Mainz. Einen neuen Stadtteil zwischen Hechtsheim und Ebersheim und ein Flatrate-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr. Das sind die Themen, mit denen der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sein Amt verteidigen will. Im Gespräch mit Boostyourcity erklärt er, warum es richtig ist, die Menschen zum Umstieg auf Busse und Bahnen zu bewegen, auch wenn das Netz noch nicht gut genug ist.

Herr Ebling, der OB-Wahlkampf hatte damit begonnen, dass Nino Haase seine Entscheidung verkündete, als Parteiloser mit Unterstützung der CDU zu kandidieren. Hat Sie diese Entscheidung überrascht? Wäre es Ihnen lieber gewesen, die CDU wäre beispielsweise mit Sabine Flegel angetreten?

Das ist eine Entscheidung, die muss die CDU treffen. Am Ende ist mir zwar die Strategie nicht klar: Ist das jetzt ein Kandidat der CDU oder nicht, da ist kein richtiges Konzept erkennbar. Aber ich nehme die Herausforderung an.

Eine der Forderungen ist ein Radstreifen für die Kaiserstraße. Wollen Sie den auch?

Ich bin jemand, der große Aufgaben gerne konzeptionell denkt. Wir haben eine klare Vorstellung, dass wir den öffentlichen Personenverkehr stärken und ausbauen wollen. Das geschieht auch schon. Das Radwegenetz ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Andere Aufgaben wie der Ausbau der Straßenbahn, der Aufbau eines Fahrrad-Verleihsystems oder das Senken des Feinstaub standen im Mittelpunkt. Jetzt muss das Radwegenetz konzeptionell gedacht werden. Dabei geht es nicht um den Umbau einer Straße, dabei geht es um ein Konzept.

Ist das eine Kritik an Verkehrsdezernentin Katrin Eder, dass das Thema Radwegenetz liegen geblieben ist?

Im Gegensatz zu Tabea Rößner nehme ich Katrin Eder ausdrücklich in Schutz. Sie macht einen Bombenjob. Ich kann nicht gleichzeitig an fünf Stellen Dinge umsetzen. Tatsache ist: Der Radverkehr nimmt zu. So sehr, dass uns Wiesbaden darum beneidet. Wir sind auf dem richtigen Weg. Jetzt werden wir Wege ausbauen und sicherer machen.

Aber Interessengruppen wie der ADFC kritisieren die Situation für Radfahrer in Mainz.

D’accord. Ich würde dem ADFC da auch gar nicht widersprechen. Die Luft nach oben ist tatsächlich noch groß.

Wird der Ausbau des Radwegenetzes auf Kosten der Autofahrer stattfinden?

Unser Leitbild heißt: Wir wollen den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Das ist aus Gründen des Klimaschutzes und der Luftreinheit auch richtig. Wir können nicht alles parallel laufen lassen. Also wird der Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu Lasten des Individualverkehrs gehen.

Das 365-Euro-Ticket

An der Südmole und in anderen Neubaugebieten ziehen Menschen zu, die ein Auto mitbringen. Der Verkehr nimmt eher zu als ab. Ist es nicht Realitätsverweigerung da von Senkung des Individualverkehrs zu reden?

Es geht letztlich darum, dass wir weitere Anreize setzen müssen. Der öffentliche Nahverkehr muss attraktiv sein. Das bedeutet, dass er zuverlässig sein muss, pünktlich und sauber – das kommt noch vor dem Preis. In den Punkten Sauberkeit und Zuverlässigkeit haben wir auch zugelegt. Nun geht es darum, einen attraktiveren Preis zu schaffen. Das können wir mit dem Klimapaket verbinden. Als eine Pendlermetropole wollen wir Anreize setzen mit einem 365-Euro-Ticket.

Wie würde dieses 365-Euro-Ticket funktionieren?

