Hier kommt das andere Ende der Leine zu Wort: der Don. Mein achtes Weihnachten mit dem Dicken steht an. Für mich bedeutet es jedes Jahr das selbe: Und das ist gut so. Meistens.


Originell ist der Dicke nicht gerade. Am Samstag waren wir im Fressnapf und ich habe gesehen, wie er einen fetten Knochen gekauft hat. Den packt er morgen in eine Stofftüte, dazu eine Kaustange und viele Leckerlis. Wie jedes Jahr. Originell ist das nun wirklich nicht. Aber geil. Hoffentlich fällt ihm nie was anderes ein.

Mit der ersten Kaustange gab es Krach. Nach der Bescherung waren wir Gassi und als ich zurückkam, war Rocky gerade dabei, mir meine Kaustange zu klauen. Er war wie ein Bruder für mich – aber dem hätte ich auch eins auf die Nuss gegeben, wenn er mir meine Kaustange geklaut hätte.

Ein zweites Weihnachtsfest mit Rocky hat es leider nicht mehr gegeben. Im Sommer danach ist er für immer eingeschlafen. Hautkrebs. Wir haben ihn vorher nochmal besucht. Es ist schön, (mindestens) zwei Tage im Jahr zu haben, an dem wir an ihn denken.

Ich hatte Krebs

Ich hatte dieses Jahr auch Hautkrebs. Bei mir ist es gut ausgegangen. Das Zeug war gutartig und hat nicht gestreut. Als der Dicke den Anruf erhalten hat, dass es so verlaufen ist, waren wir beim Schorsch und ich musste den Dicken danach nach Hause führen. Keine Angst. Seine Schlangenlinien und mein Zug zum Gebüsch haben sich ausgeglichen.

Zum Schorsch konnten wir dieses Jahr oft nicht. Und was fast genau so schlimm war. Als wir es zwischenzeitlich konnten, durfte ich die meiste Zeit nicht auf meinem Stammplatz verbringen – unterhalb der Tür mit Blickrichtung Küche. In solchen Momenten habe ich den Dicken verstanden mit seinem „Scheiß 2020“.

Dann aber auch wieder nicht. Schließlich bin ich wieder gesund geworden. Und geblieben. Auch hatten wir wahnsinnig viele Spaziergänge dieses Jahr. Manche davon waren richtig toll. OK. Sie haben dann die Bäume auf der Obstwiese gefällt. Das war ein richtig trauriger Anblick. Manchmal war 2020 halt doch echt blöd.

Ich liebe meine stinkende Decke

Für dieses Weihnachten ist viel Regen angesagt. Allmählich sinkt auch mein Zutrauen, dass die Prognose des Dicken wie immer daneben liegt. Gestern Abend musste ich einiges tun, um den Dicken zur baldigen Rückkehr zu bewegen. Heute Morgen hätte ich ihn dann am liebsten gebissen: „Wegen mir müssen wir nicht raus – du müsstest nur lernen, wie man das Klo benutzt…“ Ich kann es nicht mehr hören.

Dass es an Weihnachten viel regnet, daran habe ich mich gewöhnt. So war es eigentlich fast immer, seit ich in Deutschland bin. Ich kann mich noch gut an mein erstes erinnern. Einerseits war ich heilfroh, weil ich aus dem engen Käfig rausgekommen bin, den ich nicht mal zum Kacken verlassen durfte.

Andererseits hatte ich noch kein zuhause gefunden. Die Leute waren zwar nett zu mir. Doch es war auch klar, dass ich da nicht zuhause bin. Das bist du erst, wenn es eine Ecke gibt, in der deine Leckerlis vergammeln und eine stinkende Decke liegt – nirgendwo bin ich lieber.

Dinge sind nie nur gut

In dieser Ecke liege ich, wenn der Dicke am Computer sitzt. Er nennt das „Arbeiten“. Meist gehen mir dann schlechte Gedanken durch den Kopf: Blöd, dass es draußen regnet. Ich würde jetzt lieber Gassi gehen. Seit Ewigkeiten hat es nichts mehr zu essen gegeben – mindestens seit 40 Minuten nicht. Oder: Der Dicke könnte schon auch mal ein wenig nach mir schauen.

Doch wenn ich zurückdenke, sind es die schönsten Momente: Wir sind zusammen, hier herrscht Frieden, es ist warm und das Essen ist zumindest nicht weit weg. Es ist wie mit Weihnachten. Die Dinge sind nie nur gut, das müssen sie auch nicht sein. Wichtig ist das Grundgefühl.

Und wenn wir morgen regennass von einem letztlich viel zu kurzen Spaziergang zurückkommen, die peinlichen Lieder überstanden haben und es zum spannendsten Punkt des Tages kommt, werde ich mich über den nicht originellen Dicken freuen.

Danach hocken wir zusammen, wobei der Dicke mir zusehen muss, wie ich meinen Knochen esse. Keiner nimmt ihn mir weg. Was gut ist. Um nicht zu sagen: super. Aber auch traurig. Weihnachten halt.

Weitere Artikel der Serie finden sich hier.

Der Dicke und ich, ich im Vordergrund. Selfie: Der Don