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Nachrichten Mainz |Mit rund 60 Traktoren haben an diesem Mittwoch Landwirte vor dem Hauptsitz der VRM demonstriert. Der Verlag veröffentlicht überwiegend in Hessen Zeitungen und bringt in Mainz die Allgemeine Zeitung heraus. Zu dem Protest hatte das „Bündnis Land schafft Verbindung Rheinhessen“ (LSV) aufgerufen. Auslöser war ein Artikel in der Allgemeinen Zeitung, der aus ihrer Sicht einseitig war.


Die Parkplätze direkt vor dem VRM-Gebäude in Marienborn sind reserviert. Sie sind Führungskräften des Verlags und Besuchern vorbehalten. Nun nehmen Traktoren den Platz in Beschlag. Landwirte sind gekommen, um gegen einen Bericht zu protestieren, der in der AZ erschienen ist.

Vor dem Eingang steht Jan Ruzycki. Er ist Pressesprecher des LSV Rheinhessen. Er beklagt im BYC-Interview, dass ein Artikel zu einem Pflanzenschutzmittel „reißerisch und einseitig recherchiert“ sei. Er wünsche sich eine Rückkehr zu einem „Fakten orientierten Journalismus“. Im Gebäude sprechen die Landwirte mit AZ-Chefredakteur Friedrich Roeingh. „Die Aktion war spontan“, sagt Ruzycki. Die Mitglieder hätten sich dazu entschlossen, nachdem sie den besagten Beitrag gelesen hätten.

Rüben, Gift und Tod

In dem Artikel mit der Überschrift „Die Rüben, das Gift und der Tod“ geht es um das Mittel Thiamethoxam. Das Bundesamt für Verbraucherschutz hat den Einsatz dieses Mittels über eine Notfallzulassung erlaubt. Diese ist zeitlich und regional begrenzt. Es soll dem Kampf gegen Vergilbungsviren dienen. Glückt dieser Kampf nicht, drohe ein Ernteausfall, den Experten zwischen einem Drittel und der Hälfte der Zuckerrüben-Ernte einschätzen.

Diese Informationen finden sich in dem besagten Artikel. Doch die Arbeitsgemeinschaft Zuckerrübe Süd West wirft der AZ „politische Wahlkampf-Dramaturgie“ vor, wie es Geschäftsführer Dr. Christian Lang in einem Schreiben formuliert. Als Bundesministerin für Landwirtschaft ist Julia Klöckner in letzter Konsequenz für die Zulassung verantwortlich. Sie ist auch Vorsitzende der sich im Wahlkampf befindenden CDU Rheinland-Pfalz.

Außerdem wirft Lang der AZ vor, einseitig zu argumentieren: „Wie kann eine Allgemeine Zeitung in Rheinhessen ohne ein Interview der Bauern, der Mitarbeiter/innen in der größten Südzucker-Fabrik in Deutschland oder des Verbandes in Worms so berichten“, fragt er in dem Schreiben und bezeichnet die Berichterstattung als „einfältig und journalistisch nicht gelungen“.



AZ zitiert „böse Zungen“

Klöckner kommt in dem AZ-Text zu Wort. Landwirte oder Interessenverbände aber nicht. Dafür erhalten Naturschützer ausführlich Zitate. Sie befürchten, das Mittel schade den Bienen. Kein Zitat ist im Text der Begriff „das verbotene Teufelszeug“. Dies benutzt der Autor redaktionell als Synonym für das Mittel.

Zudem formuliert die AZ den Vorwurf, die Genehmigung sei „im Schatten der Corona-Pandemie“ erteilt worden. Wer diesen Vorwurf formuliert, wird im Text nicht geklärt. Dort steht lediglich, es seien „böse Zungen“, die das behauptet haben. Diese böse Zungen können Naturschützer sein, politische Gegner Klöckners oder schlicht der Autor selbst.

„Platte Argumente“

Von „platten Argumenten“ spricht indes der Verband der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer. Die Notzulassung sei „sowohl ökologisch, sozial als auch wirtschaftlich absolut gerechtfertigt“. Bienen seien durch die Anwendung nicht betroffen. Der Einsatz der Mittel spare 90 Prozent an anderen Mitteln ein, die sonst eingesetzt werden müssten.

Die Zuckerrübenanbauer verweisen auf Halsbänder von Hunden, die mit bis zu 4,5 Gramm des Wirkstoffs versehen seien. „Wir brauchen für 10.000 Quadratmeter nur die Menge von 11 Hundehalsbändern – einmal in vier Jahren Ackerbau“, formuliert der Verband in einer Erklärung. Das wiederum sei nur „auf den stark von Blattläusen und Viren und Bakterien befallenen Feldern“ nötig.


„Wer kritisiert, muss sich auch selbst und seine Arbeit kritisieren lassen.“

UPDATE, 27.01.2021, 18.50 Uhr: Auf BYC-Anfrage zeigte AZ-Chefredakteur Roeingh grundsätzliches Verständnis für die Demonstration: „Wer kritisiert, muss sich auch selbst und seine Arbeit kritisieren lassen.“ Der Protest sei störungsfrei verlaufen und das anschließende Gespräch sei konstruktiv verlaufen.

Schon vor dem Protestzug habe die AZ auf ihren Internet-Plattformen die Stellungnahme der Rübenbauern berücksichtigt. Ihre Position werde sich auch in der gedruckten Ausgabe vom Donnerstag wieder finden.

Darüber hinaus erklärt Roeingh: „Kein Medium berichtet so umfangreich und so nah über die Landwirtschaft wie die Lokalzeitungen.“