Am Ende geht es um eine Flatrate. Viele Menschen bewegen sich im Rhein-Main-Gebiet. Für Klima- und Umweltschutz wäre es ein unglaublich wichtiger Schritt, wenn Menschen mit dem ÖPNV zur Arbeit pendeln. Um das zu erreichen, wäre es besser, wenn man es einfach macht, umzusteigen. An Automaten ist es manchmal schwer zu verstehen, welche Tarifwabe ich nun wählen muss und wie der Preis zustande kommt. Dabei wäre die Flatrate eine wichtige Hilfe. Nicht nur wegen des Preises, sondern wegen der Einfachheit. Das wäre ein großer Schritt. Wenn der Bund sich die Förderung solcher Projekte über das Klimapaket vorstellen kann, dann will ich der Erste sein, der die Hand dafür hebt.

Werden alle das 365-Euro-Ticket in einer Art Umlage zahlen müssen, so wie die Studenten für das Studiticket oder wird es freiwillig sein?

Ich würde mir keine Verpflichtung vorstellen. Wer kein Ticket möchte oder wer den öffentlichen Nahverkehr gar nicht nutzen kann, der soll auch nicht dafür bezahlen. Für alle anderen wäre 1 Euro am Tag eine zumutbare Größe. Auch für Studis. Das entspricht in etwa dem, was heute schon im Studiticket drin ist.

Wenn mehr Menschen auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, muss auch das Angebot wachsen. Reicht dafür die Infrastruktur aus?

Die Infrastruktur muss mitziehen. Das ist natürlich richtig. Aber es ist auch eine Frage von Henne und Ei. Einige sagen, wir müssen erst einmal alles ausbauen, bevor wir ein vernünftiges Ticket anbieten. Ich sage: Wir können nicht immer nur warten. Wir müssen jetzt anfangen, wenn wir etwas erreichen wollen.

Der Ausbau wird Geld kosten. Kommt durch das 365-Euro-Ticket mehr Geld ins System, um den Ausbau bezahlen zu können.

Es ist richtig, dass mehr Geld ins System kommen muss. Sowohl Bund, als auch Länder und Kommunen müssen bereit sein, mehr Geld ins System zu schießen, angesichts der Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs für den Kampf gegen den Klimawandel. Es gibt in Wien ein vergleichbares Modell. Das hat mehr Geld gebracht, trotzdem ist das System dort auch defizitär. Das wird auch bei uns so bleiben. Aber wenn wir wollen, dass Autobahnen leerer werden, dass weniger Kohlendioxid und weniger Stickstoff ausgestoßen werden, dann müssen wir dieses Geld auch ausgeben.

Als die Schiersteiner Brücke gesperrt war, haben RMV und Bahn reagiert und zusätzliche S-Bahnen fahren lassen. Die wurden auch gut angenommen. Allerdings haben RMV und Bahn auch gesagt: Wenn wir noch mehr anbieten wollen, dann brauchen wir eine zusätzliche Brücke. Kommt die?

Noch unentschlossen zu neuer Brücke

Vielleicht ist das denkbar. Wobei wir auch hier wieder über Henne und Ei diskutieren. Für mich kann es nicht sein, dass wir erst die Infrastruktur ausbauen müssen, bevor wir Anreize für den Umstieg auf den öffentlichen Nahverkehr setzen. Es ist eine Frage des politischen Gestaltungsauftrags. Wir haben ein ernsthaftes Problem, das müssen wir gestalten. Und dafür muss man irgendwann anfangen.

Nun dauert der Bau einer Brücke mindestens zehn Jahre, wenn man das Genehmigungsverfahren einrechnet. Müsste der Bau dann nicht auch jetzt angeschoben werden?

Es ist richtig, dass es so lange dauern würde. Ich weiß im Moment nicht, ob es eine zusätzliche Eisenbahnbrücke sein muss. Wir müssen mit Wiesbaden reden, wir müssen Standorte prüfen – und genau das passiert schon. Auch mit entsprechenden Simulationen. Daher argumentiere ich jetzt noch nicht für oder gegen eine Brücke. Trotzdem müssen wir mit dem Setzen von Anreizen für den öffentlichen Nahverkehr schon anfangen, bevor wir die Brückenfrage geklärt haben.

Mainz hat den Klimanotstand ausgerufen. Ist das nicht übertrieben? Haben wir tatsächlich einen Notstand?

