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Ein differenziertes Bild ergab die Anhörung zur notärztlichen Versorgung im Landkreis Mainz-Bingen. Elf Sachverständige gaben im Kreistag ihr Statement ab und beleuchteten aus ihrer jeweiligen Perspektive die Frage, ob die Besetzung des Notarztstandortes Ingelheim von täglich 7:00 bis 19:00 Uhr bedarfsgerecht ist. Diese Regelung gilt seit dem 1. Januar 2022, nachdem die Krankenkassen als Kostenträger den 24-Stunden-Betrieb nicht mehr weiter finanzieren wollten. Im Gegensatz zu einer ersten Sondersitzung im Januar, die einen rein informativen Charakter hatte, waren bei dieser Anhörung nun auch die Fraktionen aufgefordert, Sachverständige zu benennen.


Simulation von Einsätzen

Ein zentraler Punkt war der „Ergebnisbericht Notarztstandort Bingen – Ingelheim“, verfasst vom Projekt OnePlan des Fachbereichs Mathematik der Technischen Universität Kaiserslautern. In einer sogenannten „eventbasierten Simulation“ hat die Projektgruppe hier auf Basis der tatsächlichen Notarzteinsätze aus dem Jahre 2020 die Auswirkungen auf den Raum Ingelheim/Bingen simuliert, wenn der Standort Ingelheim nur noch tagsüber besetzt ist. Diese Simulation diente als Grundlage für die Entscheidung der Behörde.

Laut Andreas Hitzges, für den Rettungsdienst zuständiger Referatsleiter im Mainzer Innenministerium, erfüllt die Berechnung fachlich hohe Ansprüche: „Mit dem, was wir hier machen, liegen wir bundesweit an der Spitze“, sagte der Experte. Dabei stellte er klar, dass OnePlan das strategische Analyse- und Planungstool, mit dem der Bericht erstellt wurde, im Auftrag des Landes entwickelt hat. Künftig werden darüber landesweit Bedarfsberechnungen vorgenommen.

Sein Fazit: Die Lösung mit 1,5 Standorten für Bingen und Ingelheim „erscheint mir eine Vernünftige zu sein“

Detaillierte Informationen über das wissenschaftlich fundierte Vorgehen beim Erstellen der Bedarfsberechnung gaben ihre Macher Prof. Sven O. Krumke und Dr. Manuel Streicher preis. In deren Arbeit stecke viel Mühe und Aufwand, sagte der Notfallmediziner Dr. med. Thomas Luiz vom Fraunhofer-Institut für experimentelles Software Engineering Kaiserslautern: „Hier wurde mit großer Sorgfalt wissenschaftlich gearbeitet“, sagte er. Es seien mehrere Varianten berechnet und gegenübergestellt worden. Sein Fazit: Die Lösung mit 1,5 Standorten für Bingen und Ingelheim „erscheint mir eine Vernünftige zu sein“.

Für die Gegner der Entscheidung der Rettungsdienstbehörde Rheinhessen ist es dagegen nicht genügend, wenn nur die benachbarten Standorte zum Beispiel in Bingen und Mainz nachts besetzt sind. In diese Richtung argumentierten der Notarzt Dr. med. Mathias Umlauf, Dr. med. Olaf Lühker (Heilig-Geist-Krankenhaus Bingen), der Statistiker Prof. Dr. Peter Schulze, Dr. med. Klaus Reue, der Notfallsanitäter Andreas Zang und Dr. med. Susanna Roll. Bei Notfällen zwischen 19 und 7 Uhr sei die Gefahr groß, dass kein Notarzt zur Verfügung stünde, wenn mehrere Einsätze zur gleichen Zeit disponiert werden müssten. Besonders im Hinblick auf das nicht einfach erreichbare Mittelrheintal oder die Gemeinden im Selztal sei dies ein hohes Risiko. Sie fordern daher die Rückkehr zum 24-Stunden-Betrieb.

Ob eine Mitfinanzierung grundsätzlich kommunalrechtlich möglich ist, hatte vor einigen Wochen Landrätin Dorothea Schäfer das Land per Brief gefragt

Eine entsprechende Antwort konnte sie jetzt den Fraktionen vorlegen. In dem Schreiben teilt die Aufsichts- und Dienstleistungsbehörde (ADD) mit, dass sowohl die Stadt Ingelheim als auch der Landkreis mitfinanzieren dürfen – im Falle des Kreises sei dabei aber wichtig, dass der Standort auch positive Auswirkungen auf andere Regionen außerhalb Ingelheims haben muss. Zudem müsse im Haushalt des Kreises dafür Geld vorhanden sein – es handele sich um eine freiwillige Leistung, die nicht über eine Kreditaufnahme finanziert werden darf.

Für das DRK, das seit dem 1. März den Standort Ingelheim betreibt, war Uwe Frohn bei der Sitzung in der Mensa des Sebastian-Münster-Gymnasiums in Ingelheim dabei

Er verwies auf den deutschlandweiten Notarztmangel, der es insgesamt erschwere, die Standorte zu besetzen. In dem Zusammenhang sei es ein Trugschluss, dass es für Notärzte attraktiver sei, wenn diese 24 Stunden Dienst machen könnten. Für Ingelheim sei er aber zuversichtlich, dass der Standort gut laufe. Auch eine Ausweitung auf 24-Stunden-Betrieb hält er für machbar – wenn die Finanzierung steht und die Perspektive mittelfristig – in seinen Augen sind dies zwei Jahre – haltbar ist.

Moniert wurden in der Debatte auch fehlende klare gesetzliche Regelungen, innerhalb welcher Fristen Notärzte vor Ort sein müssten – eine Hilfsfrist für Notärzte gibt es im Landesrettungsdienstgesetz nicht. Hier sei der Gesetzgeber aufgefordert, Abhilfe zu schaffen.

„Wir haben nun noch einmal die verschiedenen Aspekte zu diesem komplizierten Thema komprimiert gehört und aufgenommen. Dies werden wir nun bewerten und gemeinsam mit den Fraktionen diskutieren“, sagte Landrätin Dorothea Schäfer. Über das weitere Vorgehen wird dann der Kreisausschuss in seiner nächsten Sitzung Ende April beraten.