Sie wollen, so berichtet Schuster in Mainz, dass die Nachbarn nicht mitbekommen, dass sie jüdisch sind.

Antisemitismus sei wieder eine Alltagserfahrung der deutschen Juden geworden, berichtet Schuster. In deutschen Großstädten gebe es Viertel, in denen es nicht ratsam sei, sich mit einer Kippa oder einem Davidstern-Anhänger zu zeigen. Eltern würden ihre Kinder warnen, sich als Juden erkennbar zu geben.

Als einen Beschleuniger für antisemitische Tendenzen sieht Schuster das Internet: „Was früher ein Tabu war, wird heute ausgesprochen, und zwar vor allem in den sozialen Netzwerken.“ Alte, überholte Stereotype erführen dort eine Renaissance. Mit Folgen für das Zusammenleben: „Der Antisemitismus im Netz führt zu einer Relativierung des Holocausts auf der Straße.“

Integration osteuropäischer Juden

Schuster ist Internist, genauer gesagt Gastroenterologe. 30 Jahre lang hat er in Würzburg eine Praxis geführt, die er nun altersbedingt aufgegeben hat. So kann er sich den wachsenden Aufgaben im Zentralrat widmen.

Der Zentralrat begeht in diesem Jahr Gedenktage: Zum einen hat sich die Befreiung der Konzentrationslager und die vom Nationalsozialismus generell zum 75 mal gejährt. Außerdem besteht der Zentralrat selbst nun seit 70 Jahren. Im Grunde habe dieser eine „widersprüchliche Aufgabe“ angenommen: die Unterstützung neuer Gemeinden einerseits – und die Hilfe zur Auswanderung andererseits.

Die Aufgaben haben sich geändert. Zum einen durch die Zuwanderung aus Osteuropa. Mittlerweile gibt es in 105 jüdischen Gemeinden rund 96 000 Mitglieder. Neun von zehn  Mitgliedern stammen laut Schuster aus Ländern des ehemaligen Ostblocks. Diese Zuwanderung habe die jüdische Gemeinde gelehrt, dass Integration Arbeit sei und nicht von alleine geschehe – auch brauche sie mindestens eine Generation.

In Deutschland zuhause

Für die jüdische Gemeinschaft solle das Motto gelten: „In Deutschland zuhause“, wünscht sich Schuster. Die Gemeinschaft wolle ein fester Teil des Landes sein. Doch vor diesem Hintergrund sei der wachsende Antisemitismus ein Problem. Dieses könne zu Hass-Explosionen führen wie im vergangenen Jahr in Halle.

Ein Geheimrezept für mehr Toleranz gebe es nicht, kündigt Schuster an. Stattdessen müsse gekämpft werden. Zum einen müsse die Justiz schlagkräftig sein und Vergehen konsequent verfolgen. Zum anderen setzt Schuster auf Bildung. Es gebe noch viele Defizite im Wissen um jüdisches Leben.

Ein Problem sei es, die Geschichte der deutschen Juden auf die zwölf Jahre des Nationalsozialismus zu verkürzen. Es handele sich um eine 1700 Jahre dauernde Geschichte. Diese soll in den Schulen einen „ganz breiten Raum“ finden, fordert Schuster.

Ärzteschaft klärt ihre Rolle

Der Präsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz, Dr. Günther Matheis. Foto: Landesärztekammer Rheinland-Pfalz/ Engelmohr

Diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit mache vor der Ärzteschaft nicht halt. Die Berufsverbände hätten in den vergangenen Jahren ihre Rolle zwischen 1933 und 1945 aufgearbeitet. Schuster begrüßt diese Entwicklung: „Es ist auch für Mediziner wichtig, sich diesem dunkelsten Kapitel der Medizingeschichte in Deutschland zu stellen.“

Auch in Rheinland-Pfalz hat diese Gedächtnisarbeit stattgefunden. Ärztekammer-Präsident Dr. Günther Matheis hat zum Beispiel die „Rassen-Hygiene“ für den Raum Trier wissenschaftlich aufarbeiten lassen. Matheis fordert, das Engagement dürfe nicht nachlassen: „Jeder von uns muss wachsam bleiben“, sagte der Präsident auf der Vertreterversammlung der Ärztekammer Rheinland-Pfalz.

Es sei eine gesellschaftliche Aufgabe, sagt Matheis, sich rechtsextremen und antisemitischen Tendenzen entgegen zu stellen: „Wir sind alle gemeinsam in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sich alle Menschen jüdischen Glaubens bei uns willkommen, akzeptiert und zuhause fühlen.“ Vielfältiges jüdisches Leben bereichere das Land.