Ich habe eine juristische Grundbildung und wüsste aus dieser heraus sofort drei Argumente, warum der Begriff nicht stimmt. Aber es geht darum, dass in einer ernsten Situation ernste Signale gesetzt werden. Deswegen stelle ich mich nicht gegen den Klimanotstand. Es geht darum, dass die Stadt in diesem wichtigen Anliegen eine Rolle findet. Denn wir sind als Kommune ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, einen Bewusstseinswechsel und eine Verkehrswende zu erreichen.

Bisher haben die Städte, die den Klimanotstand ausgerufen haben, noch nicht viel Konkretes umgesetzt. Das ist vielleicht auch der kurzen Zeit geschuldet. In Konstanz wurde aber zum Beispiel das Feuerwerk für das große Seefest, vergleichbar mit unserer Johannisnacht, zusammen gestrichen. In Mainz gibt es mittlerweile mit den City Lights zwei große Feuerwerke. Könnte der Klimanotstand bedeuten, dass eines gestrichen wird?

Solche Diskussionen wird es geben. Ich habe dazu auch eine Meinung, versuche aber Sachen strukturell anzugehen. Manche mögen ein Faible haben für kleine Symbolpolitiken. Aber was hilft uns das? Wichtiger sind doch eher Fragen wie: Wie schaffe ich es, den öffentlichen Nahverkehr zu elektrifizieren, wie viel investiere ich in den Ausbau erneuerbarer Energien? Da finde ich, dass die Frage nach dem Feuerwerk nicht ganz so entscheidend ist, wie es andere sind.

„Werden nicht alles zubauen“

Nun sagen Sie, der Klimanotstand muss der Maßstab der Politik werden. Wie passt es dazu, dass Sie einen neuen Stadtteil bauen wollen zwischen Hechtsheim und Ebersheim? In die Frischluftschneise der Stadt.

Wenn wir uns fragen, was in den nächsten Jahren wichtig für die Stadt ist, dann ist die Antwort nicht nur ein Thema. Wir können nicht nur den Verkehr durchdeklinieren, ohne ihn in Zusammenhang mit dem Thema Wohnen zu sehen. Themen haben immer mehrere Dimensionen. Und dazu gehört, dass Menschen auch in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen wollen, um Pendeln zu vermeiden.

Aber muss der Stadtteil denn in die Frischluftschneise gebaut werden?

Die eine Frischluftschneise gibt es nicht. Es gibt mehrere. Die Stadtentwicklungsplanung orientiert sich nach dem Fünffingerprinzip. Dazwischen halten wir Kanäle frei, in denen frische Luft entsteht. Wobei das System auch nicht statisch ist. Durch bessere Bebauung schaffen wir jetzt schon Bedingungen, durch die sich die Situation mit Frischluft verbessert. Wobei für den neuen Stadtteil gilt: Wir wollen nicht alles zubauen, sondern weiterhin Schneisen für Frischluft erhalten.

Als die Straßenbahn ausgebaut wurden, fehlte es an „Park and ride“-Parkplätzen. Ist das kein Widerspruch, zu dem, was Sie über das Zusammendenken von Themen sagen? Brauchen Pendler nicht ein Angebot, vor der Stadt auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen?

Ich weiß nicht, ob es ein Versäumnis gibt. Manchen mag es nicht schnell genug gehen. Das kann schon sein. Vielleicht ist es auch in der bisherigen Beschreibung richtig. Aber es fehlt nicht als Baustein. Wir werden anfangen, solche Parkplätze zu schaffen. Denn es ist natürlich richtig, dass wir es Autofahrern ermöglichen wollen, das Auto vor der Stadt stehen zu lassen. Ein solcher „Park and ride“-Parkplatz ist in der Geschwister-Scholl-Straße geplant und auch die Rheinhessenstraße bietet sich hervorragend als Standort für einen an.

In den vergangenen Jahren ist die Bevölkerungszahl in Mainz um zehn Prozent gestiegen, um 20 000 Einwohner. Welche Schätzungen haben Sie? Geht das Wachstum in dem Tempo weiter?

Nun ist Wachstum nicht unser städtebauliches Ziel. Aber die Grundannahme darf man treffen: Wir werden weiter wachsen. Wie stark – das wird man sehen. Unser Modell wird es nicht sein, zu sagen, dass wir das Wachstum alleine stemmen. Wir werden auch mit dem Umland sprechen müssen. Fläche ist das größte Gut in einem Ballungszentrum. Und da müssen sich auch die Gemeinden im Umland überlegen, ob wir alle Flächen mit Einfamilienhäusern zubauen können. Wir sind im Gespräch. Und auch im Umfeld wächst die Erkenntnis, dass wir auch dort mehr Geschossbau brauchen.

Weil die Nachverdichtung in der Stadt an Grenzen stößt?

Ja. Das tut sie, davon bin ich überzeugt. Es war richtig, nachzuverdichten. Im Sinne der Nachhaltigkeit haben wir uns von Innen nach Außen ausgedehnt. Aber das können wir so nicht weitertreiben. Es kommt an Grenzen, etwa wenn wie in Drais sich das Ortsbild so verändert, dass es nicht mehr seinem ursprünglichen Gedanken entspricht. Deswegen brauchen wir jetzt den neuen Stadtteil. Die Alternative wäre, dass wir in die Höhe bauen. Und ich finde eine Frankfurtisierung von Mainz nicht wünschenswert. Ich will sie jedenfalls nicht.

Wenn es dann aber mal einen freien Platz gibt, wird der auch mit Beton gefüllt wie jetzt an der Südmole. Muss das sein?

Ich merke, dass sich in der Frage die Geister scheiden. Ich finde, der Platz gefällt mir: Es gibt Rasenschneider, eine Treppenanlage und 40 Bäume. Wenn wir in fünf Jahren wieder über diesen Platz reden, wird es Leute geben, die fordern, dass die Bäume endlich zurückgeschnitten werden. Da sind die Interessen unterschiedlich. Ich will jetzt nicht die Geschichte der Entscheidung um die Südmole aufarbeiten. Aber was richtig ist: In Zeiten des Klimanotstands würden wir den Platz vermutlich anders gestalten, wenn wir noch einmal die Aufgabe hätten.

„Brauchen grünes Band für Mainz“

Aber es gibt doch eine Tendenz, Plätze zu betonieren: etwa Münsterplatz oder Bismarckplatz?

Der Aussage würde ich widersprechen. Es sind gezielt Parkplätze zurückgebaut worden. Wir haben es beim Hopfengarten oder in der Großen Langgasse geschafft, Grün einzubauen. Beim Münsterplatz wird das noch geschehen. Der Bismarckplatz ist viel kritisiert worden. Das stimmt. Aber der ist im Rahmen der Sozialen Stadt entwickelt worden. Es sind Wünsche der Anwohner, die in die Planung eingeflossen sind. Hätten wir die übergehen sollen? Das ist ein Beispiel dafür, dass Entscheidungen nie eindimensional sind.

Also mehr Grün und mehr Bäume für die Stadt?

Auch. Aber nicht nur. Wir sollten mit dem Element Wasser anders umgehen: Warum nicht ein Schwimmponton für das Rheinufer? Warum gibt es in Bingen einen Wasserspielplatz am Rhein, in Mainz aber nicht? Wir müssen ein grünes Band schaffen, das den öffentlichen Raum zurückholt. Das von der Zitadelle bis zum Rhein reicht und wo wir die Autos nicht mehr zulassen. Wegen dieser Idee habe ich eine mögliche Landesgartenschau ins Gespräch gebracht.

Sachthemen wie diese haben bisher den Wahlkampf bestimmt. Aber auch anonyme Vorwürfe gegen die Bewerber. Woher kommt diese Kultur der anonymen Denunziation?

Das weiß ich nicht und das gibt auch mir ein Rätsel auf. Ich habe dagegen zwei Strategien: Wenn anonyme Vorwürfe kommen, stelle ich mich ihnen offen. Ansonsten orientiere ich mich an der Sachebene.

Wird es noch schmutziger in der Endphase des Wahlkampfs?

Wahlkampf ist keine Zeit der Gelassenheit. Auch ich bin nicht gelassen. Man kämpft eben. Alle Kandidaten sind in einem Zustand, in dem wir wach sind. Aber schmutzig muss es nicht sein. Ich sehe auch nicht die Anzeichen dafür, dass es noch so wird.